©TANZweb_Besucher vertieft in THE MEMORY MACHINE von Stephanie Thiersch

ES GIBT NOCH VIEL ZU TUN…

20 Jahre nrw landesbüro tanz

Nach(t)betrachtungen von Klaus Dilger

Die GESELLSCHAFT FÜR ZEITGENÖSSISCHEN TANZ in NRW feierte Geburtstag: 20 Jahre nrw landesbüro tanz, 20 Jahre Lobby-Arbeit für den Tanz. Sie tat dies mit einer Dramaturgie, die durchaus Spannendes und Nachhaltiges hätte erzeugen können und vielleicht noch kann, sofern Diese als Ausgangspunkt genommen wird für eine kritische, zukunftsgerichtete und ehrliche Reflexion zur Position des Tanzes in unseren medial und politisch sich fortlaufend verändernden Gesellschaften.
(Hierzu mehr und ausführlich auf TANZwebNRW zu einem späteren Zeitpunkt)

©TANZweb.org_die Choreographin Rafaele Giovanola und THE MEMORY MACHINE von Stephanie Thiersch

DRAMATURGIE

THE MEMORY MACHINE

Ein grosses Lob den Gestaltern dieser „Geburtstagsfeier“, die die Gäste bereits zum Empfang optisch und akustisch für einen potentiell aussergewöhnlichen Abend konditionierten: Im Foyer zum KOMED Saal, der „guten Stube“ der SK Stiftung Kultur, fand die futuristisch anmutende Erinnerungsskulptur und Installation zum Gedächtnis des Tanzes der 80er und 90er Jahre der Kölner Künstlerin Stephanie Thiersch ihren bisher überzeugendsten Platz. (wir haben diesbezüglich im Vorfeld bereits ein Interview mit Stephanie Thiersch zu ihrer Arbeit veröffentlicht – zu sehen HIER)
Es ist ausserordentlich bedauerlich, dass diese Arbeit an diesem Ort nur an diesem einen Tag zu sehen war. (THE MEMORY MACHINE ist ein, vom TANZfonds ERBE, gefördertes Projekt)

ECHO DER UTOPIEN

Von hier aus begleitete der stellvertretende Direktor des Deutschen Tanzarchivs, Thomas Thorausch, die Gäste auf einem Rundgang durch die aktuelle, sehenswerte und nachdenklich machende Ausstellung „DAS ECHO DER UTOPIEN – TANZ UND POLITIK“, ehe der Vorsitzende der Gesellschaft für Zeitgenössischen Tanz, Professor Klaus Schäfer, in seiner Eröffnungsansprache vor allem Anne Neumann-Schultheis dankte, ohne deren Willen und Durchsetzungskraft vermutlich diese Feier, zumindest nicht mit dieser Jahreszahl, stattfinden würde. Zu Recht betonte er, dass es nicht nur Ereignisse sind, sondern immer die handelnden Personen, insbesondere in der Kunst, die für die Meilensteine in der Entwicklung der jeweiligen Kunstform gesorgt hätten.


©TANZweb.org_Prof. Klaus Schäfer bei seiner Begrüssungsansprache

Um erreichte und noch zu erreichende „Meilensteine“ sollte es auch in der anschliessenden Diskussionsrunde gehen:

ERINNERN UND GESTALTEN

»Was bleibt – was zählt – was tun?« mit Christina Kampmann, Kulturministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, Anke Brunn, Staatsministerin a. D., 2001–2014 Vorsitzende der Gesellschaft für Zeitgenössischen Tanz NRW e.V., Prof.*in Dr. Antje Klinge, Leiterin des Lehr- und Forschungsbereichs Sportpädagogik und Sportdidaktik an der Ruhr-Universität Bochum, Prof. Dr. Oliver Scheytt, Kulturdezernent der Stadt Essen a.D., Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, Bonn, Stephanie Thiersch, Choreografin MOUVOIR. Moderiert wurde das Gespräch von Ulrike Burgwinkel (WDR) für das Kulturpolitische Forum auf WDR3. (Wir stellen die filmische Aufzeichnung der Diskussion in Kürze auf TANZwebNRW ein)


©TANZweb.org_Begrüssung der Gesprächsgäste durch Dr.Ulrike Burgwinkel vom WDR: Prof.Dr. Oliver Scheytt, Anke Brunn, Stephanie Thiersch, Prof.*in Dr. Antje Klinge, Frau Kulturministerin Christina Kampmann

Aus dieser Diskussion wurde rückblickend vor allem deutlich, dass der TANZ in seiner gesellschaftlichen Anerkennung und insbesondere bezüglich der Strukturen und Produktionsbedingungen für die sogenannte Freie Tanzszene, im Jahr 1995 noch mindestens 20 Jahre hinter Ländern wie Frankreich, Belgien und den Niederlanden zurück geblieben war. Diese Diskussion und die Frage nach dem Warum wurde aber nicht geführt, auch nicht die vergleichende Frage in Bezug auf den heutigen IST Zustand. Vielmehr wurde zu Beginn des Gespräches Bezug genommen auf den Forderungskatalog aus der Konferenz „Tanz und Politik“ des Jahres 1995 und auch hier nur die erste Forderung genannt: „Aus der Verantwortung für den Tanz fordern wir: 1. die politische Anerkennung des Tanzes als eigenständige Kunstform“ (Der Forderungskatalog aus besagtem „ZukunftsPapier Tanz“ findet sich zum Schluss des Artikels)
Selbst eine solch einfache Forderung liess sich, in Bezug auf eine Vollzugsmeldung, 20 Jahre danach von den Gesprächsteilnehmern nicht eindeutig mit JA beantworten.


