Kein Honigschlecken

Stücke von Sabina Perry und dem Niederländer Gertjan Franciscus beim „Katalyst Festival“ in Köln

von Nicole Strecker

Ende der 60er Jahre musste der Theaterkünstler allzeit darauf gefasst sein: Fühlt sich der Zuschauer provoziert, stürmt er vielleicht die Bühne. Claus Peymann hatte das im Verbund mit Peter Handke gern bedient und bei der legendären „Publikumsbeschimpfung“ noch eigenhändig die Zuschauer von seiner Bühne geschubst. In einer späteren „Inszenierung“ eines Stückes mit dem Titel „Das gibt’s nur einmal“ verweigert er gleich ganz das Theaterspiel und überlässt den Zuschauern einfach eine vollgeramschte Bühne – und die um ihr Stück Betrogenen entern die Spielfläche und verarbeiten die Kulissen zu Kleinholz. Auch Marina Abramović dokumentierte einst die Gewaltlust des Publikums und die Verletzlichkeit des Performers, als sie 1974 mit „Rhythm 0“ ihren Zuschauern Waffen reicht und sich den aufflackernden Aggressionen ausliefert. Am Ende war sie halbnackt, blutig verwundet, von einer Pistole bedroht.

Heute dagegen: lammfromme Duldsamkeit im Zuschauerraum, ganz egal ob Eintönigkeit oder Exzess die Bühne beherrscht. Da muss wohl erst ein anderer Künstler kommen, ohne Hang zu kollegialer Solidarität, dafür mit großem eigenem Ego und ideologischen Prinzipien, damit ein Stück ungeplant zum interaktiven Happening wird. So nun geschehen bei der dritten Edition des Kölner „Katalyst Festivals“, das mit einem Mischprogramm aus Tanz, Performance, Clubbing und Workshops eigentlich Künstler zum friedlichen Crossover inspirieren möchte. Doch statt Kollaboration – offener Konflikt.

Auf der Bühne: Ein weißes Sofa, in dessen „Ritze“ (und das Wort darf man in diesem Zusammenhang ruhig doppeldeutig verstehen) eimerweise Honig, oder hoffentlich Kunsthonig, gekippt wird. Darauf suhlen sich zwei nackte Grazien, blond die eine, brünett die andere. Ihre Haut trieft schon von der süßen Masse, als sich ein nackter, dünner Mann mit goldener Krone auf dem Kopf zu ihnen gesellt. Gertjan Franciscus, Choreograf mit Vorliebe für prophetische Figuren und an diesem Abend: „The Honey Queen“ – die allerdings doch unübersehbar ein Honey-King ist, der sich von seinen zwei „Konku-Binen“ im Gold-Bad ungeniert hofieren lässt.

Zu dritt rutscht man auf dem beengten Raum des Kanapees ein Weilchen im Glibber herum, verschlingt die Glieder. Aber aus Sinnlichkeit wird spätestens dann Sinnfreiheit, wenn der hüllenlose Honigkönig zu sprechen anhebt. Mit dünner Stimme säuselt Franciscus auf Englisch Nonsense-Wortreihungen: „Hello, Guckguck, epileptic attack, click clock, electric shock“ heißt es da und das ist quasi schon ein Höhepunkt in der Volksansprache, weil hierbei der König einen kleinen Zitteranfall bekommt. Franciscus macht also ein bisschen den „Klaus Kinski“ in einem vulgär-erotischen Setting, das vom belgischen Körper-Mansch-Experten Jan Fabre stammen könnte.

Er spielt einen größenwahnsinnig-gefährlichen Regenten, der sich einer göttlichen Epiphanie nahe glaubt. Das ist mäßig komische Persiflage, auch auf die Institution „Theater“ selbst, die sich gern als Ort für Offenbarungen begreift.

