Tanzsolofestival zum 8.Mal in Bonn
Körperenergie, Mut, Wut und das kreative Potenzial des Scheiterns
Das 8. Internationale Bonner Tanzsolofestival vom 3. bis 19. März 2023 untersucht „Bruchlinien“
Von Elisabeth Einecke-Klövekorn
Es ist das einzige kuratierte Tanzsolofestival in Deutschland und – nach dem Wegfall der Biennale mit neuen Stücken aus Europa – auch das einzige internationale Theaterfestival in Bonn. Die Pandemie und andere globale Krisen haben die 8. Edition des künstlerisch wichtigen Ereignisses leicht verzögert. Aber das Programm ist nun festgezurrt und verspricht eine Menge anregender Erlebnisse. Zum ersten Mal wurde es hauptverantwortlich konzipiert von der neuen Kuratorin Daniela Ebert, die seit September 2022 auch (neben dem langjährigen Team-Mitglied Svenja Pauka) Ko-Geschäftsführerin des Theaters im Ballsaal ist. Ebert, die zuvor u.a. beim Kunstfest Weimar, beim Beethovenfest Bonn und in der Bundeskunsthalle engagiert war, hat eine neue Qualität und Professionalität in die Arbeit eingebracht. Das betonten beim Pressetermin im Ballsaal übereinstimmend Rafaёle Giovanola und Rainald Endraß vom Ensemble CocoonDance sowie Karel Vanek und Guido Preuß vom Ensemble Tanzwerke Vanek Preuß, den beiden freien Bonner Tanzcompagnien, die das Festival gründeten und bis heute als Veranstalter fungieren. Ebert habe nicht nur frischen Wind in das Format gebracht, sondern auch mehr Geld von den diversen Partnern eingeworben. Auch die Mittelzentrenförderung Tanz/Performance des Landes NRW, die dem Theater im Ballsaal gemeinsam mit der Brotfabrik bis 2025 erneut zuerkannt wurde, eröffne produktive Potenziale und die Weiterentwicklung von Vernetzungen.
Eine Neuerung fällt sofort auf: Das Festival hat zum ersten Mal einen Titel. Unter dem Motto „Bruchlinien“ stehen alle 13 Veranstaltungen, die vom 3. bis zum 19. März 2023 im Theater im Ballsaal, auf der Brotfabrik Bühne, im Kunstmuseum Bonn und erstmals auch in der Bundeskunsthalle zu erleben sind. In allen Vorstellungen geht es um Um- und Aufbrüche, Resilienz und Revolte in einer Zeit der Verunsicherung. Vieles ist geschehen, was wir bis vor kurzem noch für undenkbar hielten. Die Erfahrung der Vereinzelung während der Lockdowns, der Brüchigkeit sozialer Narrative und der Fragilität des menschlichen Körpers spiegelt sich in den Performances ebenso wie die Fassungslosigkeit angesichts von Krieg und Gewalt. Es geht jedoch stets auch um die Herausforderungen der besonderen Form des Tanzsolos. Welche ästhetischen und sozialen Perspektiven öffnet die Fokussierung auf die kleinste Einheit der tänzerisch-choreografischen Arbeit? Was kann diese singuläre physische Präsenz vermitteln? Wie schafft man es, als alleiniger Akteur auf der Bühne eine Stunde lang das Publikum zu packen? Diesen Fragen geht am 8.März um 20.00 Uhr ein Vortrag von Sandra Noeth, Professorin am Hochschulzentrum für Tanz Berlin und internationale Kuratorin nach. Im Sinn der Nachhaltigkeit nur online in englischer Sprache, um möglichst vielen ohne aufwändige Reisen die Teilnahme zu ermöglichen.
Alles andere findet jedoch live in Präsenz statt. Und bei aller Problemlastigkeit soll es auch mit Witz und Leichtigkeit überzeugen. Ein Highlight verspricht zur Festival-Eröffnung am 3. März im Ballsaal die 1977 in Athen geborene, international renommierte Choreografin Kat Válastur mit „Rasp Your Soul“, verfasst für den virtuosen Tänzer Enrico Ticconi. Die multimediale Performance, die 2020 bereits bei der Tanzplattform Deutschland Aufsehen erregte, widmet sich der irritierenden Widersprüchlichkeit von analogen und digitalen Wirklichkeiten. Sie zerlegt unser Wunschbild eines mit sich selbst identischen Körpers in Fragmente einer ständigen Verwandlung. Dafür hat sie die Bewegungssprache „Strobing“ entwickelt, bei der der Tanz als stroboskopisches Blitzlichtgewitter aus zahllosen kleinen Einzelbewegungen erscheint. Der Körper reagiert ständig auf visuelle und akustische Impulse und wird zu einer organisch-mechanischen Kreatur.
In der Brotfabrik folgt am 4. März „Über die Wut“ von Anna Konjetzky, uraufgeführt 2021 an den Münchner Kammerspielen. Die bekannte Choreografin untersucht dieses vielschichtige Gefühl, das sowohl Zerstörung als auch produktive Veränderung hervorbringen kann. Es geht ihr insbesondere um die weibliche Wut von der antiken Klytämnestra bis zu der schwarzen Feministin Audre Lorde. Das aufregende Solo wird getanzt von Sahra Huby, die dafür in der Kategorie „Darstellerin Tanz“ 2022 für den Deutschen Theaterpreis „Faust“ nominiert wurde.
