©TANZweb_Valérie Kommer in „A Solo For Two“

NACHWUCHSARBEIT:

WO BLEIBEN DIE VISIONEN?

MADE IN KÖLN 2015

Nachtkritik von Klaus Dilger

Niemand wird ernsthaft kritisieren wollen, dass es in jüngerer Zeit verstärkte Anstrengungen gibt, nicht nur in der sogenannten Tanzvermittlung an Laien, mit dem Ziel, neue Publikumsschichten und -generationen für den Tanz zu erschliessen, sondern auch und vor Allem in der Förderung des Choreographen – Nachwuchses, – im Gegenteil, diese Anstrengungen sind löblich und unterstützenswert, nur:

Mittlerweile gibt es gefühlt (nicht nur) in Köln fast mehr „Formate“, die den sogenannten Nachwuchs präsentieren wollen, als Aufführungen von Choreografen, die bereits etwas zu sagen haben und die ihre Sujets, mit professionellen, gut ausgebildeten Tänzern und mit Lichtarchitekten, Komponisten, Medienkünstlern, Dramaturgen, Bühnen- und Kostümbildnern über Monate hinweg erarbeiten.

Dies mag an einem System liegen, das professionelles Tanzschaffen auf hohem und international konkurrenzfähigem Niveau seitens der öffentlichen Geldgeber, aber auch seitens der Produzenten und Aufführungszentren und -orte permanent unterfördert, und daher nahezu unmöglich macht. Stattdessen wird lieber in den weitaus „kostengünstigeren“ „Nachwuchs“ „investiert“. Nur: von wem soll dieser denn lernen?

Dass diese Rechnung, bei der das Publikum auf lange Sicht gesehen offensichtlich bereits eine untergeordnete Rolle spielen muss, nicht aufgehen kann, zeigte sich erneut bei der gestrigen Aufführung im Kölner Orangerie Theater zum Auftakt von „MADE IN KÖLN“, präsentiert vom Kölner Tänzerkollektiv MichaelDouglas.


©TANZweb_Szene aus „Trinity“ von Marja-Leena Hirvonen

Marja-Leena Hirvonen, Absolventin der Kölner Hochschule für Musik und Tanz, demonstrierte in ihrem, an eine Schüleraufführung erinnernden Versuch „Trinity“, wie gross eine zehn mal zehn Meter grosse Bühne, für immerhin drei Personen, werden kann, wenn in räumlich begrenzten Strukturen und mit noch begrenzteren handwerklichen Voraussetzungen gearbeitet wird. Hierin eingeschlossen das räumliche Denken mittels Lichtarchitektur. Diesem Beitrag fehlte es in choreographischer Hinsicht praktisch und bedauerlicher Weise an Allem, was auch nur entfernt mit Bühnentanzkunst auf professioneller Ebene zu tun hat.


©TANZweb_Szenenfoto aus „A Solo for Two“ – Valérie Kommer und Karolne Strys

Valérie Kommer und Karoline Strys, auch sie Absolventinnen des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz der Hochschule für Musik und Tanz in Köln, präsentierten ihr „A Solo for Two“, das vor wenigen Wochen noch als klarer strukturierte, weil einfache und unprätentiöse „Fingerübung“ auf dem SoloDuo Wettbewerb im Kölner Barnes Crossing auf einer vierzehn mal zehn Meter grossen Bühne gezeigt wurde.

Welche Gedanken und Einflüsse sie seither auch immer verleitet haben mögen, aus dieser Etüde eine komisch sein wollende Performance zu machen, sie haben ihren Beitrag ruiniert. Die Klarheit ihres Spiels um die musikalischen Prinzipien der Fuge wurde einer Mimik und Gestik geopfert, über deren wenig originelle, weil tausendfach gesehene Komik, nur noch ganz Wenige werden lachen können. Was auf einer wesentlich grösseren Bühne vor Wochen noch funktionieren wollte, führte nun zum Verlorensein im kleineren hellen Geviert der Orangerie.
Wenig hilfreich auch, dass die Beiden dann das Publikum eine Minute und fünfzehn Sekunden im Dunkeln sitzen liessen, nur um einen absolut vorhersehbaren Fünf-Sekunden- Schlussgag vorzubereiten. Schade!

