Ausführliche Nachtkritik der Uraufführung

„Der Riss“

von Tanzwerke Vanek Preuß

Premiere am 24.Januar 2019 in der Brotfabrik Bonn

(weitere Aufführungen: 25. und 26.Januar, sowie 1., 2., 8. und 9.Februar jeweils um 20 Uhr)

Von KLAUS KEIL

Unter starkem Applaus  ging gestern Abend in der Brotfabrik Bonn die Uraufführung des neuen Stücks „Der Riss“ der Tanzwerke Vanek Preuß zu Ende. Der Applaus galt sicher nicht nur dem fulminanten Solo des Tänzers Dwayne Holliday, der damit in den letzten Minuten des Abends das Stück noch einmal zu einem unerwarteten Höhepunkt geführt hat. Unerwartet deshalb, weil das bewegungsintensive Stück durchgängig stark mit Körperverformungen, verlangsamten und beschleunigten Bewegungsabläufen arbeitete, aber weniger aus dem zeitgenössischen Tanzrepertoire schöpfte. Das besorgte mit tänzerischer Überzeugungskraft Hollidays Solo, in dem Auflehnung und Widerstand, aber auch Hoffnung und Zuversicht lag. Zu Chopins Violoncello-Klängen zieht sich sein Körper zusammen, als werde er von einer unsichtbaren Kraft gezogen. Doch er befreit sich aus dieser Enge, wirft die Arme nach oben, streckt, dreht und wiegt den Körper als erlebe er Befreiung durch Bewegung. Das passt zur Gesamtkonzeption des Stückes, die in ihrer Szenenabfolge sowohl Widerstand als auch körperliche und geistige Lähmung in vielen Einzelszenen thematisiert. Und Bewegen heißt in diesem Stück nicht gleich Bewegung. Mehrfach sind die Performer Dwayne Holliday, Guido Preuß und Karel Vanek (die das Stück auch gemeinsam choreografiert haben) starr wie Pakete verpackt, können sich nur um die eigene Achse drehend fortbewegen, aber unfähig, um selbstbestimmt zu agieren. Das führt zu komischen Momenten, etwa wenn diese Pakete in den gleichen Rhythmus verfallen. Doch Preuß´ Humor ist bekanntlich tiefschwarz und so lassen sich hier auch gleichgeschaltete Objekte vermuten.

Pressebilder©TANZweb_Der Riss TANZwerke Vanek / Preuss Der Riss

Pressebilder©TANZweb_Der Riss TANZwerke Vanek / Preuss Der Riss

Zwar knüpft „Der Riss“ unübersehbar stilistisch und zum Teil auch inhaltlich an das Erfolgsstück der Bonner Tanzwerke „Auroras Redlines“ (2017) an. Damals wie auch heute wird von den Tänzern höchster körperlicher Einsatz verlangt, wenn sich ihre Körper und Gliedmaßen verformen und abstrakte und bizarre Formen hervorbringen. Dabei fängt alles ganz harmlos an. Drei männliche Körper, nackter Oberkörper, schwarze Unterhose, bringen liegend Bewegung durch tiefes Atmen in ihre Bodys. Der Brustkorb wölbt sich immer stärker, bringt Leben und Bewegungslust. Man hüpft und krabbelt über den Boden, paarweise, in Reihe, und wie es scheint, in voller Zufriedenheit, wäre da nicht dieses unangenehme leise Knistern, das sich selbst über die Musikeinspielung legt. Und dann das Ungeheuerliche: Dwayne Holliday schert aus, zieht ein Bein hoch, legt es auf die Schulter des gebeugten Oberkörpers. Schon das schmerzhaft anzusehen, zieht er das Bein mit dem Arm noch tiefer, überdehnt den Körper, zum Reißen gespannt. Die Veränderungen an den drei Performern sind jetzt unübersehbar: Dwayne Holliday deformiert und verstümmelt, Guido Preuß am Boden, den Körper hospitalistisch hin- und herwiegend, Karel Vanek überkommt ein unbändiges Zittern (später wird er sich die eigene Haut abziehen wollen), unbarmherzig schlägt er mit der Schulter immer wieder hart auf den Boden. Ein fast schon apokalyptisch anmutendes Bild. Die Musik hat ausgesetzt. Über allem liegt nur noch dieses stärker werdende Knistern und Knacken. Kündigt sich da eine Katastrophe an? Steht uns der große Riss, der hier angedeutet wird, bald bevor? Halten die Sicherungssysteme noch, die die einzelnen Gesellschaften und die das große Ganze bisher zusammen gehalten haben? Bringen wir das Fingerspitzengefühl, die Empathie dafür auf, inne zu halten bevor „Der Riss“ die Entwicklung wieder zurück schraubt?

Pressebilder©TANZweb_Der Riss TANZwerke Vanek / Preuss Der Riss

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Was also steht uns bevor? Es erscheint müßig, in dieser Rezension darüber zu spekulieren, denn die Stärke dieses Stückes liegt in seiner überzeugenden Abstraktionskraft, seinem großartigen choreografischen Einfallsreichtum. Es wäre sicher nicht falsch zu fragen: Was haben diese drei durchgeknallten Figuren, diese drei Körper auf der Bühne mit mir und meiner Lebenswirklichkeit zu tun? Was mit der Gesellschaft, in der ich lebe? Jawohl, ich kann mich als Zuschauer über die mal versteckte, dann wieder offensichtliche Komik amüsieren oder mich ärgern über die scheinbare Banalisierung einer Problematik.

„Der Riss“ ist sehenswert. Das Stück ist intelligent inszeniert und unterhaltsam gestaltet – und mit beidem stößt es das Assoziationsvermögen der Zuschauer an.

Pressebilder©TANZweb_Der Riss TANZwerke Vanek / Preuss Der Riss

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