Bei allen anderen eingeladenen Produktionen liegen Choreografie und Performance in einer Hand. Am 5. März gastiert der in Marokko und Frankreich arbeitende Youness Aboulakoul im Ballsaal mit der deutschen Erstaufführung von „Today is a Beautiful Day“, in der er verschiedene Formen von Gewalt reflektiert. Am 9.März folgt im Ballsaal das Werk „Soulèvement“ der hierzulande noch zu entdeckenden französischen Choreografin und Tänzern Tatiana Julien. Sie spielt mit der Faszination der Revolte und lässt politische Reden, Hiphop und Urban Styles ungebremst aufeinanderprallen. „Ein Vulkan, der explodiert“, schrieb dazu die Zeitung „Le Monde“. Es ist eine extrem energiegeladene Performance im Zwiespalt zwischen dem Verlangen nach Individualität und kollektiver Aktion. Bei ihren Fragen nach Utopien im digitalen Zeitalter und in einer rasant zersplitternden Gesellschaft geht Julien an die Grenzen der körperlichen Erschöpfung.
Am 12. März zeigt die junge Belgierin Zoё Demoustier im Ballsaal die deutsche Erstaufführung von „Unfolding an Archive“. Sie hat das Archiv ihres Vaters erforscht, der als Reporter weltweit in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs war. Ohne direkt auf seine Fotografien zurückzugreifen spürt sie mittels Tonaufnahmen und Bewegungen den Wirkungsweisen der Bilder nach und verwebt die Dokumente sensibel mit ihren eigenen Kindheitserfahrungen. Ebenfalls im Ballsaal ist am 16. März das wohl heiterste Stück des Festivals zu sehen: „Hélio“ des brasilianischen, in Portugal und Deutschland lebenden Choreografen und Schauspielers Renan Martins. Das stark autobiografisch geprägte Tanzsolo hat er seinem Großvater gewidmet, der in Brasilien als professioneller Standardtänzer arbeitete. Auch hier steht am Anfang eine Reise in die Vergangenheit. Martins erzählt mit viel Humor von Schwierigkeiten, Schwächen und dem unbändigen Drang, trotz aller Widrigkeiten weiterzumachen. Den musikalischen Hintergrund liefert Steve Reichs bahnbrechende Komposition „Drumming“.
In der Bundeskunsthalle gastiert am 17. März die in Istanbul geborene, in Belgien lebende Choreografin Bahar Temiz mit der deutschen Erstaufführung von „Ice“. Ausgangspunkt des zwischen Tanz, Theater und bildender Kunst angesiedelten Stückes sind die dramatischen Antarktis-Expeditionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ein Jahrhundert später droht die größte Eiswüste unseres Globus zu schmelzen. Temiz entwickelt mit einem Bündel Seile fantastische Bilder von der Fragilität des menschlichen Körpers und der gleichzeitig gefährlichen und gefährdeten Umwelt. Am 18. März zeigt der in Israel geborene Choreograf und Performer Yotam Peled in der Brotfabrik sein extrem konkretes und zugleich abstraktes Solo „Migrena 2×2“. Zugrunde liegt die biblische Geschichte des Propheten Jona, der im Bauch eines Fisches dem Zorn Gottes entging. Peled konfrontiert seinen Körper mit selbstgewählten Hindernissen und Grenzen. Er bewegt sich dabei fast bis zur physischen Auflösung zwischen Widerstand und Ergebenheit.
Das Finale des Festivals am 19. März in der Brotfabrik widmet sich dem Nachwuchs, dem traditionell eine feste Position im Programm gehört. Studierende des Abschlussjahrgangs BA des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz an der Hochschule für Musik und Tanz Köln sollten sich je eine Künstlerpersönlichkeit als Anregung wählen und in der Auseinandersetzung mit deren künstlerischer Praxis eine kurze Soloperformance erarbeiten. Die Auswahl unter den Talentproben wird das Festival-Team Anfang Februar treffen.
Wie inspirierend auch das Scheitern sein kann, demonstriert das Format „Failure as Practice“ des in Serbien geborenen Performers und an diversen Hochschulen von Stockholm bis Wien unterrichtenden Darko Dragičevič. Im Ballsaal (10. 3.), in der Brotfabrik (11. 3.) und im Kunstmuseum (12. 3.) stellen sich die zehn teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler – aktiv beobachtet vom Publikum – bei ortsspezifischen Interventionen paradoxen, teilweise unlösbaren Aufgaben. Die drei Lektionen sollen spielerisch die Kraft von Fehlern und Misserfolgen untersuchen.
Insgesamt ein spannungsreiches Programm voller Anregungen und Ausblicken. Konzentriert auf die Position des Einzelnen in der Gesellschaft zwischen Solo und Solidarität, Kontinuität und Transformation und den bewegten Körper an den Bruchlinien einer zunehmend zerbrechlichen Welt. Selbstverständlich wird es auch wieder Publikumsgespräche und weitere Angebote zum diskursiven Austausch mit den Akteuren geben.
Das vollständige Programm und Infos zum Ticketerwerb unter www.tanz-in-bonn.de