©TANZweb.org_Anke Brunn, Stephanie Thiersch, Prof.*in Dr. Antje Klinge

Viel zu tun also, noch immer!

Was zu tun wäre, liess vor allem Stephanie Thiersch anklingen. Sie, einzige Künstlerin auf dem Podium, machte die entscheidenden Defizite in der künstlerischen Perspektive der Tanzschaffenden in Deutschland deutlich: es fehlen klare Strukturen für frei arbeitende Choreographen, wie sie etwa in Frankreich in Form von Nationalen Choreographischen Zentren bestünden. Auch zog sie klare Grenzen gegenüber populistisch klingenden Forderungen und machte deutlich, dass Tanzkünstler sich zwar in Solidarität und politischer Meinungsäusserung üben sollen, dass sie aber in erster Linie Künstler seien und nicht die Sozialarbeiter der Nation. Hierin, wie in vielen weiteren Punkten, erfuhr sie Unterstützung von der fundiert argumentierenden Prof.*in Dr. Antje Klinger von der Ruhr-Universität Bochum und einer erstaunlich mutigen, gut zuhörenden Kulturministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, Christina Kampmann, die, erst seit sieben Wochen im Amt, der Veranstaltung durch ihre Teilnahme ein politisches Gewicht verlieh, das sich die Konferenz für Tanz in 1995 noch vergeblich erhofft hätte. – Auch so lassen sich Fortschritte ablesen!


©TANZweb.org_Stephanie Thiersch, Prof.*in Dr. Antje Klinge, Frau Ministerin Chistina Kampmann

Heute Abend findet eine weitere Diskussionsrunde statt, bei der Stephanie Thiersch hoffentlich ebenso mutig und klar argumentieren wird: zum Thema der Kölner Kulturgespräche des Kölner Kulturrats BÜHNEN IM FOKUS – INTERIMSMANAGEMENT UND ZUKUNFTS- PERSPEKTIVEN FÜR OPER, SCHAUSPIEL UND TANZ IN KÖLN.
Wo: Theatersaal des Kölnischen Kunstvereins, Hahnenstraße 6, 50667 Köln.

Auch hieran werden sich vielleicht Fortschritte ablesen lassen:

Nach der Konferenz in 1995 schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ noch: „…Anderes ist reines Wunsch- und Versorgungsdenken Betroffener: etwa , wenn Norbert Servos für die freien Gruppen einen quotierten Anteil an den Spielplänen der Stadttheater fordert und ein System von Spielstätten, das jeder in Deutschland frei produzierten Tanzaufführung ein Minimum von fünfzehn Vorstellungen garantiert, damit Aufführungen, die ohnehin kaum jemand sehen möchte, von noch mehr Menschen nicht gesehen werden…“

Wir sind gespannt!

Forderungskatalog von 1995
AUS DER VERANTWORTUNG FÜR DEN
TANZ FORDERN WIR

1. die politische Anerkennung des Tanzes als eigenständige Kunstform,
2. die Gleichstellung der Kunstform zeitgenössischer Tanz im Verhältnis zu Theater und Musik in Förderpolitik und Raumsicherung,
3. die Entwicklung von Modellen und Subventionskonzepten in Zusammenarbeit mit den Produzenten und Künstlern nach vornehmlich qualitätsfördernden Kriterien,
4. die Schaffung und Erhaltung von Strukturen, die eine kontinuierliche künstlerische Arbeit ermöglichen und absichern,
5. die Schaffung von Produktions- und Aufführungsstätten auf kommunaler und auf Länderebene,
6. die finanzielle Beteiligung der Länder durch feste anteilige Zuschüsse für kommunal geförderte Koproduktionen von Produzenten mit freien Kompanien,
7. die Ergänzung der föderalen durch länderübergreifende Förderungsstrukturen, um damit Netzwerke deutscher Produktionszentren für Gastspielaustausch und Koproduktionen zu unterstützen,
8. die Einrichtung eines Förderprogramms für Produzenten und Veranstalter zur Unterstützung unabhängiger internationaler Austauschprojekte im Tanzbereich, in notwendiger Ergänzung zur Arbeit der Goethe-Institute,
9. angemessene steuerliche Behandlung von Produktionen und Gastspielen, hier besonders die Einführung von Freibeträgen in der Ausländereinkommenssteuer im Rahmen des Jahressteuergesetzes, um die kulturelle europäische Integration nicht zu gefährden;
10. daß die Theaterstrukturreform tatsächlich in Angriff genommen und durchgeführt wird. Die Organisations- und Finanzierungsstrukturen der unabhängigen Produzenten und Veranstalter haben dabei Modell- und Vorbildcharakter. Die einzusparenden öffentlichen Gelder sollen nicht zu Haushaltssanierungen, sondern zur Förderung neuer Modelle eingesetzt werden. Die Bindung großer Teile der Mittel aus den öffentlichen Kulturhaushalten an die Stadt- und Staatstheater muß ohne künstlerische Verluste im Rahmen der Theaterstrukturreform zu Gunsten neuer Organisationsmodelle verändert werden.