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DIE LIEBE DER EISBÄRENKINDER …

Nachtkritik zur Aufführung TIME FOR US von FABIEN PRIOVILLE COMPANY in der Alten Feuerwache
von Klaus Dilger

Während Ben J. Riepe in Dortmund im Rahmen der Favoriten ’14 an seinem neuen Oeuvre „THE WHITE VOID“ (Die Weisse Leere) arbeitet, bringen Azusa Seyama und Fabien Prioville in Köln zeitgleich in einem unendlichen weissen Nichts, einer arktischer Landschaft, ihre erste gemeinsame Choreographie unter dem Titel „TIME FOR US“ auf die Bühne des Bürgerhauses Alte Feuerwache.

Obwohl das Programmheft behauptet, sich auf „den erlebten Augenblick der Begegnung zwischen zwei Menschen zu konzentrieren, auf die Suche nach der Bedeutung dieses Momentes, ein Erforschen von Orten der Gemeinschaft, der Beziehung von zwei Tänzern auf der Bühne. Wie begegnen wir uns? Wo kommen wir mit all unseren Ansprüchen und Bedürfnissen her? Was verbindet uns?“ und damit die Erwartung genährt wird, an dieser Beziehungsentdeckung teilzuhaben zu dürfen, fällt es schwer, hierbei nicht an den französischen Autor, Journalisten und Kritiker René Barjavel zu denken.

Dieser erlangte seine Bekanntheit als Science Fiction Autor, und insbesondere durch „Ravage“ und seinen grossartigen Roman „La Nuit des Temps“ (Die Nacht der Zeit) , bei dem Forscher in der Antarktis im „ewigen“ Eis die Geschichte des Untergangs einer Zivilisation entdecken, aber auch die Geschichte einer Liebe, deren „unendliche“ Dauer durch das eingeleitete Schmelzen des Eises, einem menschlichen Eingriff in die Zeit also, ein ebenso unaufhaltsames wie dramatisches Ende finden wird.
Wollen Seyama und Prioville die Zeit in umgekehrter Richtung überwinden?

Prioville beschäftigte sich in seinen vorausgegangenen Arbeiten exzessiv mit neuen Technologien und (teil)virtuellen Welten, doch statt der Technik stehen hier zwei Menschen  und deren reale Beziehung zueinander im Mittelpunkt – wenngleich in einer (science)fiktiven Welt?

TIME FOR US, Zeit für uns, klingt wie ein Versprechen, das sich Paare in einem mutmaßlich letzten Akt des Versuches geben, ihre kaputte Beziehung doch noch retten zu können.
Die beiden Tänzer geben keinerlei Hinweis und Hoffnung darauf, dass es bei ihnen anders  sein sollte. Ihren Begegnungen auf der Bühne wohnt immer eine vorausgegangene Verzweiflung oder gar ein Scheitern inne.
Sich in die gleiche Richtung zu drehen aber dennoch allein und in unterschiedlicher Haltung hierzu, ist auf Dauer eine allzu dünne Übereinkunft.

Wird zu Beginn die „Glitzerwelt“ in Form eines goldenen Ballons noch gemeinsam aufgepumpt und aufgeblasen, wobei es zur einzigen intimeren Begegnung kommen soll, so wird diese der Einen bald zur Last der Welt. Daran ändern auch die brennenden „Wunderkerzen“ wenig, die Prioville seiner Partnerin in die Hände drückt. Gleiches wird später Seyama tun, während Prioville auf der Weltenkugel zu balancieren versucht aus der sie die Luft ablässt.
Doch Nachschub an derlei Weltmodellen ist reichlich vorhanden und kaum hat Azusa Seyama in einem berührenden Solo erstmals Emotionen offenbart, reitet Fabien Prioville in einer Mischung aus Zorro, Supermann und Baron Münchhausen auf seiner goldenen Kugel durch das weisse Nichts.

Nur wenige Momente gemeinsamer Bewegungssequenzen offenbaren Hoffnung auf Harmonie, doch auch hier gelingt es keinem der Beiden seine Rollen abzuwerfen und sich selbst und einander zu finden.
Immerhin mögen diese Spuren genügen, um noch einen Funken Hoffnung aufrecht zu erhalten, wenn sich Fabien Prioville einen goldenen und Azusa Seyama einen weissen Ganzkörper-Overall überziehen und wie zwei Königskinder reglos verharren, als würden sie darauf warten, zu Eis zu erstarren in der Hoffnung auf eine andere Zeit, eine „Zeit für Uns“.

Diese erste gemeinsame Arbeit ist ein leicht zu unterschätzendes Werk, trotz oder wegen der grossen Bekanntheit der beiden Protagonisten als Pina Bausch Tänzer. Dies würde den feinen Spuren, die hier gelegt werden nicht gerecht. TIME FOR US ist noch kein ausgereiftes Werk und auf Grund des persönlichen Bezugs des Stoffes zu seinen Darstellern, wie es in den Vorankündigungen heisst, mag es Kritiker abschrecken, sich damit auseinander zu setzen. – Dies wäre keine Haltung. – Der Mut der Akteure verlangt den Mut der Erwiderung und diese erste Arbeit verdient es allemal, sich damit auseinander zu setzen.

So wird das Publikum mit der Erinnerung an das Eingangs-Bild entlassen,  den gänzlich unwirtlichen weissen Raum und das Zischen und Pfeifen des unbarmherzigen arktischen Winds, während zwei Eisbärkinder zärtlich spielerisch zueinander fanden
„Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb, sie konnten beisammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief.“

Weitere Aufführungen: 29.10., 20Uhr Alte Feuerwache