Zehn Jahre Emanuele Soavi inCompany
„Das Wichtigste für mich ist die Neugier auf neue Erfahrungen“
Zum Jubiläum führte Anne-Kathrin Reif das Interview mit dem Choreografen
Emanuele Soavi blickt im Gespräch zurück auf zehn Jahre „incompany“ und auf die Elemente, die sein kreatives Schaffen prägen. Das Jubiläumsprogramm vom 8. September bis 2. Oktober 2022 in der TanzFaktur Köln lädt dazu ein, in ganz unterschiedlichen Formaten die Vielseitigkeit von „Emanuele Soavi incompany“ zu erleben – und gemeinsam mit dem Team von incompany zu feiern. Im Mittelpunkt des Programms steht die Premiere des neuen Tanzabends GEZEITEN.
„Zehn Jahre Emanuele Soavi incompany“, das ist ohne Zweifel ein Grund zum Feiern, aber auch zum Innehalten und Zurückblicken. Wenn du auf die zehn Jahre zurückschaust, woran denkst du ganz spontan als erstes?
Emanuele Soavi: Als erstes: Was, schon zehn Jahre? Und dann: Schau mal, schon zehn Jahre! Ich denke daran, wieviel wir in diesen zehn Jahren schon gemacht haben, und mit wie vielen Menschen wir zusammengearbeitet haben. Da läuft eine Timeline in meinem Kopf ab – mit den vielen unterschiedlichen Projekten, lustige Sachen, anstrengende Sachen… und all die damit verbundenen Gefühle. – Aber tatsächlich halte ich mich gar nicht so viel damit auf, zurückzublicken. Ich frage mich eher: Wie werden die nächsten zehn Jahre? Wie geht es weiter, und wohin werden wir uns entwickeln?
Und hast du eine Vorstellung davon? Mit welchen Gefühlen blickst du auf die Zukunft?
Ich verfolge sehr aufmerksam, was gerade in der Welt passiert. All die großen Themen, Ökologie, Ökonomie, Krieg, Klimakrise, Pandemie… Ich frage mich: Wieviel Platz wird in Zukunft überhaupt für die Kultur bleiben? Damit meine ich nicht, dass es nicht möglich sein wird, überhaupt etwas zu machen. Aber unsere Kreativität muss sich weiterentwickeln, wir müssen darauf reagieren. Wir müssen unsere Metamorphose weiter voranbringen. Nicht nur als Survivor, sondern als Künstler, als Gestalter.
Nach dem Blick nach vorn noch mal ein Rückblick… Wie hat eigentlich vor zehn Jahren alles angefangen, und warum ist Köln die Basis für incompany geworden?
Tatsächlich war Köln ja keine neue Stadt für mich. Ich hatte schon hier gearbeitet, Erfahrungen gesammelt, die „Szene“ kennengelernt, und mir mit ersten Solo-Projekten einen Namen gemacht. Die Gründung von incompany war sicher ein Risiko, aber ich habe gar nicht lange darüber nachgedacht. Ich habe einfach gedacht: Lass uns schauen, was passiert. Und dann hat die Maschine angefangen, zu laufen… Was mir dabei am meisten gefallen hat und immer noch gefällt, ist die Möglichkeit, mit vielen unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten – und mich zugleich auch selbst als Performer weiterentwickeln zu können. Incompany bietet den Rahmen für ganz verschiedene Formate vom intimen Solo bis zu großen Koproduktionen.
Wenn du die zehn Jahre als Weg betrachtest – worin siehst du für dich als Choreografen die größte Entwicklung oder Veränderung?
Es gibt sicherlich Elemente in meiner Arbeit, die von Anfang an da waren. Bewegung und
Körpersprache ist auch heute noch wichtig für meine Arbeit, aber die Perspektive darauf verändert sich. Der Fokus verlagert sich weg von der Technik als Tänzer, von der Virtuosität der Performance hin zu inhaltlichen Fragen – was passiert in diesem Raum, der unsere Welt ist, was sind die Einflüsse von äußeren Geschehnissen auf die innere Bewegtheit?
„incompany“ ist kein festes Ensemble – Tänzerinnen und Tänzer wechseln, aber es gibt auch so etwas wie einen festen Kern. Das heißt auch: Einige sprechen die Tanzsprache von Soavi schon quasi als Muttersprache, andere müssen sich erst hineinfinden. Was bedeutet das für deine Arbeit?
