©Marcela Benvegnu

BRUCH DER KONVENTION

 

Zum Gastspiel der brasilianischen Compania de São Paulo Dança in Köln
Rezension von KLAUS KEIL

Zum Abschluss der Gastspielreihe Tanz der Spielzeit 2013/2014 gab es an den Bühnen der Stadt Köln noch einmal einen äußerst spannenden Abend zu sehen. Drei kurze, jeweils ca. 20 bis 25 Minuten dauernde Tanzstücke waren zu einem gemeinsamen Abend ohne große Gemeinsamkeiten zusammen gestellt worden. Den Auftakt bildete das ganz aktuelle Stück des Stuttgarter Hauschoreografen Marco Goecke: Peekaboo, was als `Kuckuck´ übersetzt werden kann und auf das kindliche Versteckspiel durch Hände vor die Augen Bezug nimmt. Goecke ist ein aufstrebender Choreograf mit einer eigenwilligen Bewegungssprache. Das zeigt sich auch in „Peekaboo“, wo die Tänzer in den Ensembleszenen wie in den kleinen Formen mit kantigen, angewinkelten Armen die immer gleiche schnelle Arm- oder Hand-Bewegung ausführen, so dass die variierte Wiederholung dieses Bewegungsmusters bald den Eindruck von maschinenhaften Wesen entstehen lässt. In mancher Sequenz, noch verstärkt durch Halbdunkel, nimmt das bedrohliche Züge an. Doch erstaunlich gut passen sich diese Bewegungen bis hin zum Flattern und Zittern der Hände in die eingängige Musik der „Simple Symphony“ des jungen Benjamin Britten ein, die eher nach harmonischem Ausdruck drängt. Eine Anmutung davon zeigt Goecke in einem Pas de deux und lässt die Tänzerin dort ihren Arm in einer endlos langsamen runden Bewegung weich nach unten sinken.

©Silvia Machado

Marco Goecke hat dieses Stück speziell für die brasilianische Compania de São Paulo Dança choreografiert, die den Kölner Tanzabend gestaltete. São Paulo Dança ist eine reine Repertoire-Companie, die erst 2008 gegründet wurde und sowohl klassisch-neoklassische als auch zeitgenössisch-moderne Stücke im Repertoire hat und damit weltweit tourt. Um ein derart breit gefächertes Repertoire tanzen zu können, müssen die Besten in der Companie versammelt sein. Tatsächlich begeisterte die hervorragend geschulte und technisch starke Companie mit tänzerischer Präzision und vor allem technischer Perfektion. Sie wirkte in ihren Qualitäten auch sehr homogen, was für die Umsetzung sehr differenter Tanzstile sehr wichtig, weil stabilisierend für das ganze Ensemble ist.
Schon beim zweiten Stück des Abends konnte das Ensemble das unter Beweis stellen. „Gnawa“ von Nacho Duato, dem zukünftigen Ballettintendanten des Staatsballett Berlin, sprüht nämlich vor tänzerischer und musikalischer Lebensfreude, lebt vom Rhythmus der maghrebinischen Populärmusik, den folkloristisch anmutenden Kostümen und den vordergründig auf ästhetischen Ausdruck getrimmten Bewegungen und Tanzformationen. Obwohl erst von 2005, wirkte die Choreografie damit leider recht altbacken, ging keinerlei choreografisches Wagnis ein und gestattete den Tänzerinnen und Tänzern deshalb kaum emphatischen Ausdruck.

Hochmotiviert war das Ensemble der Compania de São Paulo Dança an diesem Abend jedenfalls in allen Stücken. Erstaunlicherweise wirkte das Ensemble gerade im schwierigsten und faszinierendsten Stück des Abends am überzeugendsten. Aufführungsdramaturgisch geschickt hat man den Knüller des Abends an den Schluss gestellt. Und obwohl William Forsythe sein Ballett „In the middle, somewhat elevated“ bereits vor 27 Jahren, 1987, choreografiert hat, ist dieses Stück das modernste dieses Tanzabends. Aus heutiger Sicht war es ein Bruch mit dem klassischen Ballett und seiner ritualisierten Bewegungssprache. Bei Forsythe leitete es eine bis heute anhaltende Phase des Suchens und Forschens nach neuen Formen des Tanzes ein. Forsythe nimmt „In the middle…“ genau diesen formalisierten Figurenkanon des klassischen Balletts regelrecht auseinander. Er beschleunigt oder zerdehnt die Bewegung, bricht mitten in der Figur ab oder variiert sie auf immer wieder andere Weise neu. Alles ist auf der Bühne zu finden: die Streckungen der Arabesque in allen Variationen, die Drehungen der Pirouetten in vielfältiger Form, die mal nur angedeuteten und dann wieder weiten Sprünge der Grand Jetes und so fort. Die tänzerische Herausforderung ist es, diese Bewegungen virtuos variiert auszuführen und gleichzeitig eine Distanz zur Figur selbst in die Ausführung zu legen – so wie choreografisch von Forsythe vorgesehen.

Die Tänzerinnen und Tänzer der Compania de São Paulo Dança meistern diese Schwierigkeit hervorragend. In diesem Stück leben sie regelrecht auf und laufen zur Höchstform auf. Schon nach den ersten Schritten gelingt es ihnen, das Publikum völlig in ihren Bann zu schlagen. Anteil daran haben auch die puristischen körperengen Kostüme, das minimalistische Licht und die grandiose Musik von Thom Willems. Mit donnernden Percussion-Schlägen wird der Tanz unerbittlich vorangetrieben, steigert sich die Schnelligkeit und damit die Schwierigkeit der Schritte und Figuren. Das Stück stellt tanzgeschichtlich eine Zäsur dar. Begeisterter Schlussapplaus für das Stück und die Companie!