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Himmel und Hölle
Das Tanztheaterstück „Bonnkrott“ von Bodytalk füllt das Bonner Loch

von Melanie Suchy

In der Bonner Fußgängerzone treten junge Männer auf und berichten, dass Gott echt gut sei, was sie jetzt endlich kapiert hätten. Ein zufälliges Vorprogramm zur Tanztheateraufführung wenige Meter weiter. Dort im Bonner Loch spielt Gott keine Rolle; jedenfalls wird er in der bewegten Inszenierung des Köln-Bonner-Ensembles Bodytalk von Yoshiko Waki und Rolf Baumgart nicht genannt: „Bonnkrott – eine Stadt tanzt“. Die Darsteller und Musiker tanzen, singen, reden und spielen stumme Szenen unter freiem Himmel. Der Witz dabei ist der Ort und dass dessen Bewohner bei dem Tanztheater mitmachen: was offiziell „Klanggrund“ heißt, ist eben doch das Bonner Loch, das seit Jahrzehnten aus seiner Senke vor dem Bahnhof nicht herauskommt. Treff- und Lebensmittelpunkt etlicher Obdachloser.

„In der Szene aktiv sein“ nennt einer von ihnen, der 27-jährige Sascha, das Rumsitzen, Dealen, Schlafen dort, als er in dem Stück über sich spricht. Er und die vor Mitteilungslust strotzende Petra sind die Seelen von „Bonnkrott“, das auf Sozialpädagogik pfeift. Es macht sich über den Helferjargon lustig, indem der Sänger Till Bleckwedel auf Stelzen mit einer Angel, an deren Leine Bierflaschen baumeln, auf Fischzug im Loch geht. Der „Fang“ werde dann „in die entsprechenden Einrichtungen verbracht, therapiert und filetiert“, tönt er von oben herab. Die vier beteiligten Profi-Tänzer zeigen Herr und Hund an Leine, sie schwärmen und klucken als Tauben, bäumen sich wie Würmer in Schlafsäcken auf, auch ein Ballett-Pas-de-deux auf Spitze wird abgeliefert, brav lächelnd. „Du solltest mal über dich hinauswachsen“ wird der drogenabhängige, meist sitzende Sascha da angebrüllt, dann liebevoll aufdringlich betüttelt, massiert und herumgetragen, als er von „Transaktionen“ redet. Sein Wunsch, „mal was Lustiges!“, wird mit einer schwungvollen Choreographie auf Krücken erfüllt. Die helfen, dass die Beine schön leicht werden.

Das eindrucksvolle Stück bleibt, so handfest und unterhaltsam es wirken mag, in der Schwebe, doppelbödig, fragil. Zwischen Höhen und Tiefen. Passend zum Loch. Dieses Tanztheater behauptet nicht, zu wissen, was gut und schlecht ist. Kunst und Rausch sind einander ja nicht fern. Der Mensch dem Menschen eigentlich auch nicht.

Das Stück gibt es als Gesamtdokumentation nur noch auf unserem VIMEO-KANAL zu sehen: https://vimeo.com/99966169

P.S.: Zum Ausklang beim gemeinsamen Bierchen (nix Limo!) zogen Darsteller und Zuschauer an den nahegelegenen Busbahnhof. Die schreiende Überschrift der in ihre Box gesperrten Boulevardzeitung schien niemand zu beachten: „Drogenskandal im Bundestag“


©Melanie Suchy