Ich finde, das ist sehr gut (lacht). Das ist auf jeden Fall ein Plus für uns. Wir haben Tänzer, Tänzerinnen, die von Anfang an dabei sind – Federico Casadei und Lisa Kirsch – aber auch Musiker, zum Beispiel Stefan Bohne, der schon die allererste Produktion „Black Bird Boy“ mit mir gemacht hat; oder auch im Bereich Kostüm und im Büroteam. Mit dem festen Kern gibt es das gute Gefühl, dass es schon ein funktionierendes Team gibt. Aber jeder, der neu hinzukommt – egal in welchem Bereich – bringt wieder etwas Neues und viel neue Energie mit. Wir haben dadurch eine flexible Struktur, machen immer wieder neue Erfahrungen. Dadurch bleibt alles sehr lebendig, das ist für mich sehr wichtig.
Machen wir ein kleines Spiel: Ich nenne jetzt eine Reihe von Begriffen, von denen ich glaube, dass sie in deiner Arbeit eine besondere Rolle spielen – und du sagst, was dir als erstes dazu einfällt! Nr. 1: Körper.
Es bleibt für mich immer spannend, herauszufinden: Was kann ich mit dem Körper alles machen? Wie viele (für uns) neue Bewegungen kann ich finden? Der Körper als „Maschine“ ist wie ein Kaleidoskop, man kann die Bewegungen immer neu zusammensetzen. Der Körper ist auf jeden Fall immer der allererste Ausgangspunkt für meine Arbeit.
Musik.
Musik ist für mich ein Weg, mit neuen Sachen zu experimentieren. Wenn man mit einem festen Track arbeitet, ist damit immer schon viel vorgegeben – es entsteht immer schon ein Bild dazu im Kopf. Wenn ich mit Komponisten zusammenarbeite, dann kann ich viel breiter denken, die Fantasie läuft quasi in ein größeres Format. Die Zusammenarbeit mit Live-Musikern ist deshalb ein Weg, den ich auf jeden Fall weiterverfolgen möchte. Egal ob es klassische Musik, Barockmusik oder elektronische Musik ist. Dabei geht es immer um die Spannung, die zwischen der Musik und dem Körper entsteht. Auch um die Frage: Wie kann ich meinen Körper benutzen als ein Instrument, so wie ein Musiker diesen fremden Körper benutzt. Die Musik wird dann zu einem Teil von mir, und ist nicht nur ein Hintergrund, der dem Tanz dient.
Raum.
Raum ist auch sehr wichtig, denn der Körper bewegt sich immer im Raum. Die Frage ist immer: Wo bin ich in diesem Moment? Dadurch ist der Körper einerseits Objekt in einem definierten Raum, aber indem ich in der Choreografie den Raum mitdenke, bewege ich auch den Raum. Außerdem bedeutet Raum ja nicht nur den gebauten Raum, die Architektur – auch der Körper hat eine Architektur, auch der Körper ist ein Raum. Diese beiden Elemente greifen ineinander und wirken aufeinander ein. Deshalb frage ich mich schon bei der Konzeption eines neuen Stücks: Was ist dafür der richtige Raum? Oder umgekehrt: Was ist das Richtige für diesen Raum?
Mythos.
Die klassischen Mythen waren für mich immer schon sehr präsent, seit meiner Kindheit – für mich sind sie präsent quasi in jedem Stein der Städte meiner italienischen Heimat. Und die Mythen haben heute noch so viel Potenzial, man kann endlos spielen mit der Verbindung aus den mythischen Elementen und denen der realen Welt und neue Geschichten damit erzählen. Auf der anderen Seite ist der Mythos für mich auch ein ganz klares Signal, das zeigt: Der Mensch hat sich nicht sehr geändert. Wir benutzen heute noch diese Mythosklischees, sogar in der digitalen Welt.
Virtuosität.
Das hat natürlich viel zu tun mit meiner Ausbildung – ich habe angefangen als Balletttänzer, und das war lange Zeit auch mein Weg, wie ich Tanz gesehen habe. Dann habe ich gesehen, dass das nicht genug ist – aber es hat eine Weile gedauert. Heute finde ich es nicht mehr wichtig, Virtuosität um ihrer selbst willen zu zeigen. Virtuosität heute bedeutet für mich eher „knowledge oft he body“: zu wissen, was ich mit meinem Körper alles machen kann.
