Zerbrechen oder Bestehen

Von Klaus Keil

Mit „Dating your Enemy“ startete der gestrige Abend des Bonner Festivals INTO THE FIELDS im Theater im Ballsaal. Danach ging es in der Brotfabrik Beuel mit JAN weiter.
Der Ruf, nein, der Schrei nach mehr Urbanität unserer Städte (was für ein Pleonasmus!) wird immer lauter. Im Dickicht der Städte (nach Bertold Brecht) ist fast kein Leben, sondern gerade mal Überleben möglich. Was macht diese Einsicht mit uns Städtern? Verkümmern elementare Kultur- und Gesellschaftsformen? Verändert es nicht nur den Umgang mit Anderen, sondern auch mit uns selbst? Brechts analytische Beschreibung ist für den Dramaturgen Rainald Endraß und die Choreografin Rafaële Giovanola Ausgangspunkt für das Tanzstück „Dating your Enemy“. Zwei Männer ringen verbissen um Status, Macht, Einfluss. Jedes Mittel ist ihnen dabei recht. Sie spucken den Anderen an, erniedrigen ihn. Und wenn sie ihn hinreichend gedemütigt haben, richten sie ihn großzügig wieder auf.

Zwei herausragende Tänzer geben diesem Spiel die richtige Würze – und Glaubwürdigkeit, denn Joris Camelin und Martin Inthamoussú tauchen auf frappierende Weise in diese Rollen ein. Dabei entdecken sie unerwartete Seiten an sich und erkennen, dass dieses Dickicht auch sie selbst verändert. Dezent eingespielte Projektionen von heimeligen Wohnzimmern suggerieren eine latente Sehnsucht nach dem Gegenteil dieses Kampfes: nach Ruhe und Geborgenheit. Doch es bleiben „Projektionen“, denn der vordergründige Kampf scheint keinen Raum für menschlichen Umgang zu lassen.

„Dating your Enemy“ ist auf brutale Weise realistisch und auf ehrliche Weise abstrakt, denn der sichtbare Kampf ist nur ein Vehikel, um die inneren Befindlichkeiten und Zwänge an die Oberfläche zu holen, die die Protagonisten so handeln lassen. In einem wunderbaren Zusammenspiel führen Dramaturgie und Choreografie den Zuschauer Schritt für Schritt behutsam zu dieser Erkenntnis. Was diesem Duett so eine überragende Qualität verleiht, ist vor allem die tänzerische Ausdruckskraft von Camelin und Inthamoussú. In ihren Bewegungen, ihren Gesten und Blicken liegt oftmals ein geradezu kindliches Erstaunen über sich selbst, als würden sie sich in jeder Aufführung wieder neu erkennen.