ERNEUT AM 3., 4. UND 5.NOVEMBER – THEATER IM BALLSAAL

NACHTKRITIK ZU “NO BODY BUT ME”

Hier werden wir gedacht

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CocoonDance spielt mit der Lust am Anblick menschlicher Körper und macht uns bewusst, wie wir gleich einer Filmkamera den Blick heran zoomen, ihn schweifen lassen und wieder fokussieren. Immer geleitet von einem unbekannten erotischen Interesse.

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von Thomas Linden

HIER GEHT ES ZUM VIDEO

Eine leere Fläche, die noch leerer wirkt, weil die Geräusche von Atem und Wind in einer Toncollage von Jörg Ritzenhof über sie hinweg wehen. Im fernen Halbdunkel lässt sich ein unbekleideter Mann erkennen. Dort beginnt aller Tanz, in den Bewegungen des nackten Körpers. Nacktheit ist nicht die extrovertierte, sondern die archaische Form des Tanzes. Jedes Kostüm muss im Grunde erst durch die Produktion, der es Ausdruck verleihen soll, motiviert werden. Puristisch, wie die gesamte Inszenierung, stellt sich auch der Beginn von „No Body But Me“ im Theater im Ballsaal dar. Rafaele Giovanola und Rainald Endraß von CocoonDance machen Ernst, ihre neue Produktion ist in ihrer Ästhetik konsequent vom ersten bis zum letzten Bild angelegt.


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Um Bilder geht es hier in jedem Moment. Während der entblößte Mann im Hintergrund verschwindet, platziert sich eine junge Frau demonstrativ im Zentrum des Scheinwerferlichts. Selbstbewusst und zugleich herausfordernd liefert sie sich den Blicken der Zuschauer aus. Eine bemerkenswerte Dramaturgie besitzt diese Produktion, die mit virtuoser Geschmeidigkeit unzählige Bildwechsel vollzieht. Sieben Tänzer, drei Männer und vier Frauen (Álvaro Esteban, Werner Nigg, Brice Taupin, Fa-Hsuan Chen, Martina De Dominicis, Inma Rubio und Susanne Schneider) nehmen die Bühne ein. In Abwandlung von Luigi Piradellos berühmtem Theaterstück könnte man sagen: „Sieben Personen suchen einen Autor“. Hier sind es Tänzer, die sich als Spielfiguren der Fantasie der Zuschauer bereitzustellen scheinen.


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Die Choreographie von „No Body But Me“ erzählt keine Geschichte und die Sieben gehen auch nie aufeinander ein. Es gibt keine Paare, jeder agiert für sich, bzw. für das Publikum, denn der Zentralperspektive bleiben sie immer verpflichtet. Alles geschieht für unseren Blick, stets bleiben die Tänzer in ihren Bewegungen frontal auf das Publikum ausgerichtet. So als würden dort nur zwei Augen oder eine Kamera schauen. Was wir sehen, ist möglicherweise ein Film ohne Kamera, der nur aus Körpern – dem Stoff, der die Realität definiert – besteht.


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Das eigentliche Thema dieser Produktion ist denn auch der Voyeurismus, ohne dessen starke Reize unsere mediale Welt heutzutage unvorstellbar wäre. Die einzelnen Tänzer nähern sich, ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich, und entfernen sich, so dass unser Blick sie verliert und wieder auf andere Akteure überspringt. In Wahrheit sind die Sieben auch keine Schachfiguren, mit denen unsere Fantasie machen könnte, was sie wollte. Vielmehr spielen sie mit uns, manipulieren unsere Aufmerksamkeit, lenken unseren Blick und entlarven dadurch unser erotisches Interesse. Wir werden hier gedacht. Eine Intention, in der das Raffinement dieser sich so schlicht gebenden Produktion zum Ausdruck kommt, die uns die voyeuristischen Gelüste reflektiert, ohne die es eben auch keine darstellenden Künste geben würde.


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Deshalb wird auch nicht mit erhobenem Zeigefinger agiert. Giovanola und Endraß bekennen sich vielmehr zu den verführerischen Strategien des Tanzes, sie stellen die Schönheit der männlichen und weiblichen Körper demonstrativ aus. Jeder Muskel wird sichtbar gemacht. Dass der feine Schweißfilm die Körper der Männer im Scheinwerferlicht umglänzt oder die Gesichter der Frauen von feuchten Haarsträhnen gezeichnet sind, das alles gehört zum Kalkül der Inszenierung. Der Körper ist das Faszinosum, freilich nur so lange, wie in seinen Bewegungen der Wille seiner Besitzer spürbar bleibt. In jeder Aktion muss die Präsenz der Persönlichkeit zum Ausdruck kommen. Das gelingt fast durchgängig, nur wenn sich gegen Ende die Rhythmen erhöhen, kommt es zu Momenten, in denen sich durch die stereotype Wiederholung Gesten entleeren. Dann plötzlich scheint die Choreographie den Blick nur noch auf ein Fitness-Studio freizugeben. Im Schlussbild fängt sich die Produktion jedoch wieder und findet zum starken Ausdruck zurück, der den Abend prägt. Letztlich wird man mit einer unglaublich intelligenten Produktion beschenkt, die uns subtil mit den verräterischen Interessen des eigenen Blicks konfrontiert.