Recherche.
Die konzeptionelle Recherche ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit und knüpft an meine Erfahrungen im Studium an – die Beschäftigung mit historischen oder philosophischen Quellen zum Beispiel. Die Frage ist: Wie kann ich das mit Tanz zusammenbringen? Wie können diese beiden Sprachen miteinander kommunizieren, oder wie können sie voneinander profitieren? Mir diese Zeit zu nehmen, zu recherchieren und nicht sofort mit dem Körper im Studio zu arbeiten, gibt mir sehr viel. Es ist eine andere Art von Energie.
Kunst.
Bilder sind überall, und sie waren immer schon entscheidend für unser Verständnis von Welt. Denken wir nur zum Beispiel an die mittelalterliche Kunst, als die meisten Menschen nicht lesen konnten. Auch heute sind wir ununterbrochen umgeben von Bildern, die Informationen transportieren, beziehungsweise gerade heute durch die digitale Welt, durch die sozialen Medien sind es eher zu viele Bilder. Aber wir können uns dem nicht entziehen. Wir nehmen unentwegt Bilder auf, und dann ist es eine Überraschung, was wir damit machen. Da sehe ich ein Foto, das Joris Jan Bos von einer meiner Produktionen gemacht hat und denke plötzlich: Das sieht ja aus wie ein Caravaggio.
Und das letzte: Seele.
Meine Company heißt „Emanuele Soavi incompany“. Und das meint nicht einfach „Tanzkompanie”, sondern die Grundidee war „in company mit…”. Ich brauche diese Erfahrung, als Mensch mit anderen zusammenzusein. Seele bedeutet für mich genau das: Mit Menschen zusammenzusein und als Team diese Kreativität hervorzubringen. Und wenn es um das geht, was auf der Bühne zu sehen ist: Seele bedeutet, dass es eben nicht nur um Virtuosität geht, sondern dass es etwas gibt, das den Zuschauer berührt. Ich brauche es, Emotionen zu spüren, positive oder negative. Auch wenn manch einer es so sieht, dass Emotionen im zeitgenössischen Tanz „verboten“ sind – für mich ist das zu wenig.
Blickt man auf dein Schaffen, dann fällt auf, in wie vielen unterschiedlichen Formen und Größenordnungen du arbeitest – vom experimentellen SOLO LIKE A PIG bis hin zu Großprojekten wie FLUT mit der Oper Köln und den Duisburger Philharmonikern. Und es gibt immer wieder Berührungspunkte mit anderen Genres wie Literatur, bildender Kunst und Film. Birgt die Vielfalt nicht auch eine gewisse Uneindeutigkeit, die Gefahr nicht erkennbar zu sein? Warum ist sie dir so wichtig?
Ich denke, von außen kann man das tatsächlich positiv oder negativ wahrnehmen, und es kann Fragen aufwerfen. Für mich ist es aber einfach eine Folge meiner Neugierigkeit. Die Bühne ist das klassische Format, aber warum soll ich mich darauf beschränken? Ich lese, ich gehe in Museen, ich schaue Filme. Warum soll ich nicht auch damit in meiner Arbeit eine Beziehung anfangen? Mir ist die Freiheit, Dinge ausprobieren zu können, wichtig. Ich glaube, dass trotzdem eine Art roter Faden in meiner Arbeit erkennbar ist. Es ist vielleicht ein Risiko, aber ich muss diese Dinge ausprobieren. Wir leben schließlich nur jetzt, und es gibt ohnehin so viele Regeln. Die Neugier, die Lust am Experimentieren gehört einfach zu mir.
„10 Jahre Emanuele Soavi incompany“ soll vom 18. September bis 2. Oktober 2022 in der TanzFaktur in Köln gefeiert werden. Was hast du dafür ausgewählt und warum?
