Kollektive und individuelle Energie

„Der Klumpen“ – Tanzgastspiel von Hicks&Bühler im Theater im Ballsaal Bonn

 

Von Elisabeth Einecke-Klövekorn

Eine Kugel aus ineinander verschlungenen menschlichen Körpern auf einem grünen Spielfeld. Merkwürdig beunruhigend wirkt das seltsame Gebilde aus Armen, Beinen und Leibern in blauweißen Ringertrikots. Es atmet, vibriert, dehnt sich, zieht sich wieder zusammen, rollt und kriecht über die mit weißen Streifen abgegrenzte Fläche. Ab und zu erscheinen Köpfe, die Gesichter bleiben jedoch nach innen zum Zentrum des Haufens gewendet. Hat eine fremde Macht sie miteinander verbunden oder brauchen sie den Energieaustausch fürs eigene Dasein? Ist das anonyme Gewalt, sportlicher Ehrgeiz oder emotionale Zuwendung? Die Zuschauerinnen und Zuschauer dürfen sich darum herum im Raum bewegen, um die lebendige Skulptur aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.

„Der Klumpen“ heißt das beeindruckende Tanzstück der Choreografinnen Laura Hicks und Hannah Shakti Bühler, das im März 2018 in Frankfurt am Main uraufgeführt und nun ihm Rahmen des bundesweiten Programms „Neustart Kultur“ wiederaufgenommen wurde und auf einer Tournee durch mehrere Städte unterwegs ist. Das von Karel Vanek kuratierte Gastspiel am 1./2. November im Bonner Theater im Ballsaal wurde u.a. ermöglicht durch die Mittelzentrenförderung NRW, die auch weiterhin die Kooperation mit dem Kulturzentrum Brotfabrik unterstützt, obwohl die „Tanzwerke Vanek Preuß“ dort wegen Unstimmigkeiten mit der Brotfabrik Bühne derzeit keine Termine anbieten können, aber erneut vom Land NRW eine Konzeptionsförderung bis 2025 zugesagt erhielten.

Ästhetisch ist der „Klumpen“ auf der Ballsaal-Bühne tatsächlich besser aufgehoben als in der Brotfabrik. Ob sich auf dem grünen Kunstrasen männliche oder weibliche Körper zu einem Klumpen verbinden und wie viele es sind, bleibt lange nicht erkennbar. Sie halten und stützen sich, stemmen sich mit Händen und Füßen gegen den Zerfall ihres Konstruktes. Mitunter erscheint das wie ein verbissener Kampf, dann wieder wie eine sehnsüchtige Umklammerung. Man mag an Platons Mythos vom kraftvollen Kugelmenschen vor der Trennung der Geschlechter denken oder an die vielgliedrige indische Durga. Es bedarf indes keiner Theorie, um die sinnlich und spielerisch bestechende Performance zu begreifen. Die beiden Leiterinnen der Company „Hicks & Bühler“ sind auch ausgewiesene Tanzpädagoginnen und haben das rund fünfzigminütige Werk für Publikum ab zehn Jahren konzipiert.

Zur rhythmisch komplexen Soundcollage der aus einer vietnamesischen Familie stammenden Komponistin Baly Nguyen (neu bearbeitet von Anna Hjalmarsson) agieren die fünf Tänzerinnen aus verschiedenen Ländern (Patricia Gimeno, Verónica Garzón, Ilana Reynolds, Judith Hummel, Laura Hicks) in wechselnden Positionen mit der gemeinsamen Energie ihres verklumpten Haufens. Ab und zu spiegeln sich Fragmente der Körper und Bewegungen per Live-Kamera vergrößert und leicht verzerrt auf einem schräg über der Bühne platzierten Videoscreen. Das trägt allerdings nur wenig zum Effekt der Performance bei, die vom direkten Kontakt lebt.

Es ist trotz des rein weiblichen Teams kein feministisches Statement, sondern ein humanes. Die Erfahrungen der Pandemie mit der erzwungenen Vereinzelung und dem neuen Verlangen nach unmittelbaren Berührungen haben dem tänzerisch originellen Stück über Zusammenhalt und Individualität unerwartet einen aktuellen Hintergrund gegeben. Die körperlich überaus anstrengende Nähe ist dennoch keine Dauerlösung. Nach und nach zerfällt der Klumpen. Die Gestalten werden als eigenwillige Personen kenntlich. Schmatz- und Wassergeräusche klingen wie Zeichen einer Geburt, aus ersten Sprachbrocken werden Wörter und Sätze. Bis die Figuren zitternd und zappelnd auf eigenen Füßen sicher stehen können, dauert es noch einen Moment in diesem Versuch über das Verlangen nach lustvoller Verschmelzung in einem Gesamtorganismus und die Mühen des unvermeidlichen Loslassens.

Freundlicher Beifall vom recht übersichtlichen Publikum. Außerhalb der Festivals mit ihrer überregionalen Aufmerksamkeit und gemeinsamer Öffentlichkeitsarbeit haben Tanzgastspiele es lokal weiterhin schwer.