photos: screenshots aus drumming von ROSAS

Die weite offene Bühne im Expo 1 – Gebäude, dem Ausweichquartier des Schauspiel Köln ist der ideale Ort für „Drumming“, diesem energiegeladenen Tanzstück von Anne Teresa De Keersmaeker, das im Rah
men der Gastspielreihe Tanz jetzt in Köln gastiert . Keine Begrenzung, keine Einengung gibt es für den Tanz und den Sound der gleichnamigen Komposition von Steve Reich. Alle Tänzer stehen durchgängig in lockeren Plaudereien um die Bühne. Die Rollen des orangefarbenen Tanzteppichs bilden einen zufälligen Rahmen. Eine Bahn ist freigeblieben, der Boden dort mit diagonalen, sich kreuzenden Linien gezeichnet. Würde man sie verlängern in den Tanzraum, ergäbe sich eine angedeutete choreografische Struktur, die Richtung und tänzerische Abläufe vorgibt. Ganz am Ende wird diese letzte Rolle mit Schwung ausgerollt. Wenn sie die andere Bühnenseite erreicht und damit die choreografische Linienstruktur bedeckt, enden Licht und Musik abrupt mit einem Blackout. Doch die durch einen hochenergetischen Tanz und eine kanonartige Wiederholung der Minimal Music aufgepeitschte Energie schwingt im Raum noch minutenlang nach. Musik ist Tanz und Tanz ist Musik geworden.

Sechzig Minuten hat sich purer abstrakter Tanz von anfangs kühlen, klar abgezirkelten Bewegungen zu einem Rausch schnell wechselnder Formen und  Formationen gesteigert. Das klassische Bewegungsvokabular ist in „Drumming“ wesentlicher Bestandteil der lockeren zeitgenössischen Bewegungen. Besonders gern spielen die Tänzerinnen und Tänzer mit dem Grand Jeté, dem schönsten Ballettsprung, auch wenn er hier nicht im Spagat endet. Impulsgeber für dieses Wiegen und Wogen der Bewegungen ist die Minimal Music-Komposition von Steve Reich.
Reich stand noch am Anfang seiner kompositorischen Karriere und die Minimal Music steuerte bereits auf ihren Höhepunkt zu, als er 1970 dieses Percussion-Stück komponierte. Wie schon in anderen Tanzstücken von De Keersmaeker gehen auch in „Drumming“ Musik und Tanz eine weitgehend symbiotische Beziehung ein. Harmonische und gegensätzliche Bewegungen und Bewegungsabläufe stehen nicht unversöhnlich nebeneinander, sondern vereinen sich zu einem Ganzen. Plus und Minus. Yin und Yang. Die Choreografie spielt mit diesen polar einander entgegen gesetzten und dennoch aufeinander bezogenen Kräften.

Die eben noch in kleinen Formationen gegeneinander anlaufenden Tänzerinnen und Tänzer vereinen sich schon im nächsten Moment in einer gemeinsamen synchronen Bewegung.  Oft werden Reihen oder Linien gebildet, die Einzelne zu durchbrechen suchen oder aus denen sie ausscheren zu eigenen Soli. „Drumming“ ist in seiner choreografischen Struktur so einfach und zugleich so komplex, das jede einzelne Bewegung, jedes Solo und jede Variation seine Berechtigung für sich und in der Gesamtkomposition erhalten. Genau diese Verbindung von Harmonischem und Gegensätzlichem macht die Faszination dieses Klassikers des modernen Tanzes aus. Jeder kann die einfachen Bewegungen nachvollziehen, aber man muss schon den ständig sich variierenden Bewegungsverläufen genau folgen, um den Moment zu erkennen, in dem sich diese Bewegungen unmerklich verändert und verändernd zu einem komplexen Gebilde neu zusammen setzen. Wie sich die Tänzerinnen und Tänzer zu kleinen Formationen finden und wieder trennen, wie Kontakte gesucht und wieder aufgegeben werden, das alles verläuft bei allem Tempo mit einer heiteren Gelassenheit. Hat man den tänzerischen Wandel bemerkt, ist dieses neue Bild längst wieder in Bewegung geraten, sich erneut zu verändern. Die rollierenden Bewegungsabläufe entwickeln dabei einen Sog der konzentrierten Aufmerksamkeit, der die Energie von der Bühne auch in den Zuschauerraum trägt.

Die Musiker der Gruppe Ictus spielen sich präzis schlagend im Background der Bühne durch die vier Abschnitte von Steve Reichs Komposition. Die Faszination dieses Tanzstücks liegt nicht allein in der Choreografie und ihrer großartigen tänzerischen Umsetzung, sondern auch in Steve Reichs Musik, die sich mit Bongotrommeln, Marimbaphone, Glockenspielen und Vokalstimmen zum Schluss zu einer sich steigernden Kakophonie vereinen, um am Höhepunkt abrupt zu enden. Wie die Choreografie ist auch die Musik einfach und komplex zugleich, denn sie folgt im Grunde einem einzigen rhythmischen Grundmodell, dessen Melodie wiederholt und immer wieder gegeneinander verschoben wird. Beides, Musik und Tanz, machen den Abend zu einem künstlerischen Genuss.

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Drumming Live (2012) _ Rosas & Ictus