Ich denke, in dem Programm kristallisieren sich genau die Elemente, über die wir gerade gesprochen haben – für die Zuschauer, aber auch für uns selbst im Rückblick auf diese zehn Jahre incompany. Wir starten mit unserem Living-Room-Format, das bei seinem Start vor sechs Jahren etwas ganz Neues für uns war, nämlich in einen direkten Kontakt und Austausch mit dem Publikum zu treten. Auch das bedeutet für uns „in company“, nämlich in company mit den Zuschauern. Dazu die Ausstellung ACTS, die in der Zeit des Corona-Lockdowns entstanden ist, auch da geht es darum in Kommunikation zu sein, die erzwungene Distanz zu anderen zu reflektieren aber auch zu überbrücken. Dann als größeres Format die Premiere von GEZEITEN, was an FLUT anknüpft und daher viel mit unseren Koproduktionen zu tun hat, und wo klar der Tanz im Mittelpunkt steht, mit dem Körper als Protagonisten. Dann ORAKEL, das mehr die experimentelle Seite von incompany repräsentiert, das auch von der Interaktion mit den Zuschauern lebt, und was als Teil der begonnenen Reihe SOLO LIKE A PIG auch schon in die Zukunft weist. Dann haben wir den Film ALL IT TAKES als exklusive Preview – für mich etwas komplett Neues. Gemeinsam mit der Filmemacherin Meritxell Aumedes Molinero haben wir nicht etwa eine Performance filmisch dokumentiert, sondern diese mit einer eigenen Dramaturgie wirklich in das Medium Film übersetzt – das finde ich sehr spannend. Wichtig für das Jubiläumsprogramm sind auch die Workshops, denn wir wollen die zehn Jahre nicht nur für uns selbst feiern. Diese zwei Wochen sollen ein offener Dialog sein mit der Stadt Köln – und überhaupt mit allen, die kommen und die Lust haben, mit Künstlern, Tänzern und anderen Zuschauern zusammenzusein, etwas zu erleben, ins Gespräch zu kommen.
Der neue Tanzabend GEZEITEN besteht aus einem Teil des Stückes FLUT, der großen Produktion von 2021 zum Beethovenjahr, und einem neuen Teil mit dem Titel URANUS BALL. Was kannst du zu dem neuen Stück sagen? Wie hängt es mit FLUT zusammen?
URANUS ist für mich ein Stück, das zwar an FLUT anknüpft, aber zugleich einen „cut“, einen Schnitt zu dem vorherigen und den Anfang von etwas Neuem markiert. Ein Weiterdenken darüber, was aus der Vergangenheit folgt, und wie es weitergehen kann – nicht nur für uns als Company, sondern auch mit dem Blick auf die Welt überhaupt. Auch das Thema Mythos spielt dabei natürlich
eine Rolle, der Mythos vom Urgott Uranus, der all seine Kinder in den Tartaros verbannte und der von seinem Sohn Saturn oder Kronos entmachtet wird – was quasi den Beginn eines neuen Zeitalters bedeutet und den Übergang vom Chaos zur Ordnung. URANUS BALL hat viel zu tun mit dieser Idee, dass aus etwas, das zu Ende geht, doch wieder etwas Neues entstehen kann. Oder dass vielleicht auch etwas zu Ende gehen muss, damit etwas Neues entstehen kann. Außerdem gefällt mir, dass Uranus auch ein Planet ist. Dieses Thema „Universum“, von dem wir ein Teil sind und von dem wir beeinflusst sind, steckt auch darin. Es sind viele Assoziationsebenen, die dabei ineinanderspielen.
Kannst du noch etwas zur Musik von URANUS BALL sagen?
Die Musik wird eine neue Komposition von Ashley Wright sein. Ashley hat bei FLUT in der Oper Köln als Tänzerin mitgewirkt, diesmal arbeiten wir mit ihr als Musikerin und Komponistin. Sie wird die Musik auch selbst einspielen, aber nicht live auf der Bühne, sondern im Videoformat, weil wir auch diese Spannung zwischen digitaler und realer Welt haben möchten. Es wird auf jeden Fall eine elektronische Komposition sein, bei der auch der Klang des Planeten Uranus eine Rolle spielt.
Zum Abschluss nochmal ganz allgemein gefragt: Was wünschst du dir für die Zukunft? Für die nächsten zehn Jahre Emanuele Soavi incompany?
Ich wünsche mir, genauso wie bisher offen zu bleiben und die Möglichkeit zu haben, mit so vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern zusammenzuarbeiten. So dass wir diesen jetzt etablierten offenen Raum noch weiter ausdehnen können, weiter mit den verschiedensten Formaten arbeiten und immer noch Neues entdecken können.
Das Gespräch führte Anne-Kathrin Reif