©Erna Ómarsdóttir – Bjarni Grimsson

Die Lust am Horror

von KLAUS KEIL

Der Horror als modernes Filmgenre ist spätestens 1968 mit „Rosemaries Baby“ von Polanski unterhaltungsfähig geworden. 44 Jahre später holt die isländische Choreografin Erna Ómarsdóttir mit „We saw monsters“ den Horror auch auf die Tanz- und Performancebühne.
Noch bis Sonntag gastiert ihre Truppe im Rahmen der Gastspielreihe Tanz in der Halle Kalk.

Während man bei Horrorfilmen den schaurig-schönen Grusel-Effekt sucht, löst Ómarsdóttir Inszenierung vor allem Beklemmung aus. Langsam, von Szene zu Szene, kriecht die erst ins Bewusstsein, um dann auch das Unterbewusstsein zu quälen, denn – Hand aufs Herz – sind wir nicht auch manchmal eines dieser Monster, die es ihrer Umwelt schwer machen? Darauf hat es Erna Ómarsdóttir wohl abgesehen: Mit einer abgedrehten, überspitzten Horror-Show auf das alltägliche Monster in uns zu verweisen. „Man muss damit klarkommen und es überrascht einen doch manchmal unangenehm“, hat die Choreografin einmal in einem Gespräch gesagt: „In manchen Leuten wächst das Monster, wird größer und übernimmt sogar die Persönlichkeit.“An Beispielen aus der Realität mangelt es nicht, wie vor einigen Jahren der Rotenburger Kannibalismus-Fall gezeigt hat.

Konsequent steigert sich das Stück auf ein blutiges Ende zu, das einem Vulkanausbruch gleicht.

Es ist ein höllischer Mix von psychedelischem Horror-Trip, einer wilden Tanzperformance und einer Musik, die sich von wispernd-säuselnd bis zu einem ohrenbetäubenden Heavy Metal-Orkan steigert und nicht zuletzt den Legenden von Tod und sexuellen Obsessionen, die Erna Ómarsdóttir singt, schreit, brüllt, als wolle sie sichergehen, dass sie auch jeder mitbekommt. Die abstrus-verwirrten Figuren, die Ótmarsdóttir auf die Bühne bringt, sind hässlich-schöne Albtraum-Gestalten, die uns vielleicht nicht das Fürchten lehren, aber stellvertretend für die bösen, untergründigen Fantasien der Menschen stehen, ebenso wie – symbolisch – auch für deren Ängste. Da sind zwei Mädchen, zwillingsgleiche blonde Unschuldslämmer im pinken Kleidchen, weißen Kniestrümpfen im Schnallenschuh, die zu blutsaugenden Vampiren mutieren, wenn sie gegen Ende des 90-Minuten-Horror-Trips rechts und links an der Brust der Mutter hängen und ihr statt Milch das Blut aussaugen. Oder rächt sich hier (symbolisch) ein verkorkster Erziehungsweg?

Anfangs erscheinen die Mädchen eher willen- und meinungslos. Brav tanzen sie ihre bodennahen synchronen Tanzformen. Das ist nett anzusehen. Doch wenn sie zu Boden fallen, sind ihre Gliedmaßen unnatürlich abgeknickt und verdreht wie bei einer zu Boden geworfenen willenlosen Puppe. Ihre Bewegungen wirken bald zunehmend morbider. Bravheit suggeriert das rosa Kleidchen, aber böse ist ihr Blick. Das Aufbegehren der Mädchen war also nur eine Frage der Zeit.

Dann ist da der durchgeknallte Typ im roten Frauenkleid, der, mal nachtwandlerisch, mal zuckend und zappelnd, seinen Obsessionen verfallen scheint. Und da sind der weißgekleidete Junge und der schwarze Sensenmann, die ein unglaublich starkes Todes-Duett tanzen. Es ist ein makabrer Tanz auf der Sense zu einer psychedelischen Musik von Valdimar Jóhannsson, der als Partner von Erna Ómarsdóttir auch Konzept und Gestaltung mit verantwortet.
Der Tod gibt mit seiner Sense die Richtung vor, wirft, hebt und wendet den Körper des Jungen, lässt seinen Kopf auf der Sense tanzen und stößt ihm zum Schluss das Eisen durch den Körper, mit dem der Junge noch heftig masturbiert.

Damit wendet sich das Blatt auf der Bühne. Dröhnend übernimmt Heavy Metal die Führung. Völlig crazy flippen alle nur noch aus. Jeder in seiner eigenen „ver-rückten“ Bewegung: zuckend und zappelnd, hospitalistisch wiegend,  wild um sich schlagend, hyperventilierend bis zur Trance: lebende Tote, die mit abgeschlagenen Gliedmaßen, blutigen Händen, in bedrohlich geschlossener Phalanx nach vorn rücken – was für ein Szenario! Da hätte es der exorzistischen Schlussszene – zumindest in dieser blutigen Breite – gar nicht mehr bedurft. Zu sehr setzt die Choreografin damit auf platte Effekte und wirkt in diesen Szenen sehr plakativ. Was mit elfengleichen Wesen harmlos begann hat sich zu einem selbstzerstörerischen Chaos gesteigert. Kann es daraus ein Zurück geben? Bei Erna Ómarsdóttir offensichtlich nicht, denn was von ihr 90 Minuten an blutrünstigen Fantasiegeschichten aufgehäuft wurde, lässt sich nicht so schnell wieder abtragen.

Der Zuschauer sollte also starke Nerven haben und mit dem offenen Ende     (weiter-)leben können. Man schreibt es ja gerne der Ödnis bestimmter Landstriche zu, dass sich dort besonders gern Legenden und Mysterien um monsterähnliche Fabelwesen bilden, die doch nur Spiegel der dort lebenden Menschen sind. Ob Ómarsdóttir mit diesem Stück auch ein Sittengemälde ihrer Heimat zeichnen wollte, ist nicht überliefert. „We saw monsters“ will ein poetisches Stück sein. Dazu hätte es allerdings „well done“ sein müssen und nicht so blutig überzeichnet.