©TANZweb_Szenenfoto aus „A Solo for Two“ – Valérie Kommer und Karolne Strys


©TANZweb_Szenenfoto aus „in search for the song“ von und mit Adam Ster

Nach der Pause präsentierte der MichaelDouglas Kollektiv Tänzer und Komponist Adam Ster sein Solo „in search for the song“, das er an gleicher Stelle bereits im Juni im Rahmen des Katalyst Festivals aufgeführt hatte. Seine Suche nach „den(m) tanzenden und singenden Körper in Bezug zur zeitgenössischen, aber tradierten Struktur eines Pop Songs, dieser Formel, die mühelos soziale, ethnische und Gender‐Unterschiede transzendiert, und die uns sowohl mit anderen als auch mit unseren Gefühlen in Verbindung bringt…“ wie es der Programmzettel gestelzt ausdrückt, hätte derlei „Verschnörkelung“ gar nicht nötig gehabt:

Zu wummernden Bässen zelebriert er mit seiner Stimme eine Art schamanischen Gesang, der das Publikum in das Oval der Stühle einladen will, die die Bühne nun umgeben. „I am so happy that you are here“ singt er mit gebetsartiger Stimme, die  sich danach als Stille im Raum zwischen Performer und Zuschauer ausbreitet. Fortan bestimmen die Tonbandfragmente, mit denen Ster sich in Form eines Umhangs bekleidet hat, in exakt der gleichen Zeitdauer seines Gesangs, die Geräuschmelodien, die er mittels seiner (improvisierten) Bewegungen erzeugt. Der Tänzer hat für seine Präsentation nur einen Scheinwerfer gewählt, der es ihm erlaubt mit Licht und Dunkelheit zu spielen, um gleichsam die inneren Stationen seines Spiels zu beleuchten. Das letzte Drittel beginnt er erneut mit den schamanischen Fragmenten an das Publikum gerichtet, um sich dann in Tempi und Dynamik immer weiter zu steigern. Das Klatschen der Hände, das Aufsetzen der Füsse und die flirrenden Bänder vereinigen sich zu einem Geräuschefluss, der sich erschöpft und als das allein noch hörbare schwere Atmen des Tänzers in die Dunkelheit entgleitet.

Eine Präsentation mit Potential, ohne jedoch restlos überzeugend zu sein. Hierzu hätte sie weiter, der Tanz und die Nutzung des Raums noch präziser und vor Allem vielschichtiger gearbeitet sein müssen.

©TANZweb_Szenenfoto aus „Morbus“ von MuddyBoots

Zum Abschluss die einzigen Gäste: MuddyBoots aus Frankfurt. Das sind in erster Linie die Georgierin Ekaterine Giorgadze und der US Amerikaner Jason Jacobs, hier verstärkt durch Anastasia Ivanova, die in „Morbus“ (Krankheit) die langsamen Veränderungen des Geistes und des Körpers, bedingt durch Krankheit, sezieren. Dieser Körper, der gleichzeitig stellvertretend sein soll für all die Körper der anwesenden Zuschauer, wird dargestellt von drei TänzerInnen, die zunächst mit Gesang, Sprache, Gestik, Mimik und dem Ausmessen des Raums durch Schritte und Bewegung als eine Einheit agieren, gewollt ohne absolut synchron zu sein. Nach und nach verändern sich die einzelnen „Teile“ dieses Körpers während der rund fünfundzwanzig Minuten der Performance, trennen sich ab, beleuchten Mikrokosmos und Makrokosmos und werden wieder Eins.

Die Vorstellung ist mit Können auch mit tänzerischem Können gemacht, das jeden der drei Performer zu fast jeder Zeit begleitet und doch bleibt sie in einem Konzept verhaftet, dem das Publikum irgendwann nicht mehr zu folgen vermag. Vielleicht auch deshalb, weil es noch dramaturgische Defizite in „Morbus“ gibt, die den Wechsel zwischen Einbeziehung, Anwesenheit oder Abwesenheit des Zuschauers, sowie tänzerischer Abstraktion noch zu konfus gestaltet, zumindest wie es nun in der Orangerie zu erleben war.
Der (unverdiente) Lohn hierfür war der äusserst spärliche Applaus zum Schluss.
Aber bis zur Premiere im Dezember in Frankfurt lassen sich diese Defizite noch überarbeiten.

Insgesamt ein nicht überzeugender Abend, den auch die beiden Beiträge nach der Pause nicht mehr retten konnten, sind diese selbst doch allenfalls Performance-Facetten an der Schwelle, jenseits derer ein verstärktes Interesse an einer Fortsetzung erst beginnen könnte sich zu entzünden, – oder auch nicht.


©TANZweb_Valérie Kommer in „A Solo For Two“