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„Verführte und Verführer. Daedalus – Pan – Ariadne. Eine Mythentrilogie“

von Emanuale Soavi incompany und den Duisburger Philharmonikern

von Nicole Strecker

Gegen diese Energie kommt keiner an. Emanuele Soavi ist nicht der erste, der sein Publikum in die Erschöpfung zu tanzen versucht – vor kurzem gelang dies etwa auch Choreograf Angelin Preljocaj mit seinen virtuos aussage-befreiten „Empty Moves“ zum Auftakt der Tanzmesse NRW. Aber statt auf die Zuschauer-Marter, zielt Soavi wohl vor allem auf die Selbstüberforderung mit einem Projekt, das den Ursprung des Theaters wiederbelebt: die Dionysien. Und während die alten Griechen Tage brauchten, bis sie dem Gott des Rausches gebührend gehuldigt hatten, ist man in Soavis „Mythentrilogie“ über die Ovid-Geschichten von Daedalus, Pan und Ariadne nach etwas mehr als vier Stunden bei Dionysos angelangt – gemessen an der antiken Vorlage also: ein Schnell-Kult.


©TANZweb.org – Daedalus | Dreams

Soavi hat in den letzten zwei Jahren geschafft, was kaum einem Choreografen der freien Szene gelingt: die Vernetzung mit kommunalen Häusern. Früher war das Urteil „Stadttheater-Ästhetik“ für das von ihm mitgegründete „Movingtheater“ ein Fluch und Grund, weshalb die Kompanie nie eine Chance bei den etablierten Bühnen der freien Szene NRWs bekam, dem Tanzhaus NRW etwa oder PACT Zollverein. Heute ist es ein – vielleicht nicht gleich „Segen“, aber doch: Vorteil. So tritt Soavi mit seinem mythologischen Großprojekt nicht nur auf der Bühne des schönen Duisburger Theaters auf, er hat zudem einen Teil der dank Martin Schläpfer tanzerprobten und dank ihres aufgeschlossenen Intendanten Alfred Wendel auch tanzwilligen Duisburger Philharmoniker zur Verfügung bekommen.

©TANZweb.org – PAN

Live und feinfühlig gespielte klassische Musik also für Soavis seit 2010 entwickeltes Mythenprojekt. Ein Coup – wenngleich mit kleinem Makel: Ein paar Probentage mehr hätte es schon noch gebraucht für einen intensiven Dialog von Musik und Tanz. Stattdessen wurden die auf der Bühne spielenden Musiker behutsam umtanzt wie schöne Setdesign-Objekte.

©TANZweb.org – ARIADNEamore

Wie etwa in Teil eins des Abends, „Daedalus / Dreams“. Hier lustwandelt der Geigensolist Tonio Schibel versunken in seine auswendig gespielten Telemann-Fantasien langsam auf der Bühne umher. Ein einsames Genie, empfindsam und weltfremd. Dazu feiern die Tänzer mit raumgreifender Exaltiertheit den selbstherrlichen Barock-Menschen – von Soavi klug als säkular-wissenschaftsgläubiger Nachfahre des antiken Daedalus inszeniert. Sie  umschwurbeln den Musiker unfallfrei und unbändig – fast könnte man seine Gegenwart vergessen.

Verführte und Verführer ~Emanuele Soavi INCOMPANY & Duisburger Philharmoniker

©Joris-Jan Bos – PAN

Allerdings: Diese acht Tänzer sind nun mal auch echte „Bühnentiere“ und unübersehbar ‚Soavi-infiziert‘: wild, schnell, hemmungslos – kurz: fantastisch. In „Daedalus / Dreams“ strebt jede Faser ihrer Körper nach Vergrößerung und Eigenständigkeit. Großartig, wie diese Choreografie die Hybris des Forschers vorführt, der mit verantwortungslosem Erfindergeist Monster gebiert: vom mythologischen Minotaurus bis zum menschheitsvernichtenden Kriegsgerät. Im dritten Teil des Abends, „ARIADNEamore“ konzentriert Emanuele Soavi das Bewegungsvokabular. Er umkreist mit getanzten Loops das ewig wiederkehrende Leid verlassener Frauen, eine Urerfahrung in der Liebe. Erst stürzen die Tänzer und Tänzerinnen wieder und wieder so heftig zu Boden, als wollten sie sich selbst zerschmettern. Dann aber kämpfen sie um ihre erotische Selbstbehauptung, hören nicht auf gegen Widerstände zu rasen. Ein Tanz über Trauer und Wut mit so wunderbar verzweifelt liebeskranken, langgewandeten und langhaarigen Frauen als wär’s ein Stück von Pina Bausch.

©Joris-Jan Bos – ARIADNEamore

So lässt sich Emanuele Soavis dreiteilige antike Mythendekonstruktion auch als Auseinandersetzung mit den Mythen und Ikonen der Tanzgeschichte lesen – fast wirkt es, als gäbe es für jedes Stück einen geheimen „spiritus rector“: Die fragmentierten Körper, die weichen, turboschnellen Off-Balance-Bewegungen in seiner Daedalus-Produktion – sie lassen an das Erfinder-Genie William Forsythe denken, nach dem die Welt des Balletts nie wieder sein konnte wie sie war. Und die Ariadne-Tänzerin, die immer wieder nach vorne drängt, doch von zwei anderen über eine Diagonale zurückgedrängt wird – sie erinnert stark an eine Pina-Bausch-Tragödin.

©Joris-Jan Bos – ARIADNEamore

Ganz direkte Hommage ist ohnehin der Höhepunkt des Abends: Soavis grandios-dreistes „PANsolo“. Er zitiert die unverwechselbaren Profil-Posen aus Vaslav Nijinskys Ballett „L’apres midi d’un faune“, und eine bessere Interpretation dieser Bewegungen als die von Soavi lässt sich nicht denken. Mit hochsensiblem Körperbewusstsein posiert er als geiler Ziegenbock, verrückter Romantiker, triebgesteuerter Sadist – und selbst das langsame Strecken seiner Fußspitze wird bei ihm zur obszönen Provokation. Soavi als lustvolle Horrorkreatur. Als Tänzer, Choreograf, Charming-Boy und Organisator eines dionysischen Tanzrausches, in dem gerade das Nicht-Kalkulierte die Spannung oben hält. Das soll mal einer nachmachen.

IN KÖLN AM 14.OKTOBER ST.GERTRUD : um 19 Uhr Kirche St. Gertrud Köln / Krefelder Str. 57 Tickets (14 € / 9 €) unter: info@emanuelesoavi.de – gekürzte Fassung

©Joris-Jan Bos – Dädalus | Dreams