Maura Morales: Sisyphos ist eine Frau
Wo bleibt der Stein?

Von Thomas Linden

Wenn man Albert Camus glauben darf, dann verschmelzen Fleisch und Stein während der griechische Gott Sisyphos seinen Stein auf einen Berg hinauf schleppt, von wo er wieder hinunter stürzt, so dass die Mühsal wieder beginnen kann. „Sisyphos war eine Frau“ behauptet Maura Morales im Titel ihrer neuen Produktion, die jetzt im Rahmen des Tanzfestival „Move!“ in der Krefelder Fabrik Heeder Premiere feierte (und gestern erneut im Rahmen des Festivals „INTO THE FIELDS“ im Bonner Theater im Ballsaal zu sehen war).

Tatsächlich schälen sich aus grauen Stoffmassen, die deutlich an die Oberfläche eines Felsens erinnert, weibliche Hände, Beine und glatte Hinterteile. Die Produktion der Kubanerin beginnt mit dem Ende der Geschichte jenes Gottes, dessen Schicksal uns so treffend an unser eigenes erinnert. Und Maura Morales geizt nicht mit weiteren überzeugenden Bildern, wenn auf einem schlanken, großen Screen die von Manfred Borsch ausgezeichnet fotografierten Aufnahmen eines riesig vergrößerten Auges zu sehen sind. Die Zähne und der Mund über den die dicke Farbwalze eines Lippenstifts fährt, sie wirken in der Vergrößerung imposant wie Gebirgsmassive.

Sich gegen diese starken visuellen Eindrücke zu behaupten, fällt den Tänzerinnen (Elia López, Yannelis Brooks-Sanchez und Maura Morales) nicht leicht. Aber es gelingt, weil man der Choreographie in jeder Bewegung ansieht, dass nichts ausgeborgt wurde, sondern jede Tanzgeste für diese Produktion entwickelt wurde. Da ist Substanz, wie die Kubanerin schon in ihren vergangenen Produktionen zeigen konnte. Vom Tanz driftet das Geschehen dann jedoch wieder fort, wenn aus dem Off die Stimmen der Werbung aus den fünfziger Jahren erklingt und Präparate wie Frauengold gegen Menstruationsbeschwerden anpreist. Gleichzeitig hört man die Stimmen junger Muslime, die zornig von „Schlampen“ sprechen und uns erklären, dass muslimische Frauen von Allah gleichgeschaltet sind.

Zu laut wirkt hier nicht alleine die dominante elektronische Klangcollage von Michio, die er selbst live einspielt. Maura Morales entfernt sich von ihrem Sujet, sie nimmt ihre Anregungen nun von überall her. Die drei erscheinen in glitzernden Bikinis und zeigen uns, dass sie wissen, wie weibliche Körper wirken. Wer es vergessen hat, wird mit der Mahnung „It’s a woman“ schnell erinnert. Erst gegen Ende taucht die halb entblößte Maura Morales mit einem roten Ariadnefaden wieder auf, oder ist es ein Menstruationsfaden, und gibt eines Ahnung davon, dass Frau zu sein, alleine schon ein Schicksal darstellt. Zuvor werden die Themen eher disparat gewechselt. Ein bißchen Frauenliebe wird vorgeführt, dabei löst sich ein Lachen, zuvor wird eine Runde geweint. Alles, was man so gerade mit dem Thema Frauen verbindet, wird hier an Assoziationen geliefert. Die Klischees von Frauen auf der Suche nach Identität werden noch einmal aufgewärmt, Material, das eine erfahrene Künstlerin wie Maura Morales eigentlich schon längst hinter sich gelassen haben müsste.

Worin liegt die weibliche Definition des Sisyphos? Worin besteht die spezifisch weibliche Plackerei in der Geschichte vom Stein? Das wären Themen gewesen, an denen sich die Kubanerin hätte abarbeiten müssen. Die Produktion greift Themen auf, verbindet sie aber nicht, letztlich bleiben sie in der Luft ohne die Inszenierung voranzubringen. Geholfen hätte ein verstärkter Einsatz der Tänzerinnen, aber die Produktion verliert mit ihrem Fortschreiten an prägnanter Choreographie. Das Trio löst sich auf, zwei spielen zusammen, die dritte macht sich am Bühnenrand zu schaffen, so dass das Publikum dem unverbindlichen Spiel eines Duos zuschaut. Vom Sisyphos ist dann schon längst keine Rede mehr, Mühe, Verzweiflung, Glück die geheimen Gesetze der Wiederholung, alles Motive, die hier nicht vorkommen. Eine straffe Dramaturgie hätte helfen können, dieses Thema verlockend zu präsentieren. Am Ende geht das Trio zwar lachend durch die Publikumsreihen, aber an den griechischen Gott und seine Bedeutung für die Welt der Frauen, denkt dann niemand mehr.