Keine Flucht aus dem Leben

Peeping Tom mit seinem Mystery-Thriller:

„Triptych: The missing door, The lost room and The hidden floor“

Besprechung von KLAUS KEIL

Die Gastspielreihe von Tanz Köln ist längst zu einer festen Einrichtung an den Bühnen der Stadt Köln geworden. Sie ergänzt auf großartige Weise das hoffentlich als Dauereinrichtung angedachte Ballett of Difference (BoD), das sich Köln derzeit noch mit München teilt. So gesehen ergattern die Kölner wenigstens noch einen Hauch vom Flair großer Tanzensembles und Choreografinnen und Choreografen.

Gestern war es das Künstlerkollektiv „Peeping Tom“mit seinem dreiteiligen Tanztheater „Triptych: The missing door, The lost room and The hidden floor“, das die Kölner Tanzinteressierten mit seiner außergewöhnlichen, sehr körperlichen Bewegungssprache begeisterte. Diese drei Stücke sind zwar getrennt entstanden (2013/2015/2017), haben aber in Inszenierungsweise und Thematik doch einen gemeinsamen Kern. „Triptych“ ist keine Zusammenfassung, wohl eher eine Fortführung von etwas Unvollendetem.

by_Maarten_Vanden_Abeele

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Inspiriert von der amerikanischen TV-Serie „The lost room“ (Das verschwundene Zimmer/Krause/Pollak) hat sich Peeping Tom mit seinem Regie/Konzeptionsteam Gabriela Carrizo und Franck Chartier auch in seiner Inszenierung für die Bühne der dunklen Seite der menschlichen Existenz zugewandt. Heraus kam ein in seiner Kompaktheit bedrohlich wirkender regelrechter Mysterythriller, in dem nicht nur der Inhalt, sondern vor allem die Bewegungsintensität die Inszenierung trug. Mit wilden, exaltierten Bewegungen spielt Peeping Tom mit der Brüchigkeit des Alltagslebens und wie es scheint, des Beziehungs- und Liebeslebens. Dafür sind seine Protagonisten mit ihren Gliedmaßen und Gelenken wie aus Gummi bestens gerüstet. Sie scheinen gegenseitig nicht mehr fassbar zu sein, winden sich, rutschen weg oder verschmelzen immer mal wieder in einer rasanten Jagd als Gruppe oder als Paar bis zur Unkenntlichkeit miteinander. Es sind Bilder von Verzweiflung und Auflehnung, kühl und distanzierend inszeniert, denn eine Flucht aus der Enge der Szenerie gibt es nicht. Mit dem plötzlichen Ende steht jeder wieder für sich.

Eine SIE sitzt auf der Sesselkante und rutscht, als ER sich gerade zur Umarmung auf sie legen will, in einer komischen Gleitbewegung unter ihm weg. In vielen kleinen ähnlichen Momenten und Szenen werden so die Alltagsängste ähnlich sichtbar auf die Tanzbühne gebracht. Das Paar ringt sichtbar um Nähe und Distanz. Daneben steht in seinem Dresscode das Personal – oder besser: liegt hilfreich zur Seite, putzt liegend und rutschend den Boden. Ein  Bild übrigens, das in den anderen Teilen ebenfalls auftaucht: Das sorgsame Hausmädchen, das Berge von weißen Handtüchern herumträgt, für Blumen sorgt. Der fleißige Hausdiener, der rasend bis in den kleinsten Winkel putzt, als könne dies die Beziehung retten. Oder kokettiert in solchen Szenen Peeping Tom mit komischer Überzeichnung bürgerlicher Tugenden?

TRIPTYCH-©-Virginia-Rota-Peeping-Tom

TRIPTYCH-©-Virginia-Rota-Peeping-Tom

Das gutbürgerliche Ambiente, so wird schnell klar, ist letztlich nur Fassade. Deshalb ist daran zu zweifeln, ob die Inszenierung im dritten Teil (The hidden floor), dem verlassenen Restaurant, mit einem Happy End enden wird. Es wäre nicht Peeping Toms Stil, denn er sucht mehr die Konfrontation, möglicherweise als realen Schleifstein zur Lösung der Probleme. In unserer Szene weiter oben, hat der männliche Part inzwischen die SIE gepackt und erst hängen lassen (im wahrsten Sinn des Wortes), dann herumgewirbelt bis SIE im Sessel landet, ein Bein lässig über der Lehne. Verzweifelt bleibt sie allein auf der Bühne zurück „The missing door“ und erkennt plötzlich: Die Türen öffnen sich, wenn sie das ausgestreckte Bein hebt und fallen knallend wieder zu, wenn sie es senkt. Diese Leichtigkeit des kindlichen Spiels wirkt offensichtlich befreiend, sie wiederholt es mehrfach, und dann endlich lachen auch die Zuschauer. Peeping Toms subtiler Humor wirkt also. Und noch so ein kleiner humorvoller Moment. Seitlich in der Kulisse ist durchgängig ein Fenster in Schulterhöhe, dahinter immer wieder mehrere Personen, Voyeure, die das Bühnengeschehen betrachten, ganz wie in der realen Welt. Am tollsten aber sind die Massenszenen, in denen aus Schränken und Behältnissen urplötzlich sechzehn Tänzerinnen und Tänzer hervorquellen und rasend, zusammengekugelt, sich teils überschlagend und Beine und Hände flattern lassend, als tobten ganze Generationen über die Bühne. Gemeinsam sind wir stark ist hier wohl das Motto, denn immer wieder stellen Gabriela Carrizo und Franck Chartier ihre Protagonisten vor scheinbar ausweglose Situationen. Gibt es das eigentlich: Eine Flucht aus der Enge der Szenerie, die das Leben schreibt?

Eine kritische Besprechung im Sinne einer Bestandsaufnahme aller dieser Szenen, erkannt, zu spät oder gar nicht erkannt wäre zu wenig und würde dem Zuschauer eine Menge von Erkenntnismomenten nehmen. Also muss sich Peeping Tom, muss sich die Inszenierung und muss sich der Rezensent an der Erkenntnisfähigkeit seiner Zuschauer und Leser messen lassen. Mögen es beim Einen die übersteigerten, exzentrischen Momente des Stückes sein, sind es beim Anderen die unglaubliche Lust an der Bewegung, die keine Verzagtheit duldet. Sehr sehenswert, auch wenn das Stück gute 120 Minuten herausfordert.

(Nächste Vorstellung im Depot 1, heute, Samstag 26.03.)

TRIPTYCH-©-Virginia-Rota-Peeping-Tom

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