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„FOR FOUR“ und „NATURE MORTE“ | STEPHANIE THIERSCH | MOUVOIR UND DAS ASASELLO QUARTETT IN DER ALTEN FEUERWACHE

Nachtkritik von Klaus Keil


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Das Dilemma ist bekannt und immer wieder kritisiert worden: Die grossen Kölner Ensembles präsentieren ihre Premieren und Uraufführungen häufig lieber ausserhalb der Stadt. An den beklagenswerten Räumlichkeiten für Tanz-Vorstellungen in Köln kann es nicht liegen, denn die Produktionen kommen ja regelmäßig im zweiten Aufguss auch nach Köln.

Wie schädlich das für das Kölner Tanzpublikum werden kann, zeigt die gestrige Köln-Premiere des neuen Tanzabends „for four“. Was als gemischter Tanzabend mit Beiträgen der Kölner Choreografin Stephanie Thiersch und des libanesischen Choreografen Omar Rajeh geplant war, schrumpfte nach der Düsseldorfer Premiere im Dezember 2014 nun also in Köln auf eine kleine MOUVOIR-Werkschau zusammen.

Wie es heißt, wurde die Zusammenarbeit von Thiersch und Rajeh wegen künstlerischer Differenzen beendet und dessen Beitrag für diesen Abend  kurzerhand aus dem Programm genommen. Von diesen unterschiedlichen künstlerischen Auffassungen hätte man sich gern einmal selbst ein Bild gemacht und sein eigenes Urteil zu dieser choreografisch-künstlerischen Scheidung gefunden.

Dies wäre vermutlich auch im Scheitern noch ein spannender künstlerischer Prozess gewesen. So bleibt dem Kölner Publikum nurmehr der Blick auf die Begegnung MOUVOIR | Asasello Quartett, ebenfalls aus Köln.


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Die Musik mit auf die Bühne zu bringen, ist auch im Tanz nichts wirklich Neues. Aber Bühnenmusik, also Teil des choreografischen Geschehens, wird sie damit ebenfalls nicht zwangsläufig. Bereits in einem ihrer letzten Stücke, Corps Ètrangers, suchte die Choreografin, Akrobaten zu Tänzern zu machen. Nun also werden in „for four“ auch die Violinisten und Cellisten zu „Mittänzern“. Das gelingt, im Gegensatz zu den Tänzer-Akrobaten, mit den Tanz-Musikern hier nur mäßig. Dass sich bei den fast schon artistisch anmutenden Verrenkungen und Körper-Verdrehungen die Musiker des Kölner Asasello-Quartetts noch so wunderbar auf ihr Spiel konzentrieren können, zeigt nur ihre Qualität.


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Wenn sich allerdings der Tanz in der Hauptsache ebenfalls vor allem auf unergründliche Körperwindungen und –drehungen beschränkt, dann sind Zweifel angebracht. So blind tastend, wie Tänzer und Musiker mit Masken vor dem Gesicht eingangs die Bühne betreten, so blind tastend geht die Choreografie hier durchgängig auf eine Entdeckungsreise zum „Verstehen von musikalischen Strukturen“ (Thiersch). Ob es dazu ausreicht, die drei Tänzer unter und über die Instrumente kriechen zu lassen; sie Rücken an Rücken wie in einer Turnstunde aus dem Sitz hochkommen zu lassen; die sitzende Violinistin am Bein durch den Raum zu ziehen oder auf die Schulter zu nehmen, ist mehr als fraglich. Sollte dies eine humorvolle Variante der Kontaktimprovisation darstellen? 

Immerhin führt es zur Gaudi der Zuschauer, wenn der beleibte Cellist auf dem Boden liegt, sein Cello dabei auf den Bauch nimmt, wo es im Rhythmus seines Atems dem Bogen entgegen gehoben wird. In solchen Momenten eine „neue Perspektive der Bewegungsfindung“ (Thiersch) zu sehen, ist eine rhetorische Überhöhung choreografischer Einfallslosigkeit.


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Auf ganz andere Weise arbeitet die Choreografin mit Musik und Tanz in „Nature morte“.

Mit einer Wiederaufnahme von „Nature morte“ aus dem Jahr 2011  wurde der Doppelabend Rajeh|Thiersch zu einem reinen MOUVOIR-Abend. Damit kam das Kölner Publikum unerwartet in einen doppelten Genuss. Die Version 2015 von „Nature morte“ wird nun neben dem Soundscape von Joseph Suchy auch von Life-Musik des Kölner Asasello-Quartetts begleitet, das (verstärkt um ein weiteres Cello) mit Franz Schuberts Streichquintett C-Dur D 956 den Abend zum musikalischen Genuss machte.


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Schuberts spätes kammermusikalisches Stück passt mit seinen Stimmungen, von elegischer Ruhe bis zu stürmischer Aufruhr, hervorragend zur choreografischen Entwicklung des Tanzstücks. Ebenso langsam wie unaufhaltsam wird die Unfähigkeit eines Paares, zueinander zu kommen, zum Sinnbild einer sich dramatisch verändernden Umwelt. Diese Musik setzt stärker als in der Version von 2011 die Szenerie mit dem tanzenden Paar zwischen Graswurzeln und Asphaltwüste in eine surreal anmutende Lebensumwelt.


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Der Filmer Martin Rottenkolber bringt das mit seinen wunderbaren Stills und Videos präzise auf den Punkt. Bis ins Wurzelwerk dringt seine Kamera vor und wandert langsam immer mehr hin zu räumlicher Verdichtung, Asphalt und Beton. Die verlockende „Schönheit“ eines einsamen Asphaltbandes durch eine unberührte Landschaft, unterlegt mit den brutalen Geräuschen einer vielbefahrenen Autobahn, entfaltet eine fast schon surreal anmutende Szenerie, die dem Zuschauer schlagartig die Ambivalenz der menschlichen Existenz zwischen Illusion und Wirklichkeit bewusst macht.


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Dafür stehen auch die starken tänzerischen Sequenzen, die von der Ausdruckskraft der Tänzerin Viviana Escalé und des Tänzers Valentí Rocamora i Torá leben. Beide suchen die Nähe und wehren sie ab. Ihre Umarmungsversuche geraten zum Kampf und am Ende nur noch zur Resignation. Stephanie Thiersch entwickelt für ihre Tänzer einen kunstvoll changierenden Tanz gebrochener Bewegungsabläufe, der mit seinen motorischen Blockaden und gestischen wie akustischen Ausbrüchen wie ein Rückgriff aufs evolutionsgeschichtliche Erbe der Spezies Mensch wirkt. Tanz und Musik gehen hier großartig zusammen, ergänzen und inspirieren sich, besonders weil diese Musik so hervorragend einfühlsam gespielt wird.  
Noch am 20. und 21.Februar jeweils 20 Uhr in der Alten Feuerwache


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