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Sturmlauf und Stillstand
„What’s left“ von Liat Waysbort – Gastspiel im Theater im Ballsaal
Von Elisabeth Einecke-Klövekorn

Mit weit ausgebreiteten Armen sitzt anfangs einer da. Versunken in sich selbst, während die anderen sich verbeugen. Liat Waysbort spielt in ihrer Choreographie „What’s  left“ mit ritualisierten  Bewegungen und mit gesellschaftlichen Codes. Es gibt Männlichkeits-Posen und kokette Hüftschwünge, ironisch zitierte Showeffekte, manchmal fast kindliche Hüpfspiele, dann wieder akrobatische Luftsprünge. Die zwei Tänzerinnen und drei Tänzer  im leeren Raum zelebrieren mit viel Witz die Leichtigkeit  des Seins und die Last der ständigen Zeitnot. Von der Balance zwischen Kosten, Zeit und Qualität ist in unserer ökonomisierten Welt viel die Rede. Ebenso wie von der „Qualitätszeit“, in der man stressfrei genießen soll, Beziehungen pflegen und sich selbst begegnen. Was indes längst wieder funktionalisiert wird im Prozess der Selbstoptimierung.

„What’s left“ untersucht, was übrig geblieben ist von all den gesellschaftlichen und privaten Revolten der letzten Jahre.  Ein bisschen auch, was noch ‚links‘ ist im politischen Spektrum und wie wir umgehen mit dem Wandel der Bedeutungen von Nähe und Fremdheit. Was die stete Beschleunigung macht mit unserem Bewusstsein und mit unseren Körpern. Mit um 90 Grad vorgebeugten  Oberkörpern bleiben die Tänzer immer wieder stehen und wenden ihren Blick langsam nach vorn, bis er sich trifft mit dem Blick der Zuschauer. Sehr oft agieren sie frontal zum Publikum und ziehen es durch diesen Kontakt hinein in ihren Lebenstanz.

Mit weiten Sprüngen oder kleinen Hüpfern mit geschlossenen Füßen durchmessen die Tänzer den Raum, angetrieben von monotonen Rhythmen. Es ist eine getaktete Zeit, die ihre Bewegungen bis zur Erschöpfung hetzt.  Sie rennen auf der Stelle, rasen gegeneinander und verharren plötzlich wieder. Momente von Konfrontation und Zärtlichkeit wechseln sich ab in der dramaturgisch sehr genau gebauten Choreographie.
In Waysborts fulminanter Körpersprache entwickeln alle Tänzer individuelle Variationen der wiederkehrenden Schrittfolgen und gelegentlich fast klassisch anmutenden Tanzfiguren. Hie und da ein Battement oder eine Arabesque aus dem Ballett-Vokabular, frech konterkariert durch originelle Neuinterpretationen.  Auf dem Rücken mit hochgestreckten Armen und Beinen liegen sie wie Kafkas hilfloser Käfer und stürzen sich dann wieder in den geschäftigen Taumel. Bis sie in einer wunderschönen Sequenz gegen Ende ihre Arme ausstrecken und dann ihre Hände jeder für sich wie zu einer offenen Blüte formen, in der vielleicht etwas aufgefangen werden kann von dem, was geblieben ist. Manchmal steigt einer aus dem aggressiven Diktat der Geschwindigkeit aus und stellt sich an den Rand. Zum Schluss machen  sie das alle.
„What’s left“ bleibt bei aller emotionalen Direktheit dennoch völlig unsentimental. Die 60 Minuten sind prall gefüllt mit tänzerischer Qualität.
Noch zu erleben heute (22.6.) um 20.00 Uhr im Theater im Ballsaal.