Doch dann: Auftritt von Kollegin und Improvisationslehrerin Katie Duck. Sie hatte zu Beginn des Abends gemeinsam mit elf Performern das naturgemäß unausgegorene Resultat ihres Improvisationsworkshops „Tanz und Musik“ präsentiert: Während die Tänzerkörper taumeln und krauchen, werden auch die Instrumente malträtiert und die E-Gitarre etwa mit dem Instrumentarium des Heimwerkers bearbeitet – vom Spachtel bis zur Monsterschraube schrappt das Werkzeug über die Saiten. Ganz normaler Bühnenwahnsinn.

Beim Kollegen wollte Katie Duck allerdings weniger die Ironie des Produkts als den Chauvinismus der Produktion erkennen, also: ‚männlicher Choreograf engagiert zwei Nacktmodells und inszeniert sich selbst als King.‘ Nach verbalen Störungen entert Katie Duck die Bühne, fordert Franciscus zum Kampf um seine Krone heraus. Nicht gerade spielerisch, sondern aggressiv und körperlich übergriffig, so dass der kleine Machtkampf leider im peinlichen Debakel für beide endet. Das Künstler-Leben – kein Honigschlecken.

Und das Kunstwerk selbst? Der Effekt, Körper mit Honig zu überziehen und sie so wie Bernstein-Skulpturen aussehen zu lassen, mag großartig sein – darüber hinaus bietet Gertjan Franciscus nur zähe Banalität. Dem langgezogenen Flutsch-Akt auf dem Sofa folgt eine noch länger gezogene Techno-Dance-Szene, die vor allem offenbart, dass die Performer weniger Tanz- als Aktprofis sind. Schließlich legt der König unter rotgesichtigen Presswehen noch ein goldenes Ei. Aus Biene mach‘ also Huhn? ‚Gaga, gagack, kack‘ – möchte man selbst in der Sprache der royalen Lyrikergüsse bilanzieren.


©TANZweb_Klaus Dilger – Sabina Perry „Funny Girl“

Dann doch lieber gleich das unverbrämte Bekenntnis zum Gag. Sabina Perry, Mitglied des veranstaltenden MichaelDouglas Kollektivs zeigte eine Preview ihrer Performance „Funny Girl“. Als Tattergreisin betritt sie die Bühne als wolle sie gleich klarstellen: Hier wird ein uraltes Format präsentiert, die Stand-up-Comedy. Sie sei ja auch Tänzerin, sagt sie. Aber sie gelte als lustig – was in der verschwiegensten aller Bühnenformen wohl eine Beleidigung sei. Die soll nun nicht widerlegt, sondern  bedient werden.

Tatsächlich gelingen Perry 20 heitere Minuten am Mikrofon mit Witzen über Freundinnen, Männer, Mordfantasien und mit einem sarkastisch-orgastischem Körperbeben am Ende zum Barbra Streisand-Song „Happy Days Are Here Again“. Eine amüsante Miniatur und ein sympathisches Selbstporträt – aber ohne die Ambition, ein „Katalysator“ für die Kunst zu sein.

Die wirklich impulsgebenden Produktionen kommen ja vielleicht erst noch beim „Katalyst Festival“. Am Sonntag Abend sucht MD-Kollektiv-Tänzer Adam Ster in einer Konzert-Tanz-Performance nach dem perfekten Popsong. Die Kölner Choreografin Reut Shemesh verwandelt einen Frauenkörper ganz wörtlich in einen „Kleiderständer“, mit einem spektakulären Seidenkleid der Künstlerin Julia Stefanovici, das von 22 Ballons gen Himmel gezogen wird. Und schließlich die bereits 2014 entstandene Performance „Ode to the attempt“ von Jan Martens, der mit charmanter Selbstironie seine künstlerischen Ziele (und natürlich ihr Scheitern) offenlegt. Ein großartiges Stück, immer auf Augenhöhe mit dem Publikum – womit das „Katalyst Festival“ ein garantiert gutes, tyrannenfreies Ende nimmt.