Beethoven auf dem Prüfstand

»Da-da-da-daaa«

Premiere des Tanzstücks „Postheroica – Abschied vom Heldenmythos Beethoven“ von Tanzwerke Vanek Preuß & ton25  in der Brotfabrik Bonn am 04. September 2020

Von KLAUS KEIL

  • die Fotos entstammen der „Freiluft-Premiere“ vom 6.September, die ganz ohne künstliche Beleuchtung stattfand, so dass die Performer am Ende nur noch schemenhaft zu erahnen waren – die Qualität der Fotos bitten wir daher zu entschuldigen –

Es war die unklare Wetterlage, die einem ungewöhnlichen Tanz-Projekt nur wenige Stunden vor seiner Premiere einen Strich durch die Rechnung machte. Geplant als Vorstellung unter freiem Abendhimmel sollte das Tanzstück „Postheroica“ der Tanzwerke Vanek Preuß auf einer Wartungsplattform der Schifffahrtsverwaltung des Bundes am Rhein stattfinden. Es wäre wahrhaft ein dem Stück angemessener Ort. Für das Publikum, aber auch für die Inszenierung, wäre der Blick auf die am gegenüberliegenden Rheinufer gelegene Beethovenhalle, der zeitlich passende Sonnenuntergang mit heraufziehender Abenddämmerung eine großartige natürliche Kulisse für den „Abschied vom Heldenmythos Beethoven“, wie ihn der Untertitel des Stückes ankündigt.

Doch möglicher Regen ließ die Inszenierung (vorerst) in den Theatersaal der Bonner Brotfabrik ausweichen. Eine Gelegenheit für das Publikum, wie Dramaturg Guido Preuß zur Begrüßung sagte, sich eigene Assoziationsräume zu erschließen. Und tatsächlich entwickelt sich in der nüchternen Kahlheit des Bühnenraums  eine unerwartete Atmosphäre starker Konzentration auf Musik, Tanz und Szenerie.

POSTHEROICA@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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„Postheroica“ beginnt mit einem kräftigen Dauerton, unter dem wie unter einem akustischen Schutzschirm zwei Tänzer und eine Tänzerin aus dem Off „stückweise“ die Bühne betreten. Tobias Weikamp schiebt erst Fuß, dann Hand, dann seinen Körper aus dem backstage ins Licht. Nora Vladiguerova klammert sich stützend an Türrahmen und Geländer. Und als mit Dwayne Holliday schließlich der dritte Tänzer die Bühne erreicht, ist das ungewöhnliche Trio zwar vollständig, aber offensichtlich körperlich lädiert: Verdrehte Körper und Gelenke, hängende Arme, die Köpfe abgeknickt. Sind es Beethovens Dämonen, von denen er selbst einmal gesagt hat, dass es „neidische Dämone“ wären? Hier sind sie zusammengeschrumpft zu einer armseligen Truppe, der nur krächzende raue Laute gelingen, bis Noras hechelndes Atmen in einen infernalischen Schrei übergeht, der die ersten Takte der Symphonie Nr. 5, op. 67, besser bekannt als Schicksalssymphonie, fast verschlingt. Für die Tänzer beginnt hier eine Phase intensiver Bewegungen, die manchmal wie ein Kampf mit dem wohl populärsten Stück der klassischen Musik erscheinen.

POSTHEROICA@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Dass auch zu klassischen Musikstücken zeitgenössisch getanzt werden kann, zeigt die von Karel Vanek mit dem Ensemble entwickelte Choreografie. Wie die Tempi der Musik, so variiert auch der Tanz sein Bewegungsrepertoire. Mal mit Slow-motion-Momenten und Körperdehnungen, dann wieder in wilder Jagd von einem mit den Fersen angetriebenen Sitz-Stakkato, der später nochmals als hüpfende Frösche aufgegriffen wird. Manchmal agieren die Tänzer wie willenlose Gliederpuppen, wiederholen Bewegungssequenzen , finden sich wieder in einem Duo oder alle zusammen in einer Gruppe – die sich mit seitwärts angewinkelten Beinen zum Schlussakkord selbst zu Fall bringt.

POSTHEROICA@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Leise und fast unmerklich gestaltet Ton25 mit seinen elektronischen Kompositionen den Übergang von der Schicksalssymphonie zu zeitgenössischer Musik. Gehörte der erste Teil des Tanzstücks ganz Beethoven und seiner Musik, so setzen die Komposer Mogens Kragh und Thiemo Löhl nun mit Dauerrauschen, tiefem Grollen, klaren Tönen, leisem Zwitschern, einen Kontrapunkt. Dieser Klangteppich wirkt wie ein Auffangbecken für die Stationen des Lebens und Leidens von Beethoven, die von der Choreografie aufgegriffen und in tänzerische Sequenzen umgesetzt werden. Da hocken die Tänzer nebeneinander und heben und senken Füße und Hände wie die Tasten eines Klaviers. Dann wieder zieht Dwayne Holliday wie in einem Boot sitzend, rudernd seine Kreise. Oder sie drehen sich alle wie ein kindlicher Kreisel, indem sie ein Bein in die  Drehung werfen, so dass der Körper weiter kreiselt. Wer wollte wissen, wohin diese Drehung führt? Besonders stark aber berührt die Szene, in der sich die Tänzer, immer lauter werdend, gegenseitig anschreien und so Beethovens Hörverlust dramatisieren. „So pocht das Schicksal an die Pforte“ soll Beethoven zu den Motiven der Symphonie einmal gesagt haben. Mäßigend und einfühlsam interpretiert führt Guido Preuß am Klavier mit Auszügen aus Beethovens „Mondscheinsonate“ die Gruppe wieder zusammen, und lässt jedem der drei großartigen Tänzer noch Raum für ein abschließendes Solo. Kraftvoll, widerständig, aufbegehrend, führt Dwayne Holliday einen aussichtslosen Kampf gegen den Boden. Nora Vladiguerova ergänzt gekonnt ihr zeitgenössisches Repertoire mit klassischen Anleihen und Gesten, die ihren Tanz weich abfedern. Und Tobias Weikamp überrascht zur elektronischen Musik von ton25 mit einem starken emotionalen Solo zwischen Abstrakt und Ausdruckstanz. Dem Tanzstück angemessen ergänzt er sein zeitgenössisches Bewegungsrepertoire mit berührenden Gesten. Wie um Verzeihung werbend zieht er die Schultern hoch, die Handflächen geöffnet. Und wenn er „nur“ auf dem Boden liegt, dann scheint es als würde sich der in alle Richtungen unendlich  dehnen: Seid umschlungen.

POSTHEROICA@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Tobias Weikamp macht dem Zuschauer den Abschied vom Heldenmythos Beethovens leicht, der sicher kein endgültiger ist, denn die Frage nach dem Mythos und seiner „Wahrheit“ wird in der Kulturgeschichte weitergehen. Kein Ende in Sicht. Es könnte ja sein, dass dieses Tanzstück vielleicht doch eine – versteckte – Hommage der besonderen Art an das Genie Beethoven ist.

Weitere Vorstellungen: 11. –  13.09.2020, die in der Planung und Absicht alle am Rheinufer stattfinden sollen

POSTHEROICA@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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