©Ben J. Riepe Company – Roger Rosell
NRW-Tanz auf Roadshow in Berlin
Open Studios in den Ufer-Studios in Wedding und eine Premiere beim Festival Tanz im August
Von KLAUS KEIL
Den meisten von uns dürfte Goethes Ballade vom Erlkönig aus der Schulzeit geläufig sein. Man erinnert sich: Wer reitet so spät…? Sie soll eine der bekanntesten deutschen Balladen sein, bekannter als Schillers Glocke. Mehrfach wurde „der Erlkönig“ vertont, hat Künstler zu Gemälden angeregt und jetzt hat ausgerechnet diese deutscheste aller deutschen Balladen den japanisch-stämmigen HipHopper und urban-street-Dancer Takao Baba zu seiner Performance „Ronin – Made in Germany“ inspiriert. Ronin –, war das nicht dieser heimatlose Samurai? Also fragen sich auch Takao Baba und seine internationale Company E-Motion: Wie ist es, deutsch zu sein mit japanischen, türkischen oder anderen Wurzeln? Mit einem flotten Mix aus Streetdance, Hiphop und Elementen der Martial Arts wirbeln sie die gegenseitigen Klischees ganz schön durcheinander.
Ausschnitte davon präsentierte Takao Baba jetzt bei den Open Studios in Berlin. NRW meets Berlin. Mit dabei auf dieser Roadshow nordrhein-westfälischer Ensembles in den Ufer-Studios in Wedding waren neben Takao Baba und Alexandra Waierstall, beide Choreographen arbeiten in Düsseldorf, auch Ben J. Riepe, artist in residence des Essener PACT Zollvereins , sowie Rafaële Giovanola, Choreografin der CocoonDanceCompany aus Bonn. Sie alle gaben Einblicke in ihre aktuellen Produktionen mit anschließenden Erläuterungen zu den Stücken.
iDAS – Makler des Tanzes?
Eingeladen zur Roadshow nach Berlin hatte iDAS, the „International Dance Artist Service“. Was sich so anglophil anhört, ist tatsächlich eine vom Land NRW initiierte und voll finanzierte Agentur zur (u.a.) Vermarktung des nordrhein-westfälischen Tanzes. Eine deutsche Bezeichnung gibt es übrigens nicht.
Trotz dieser Vollfinanzierung war ihr Erfolg bislang eher mäßig. Mit der neuen Leiterin des Tanzhaus NRW, Bettina Masuch, scheint nun auch eine längst überfällige Neu-Ausrichtung von iDAS bevor zu stehen, denn Masuch leitet auch dieses am Tanzhaus in Düsseldorf angedockte „Projekt“.
Das Berliner Publikum jedenfalls freute es, gleich vier NRW-Ensembles präsentiert zu bekommen, deren Blick auf den annähernd gleichen Gegenstand doch zu sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und Inszenierungsformen führt.
Bei allen im Mittelpunkt steht: der Mensch. Das hört sich abgedroschen an und muss als Thema schon deshalb immer wieder neu definiert werden. Unbestreitbar sind die Auswirkungen gesellschaftlicher Veränderungen auf den Menschen.
Bei Alexandra Waierstall liegt der Schwerpunkt auf den Beziehungen von Mensch und Umwelt. Im neuen Stück „A city seeking its bodies“ (Premiere im September) sucht sie die Grenzen des Wachstums und Zukunftsutopien.
Ben J. Riepe konzentriert sich ganz auf den Körper als Ausgangspunkt seiner künstlerischen Recherche. „We have and we are a body“, erläuterte er seinen Ansatz für das neue Stück “Untitled: Persona”, das im November uraufgeführt wird. Das dialektische Potential des Themas liegt für ihn in der Umkehrbarkeit des Körpers vom Objekt zum Subjekt. Dazu steckt er alle seine Performer von Kopf bis Fuß in uniforme Ganzkörperanzüge, aus denen sie sich erst nach und nach als Individuen herausschälen.
©Joerg Letz – Alexandra Waierstall
„What about Orfeo?“ fragt Rafaële Giovanola im gleichnamigen Tanzstück und zeigt, welch Aktualität im Orpheus-Mythos steckt. Der Blick zurück nach vorn bringt den Menschen immer in Ausnahmesituationen, die es aktuell zu bewältigen gilt. Nachvollziehbar wird das in der Vollversion des Tanzstückes. Der Zuschauer sitzt mit dem Rücken zur Bühne. Das Geschehen verfolgt er über große Wandspiegel. Doch Orpheus Blick zurück ist immer auch als ein Blick des Menschen in sein eigenes Inneres zu sehen. Und da man sich selten (oder nie?) in seiner Gesamtheit wahrnimmt, erhält jeder Zuschauer einen Handspiegel, den er, rückwärtsgewandt, auf Details des Bühnengeschehens richten kann. Eine doppelte Abstraktion für tiefgründige Ich-Erfahrungen (im Oktober in voller Länge im Ballhaus Ost, Berlin).
©TANZweb_Klaus Dilger – CocoonDance Company “What about Orfeo?”
Zeitgleich mit den Open Studios im Ufer-Studio in Wedding zeigte das Festival Tanz im August die Premiere des neuen Stückes „Bronze by Gold“ der Kölner Choreografin Stephanie Thiersch
©Djana Lothert
PREMIERE: “BRONZE BY GOLD”
mouvoir – Stephanie Thiersch
Scheitern auf niedrigem Niveau
Mit „Bronze by Gold“ setzt die Choreografin Stephanie Thiersch ihre musikalisch-choreografische Kooperation mit dem Asasselo-Quartett fort. Dem im Frühjahr produzierten und vom Rezensenten als “missglückt” beschriebenen „For four“, folgte nun diese neue Produktion mit Tänzern des Darmstädter Balletts.
Am Tag zuvor, im Haus der Berliner Festspiele, bei den immer noch erstaunlich ideenreichen (und hervorragend getanzten) Stücken der kanadischen Choreografin Marie Chouinard, wurden vorsichtshalber Ohrenstöpsel verteilt. Kaum einer nutzte sie. Am Tag danach, im Radialsystem V, bei der Premiere von „Bronze by Gold“ der Kölner Choreografin Stephanie Thiersch hätte man gern welche gehabt. Bis auf einige stille Phasen herrschte nämlich ein infernalischer Lärm, den als „Musik“ zu bezeichnen ein Euphemismus wäre. Dabei sollte doch das Asasello-Quartett mit Beethoven und Illés wenigstens musikalische Schönheit zum Abend beitragen.Daraus wurde nichts. DJ Elephant Power hatte die Regie übernommen, das Asasello-Quartett ging darin unter wie die Fiedler auf der Titanic. Also scrachte der DJ auf Deubel komm raus mal allein, mal mit dem Quartett und mal ergänzt vom Geschrei der Performer quer durch die elektronische Musik: eine Kakophonie des Unsinnlichen, ja, des Absurden.
Das hätte man sicher noch verschmerzen können, war man doch hauptsächlich wegen des Tanzes und der Choreografie eines Stückes mit dem vielversprechenden Titel „Bronze by Gold“ gekommen. Doch schon nach wenigen der ermüdend langen achtzig Minuten des Stückes war klar, dass auch die Choreografie kein strukturierendes Element werden konnte. Denn auch die Choreografin scrachte in einem Bewegungspool, in dem sich nicht nur überflüssige, sondern auch banale, unsinnige, alberne, nichtssagende Bewegungen befanden – nur leider kein Tanz. Das empfanden wohl auch eine Handvoll Zuschauer so, die erkenntlich vor dieser unsinnlichen Bewegungsorgie flohen.
So torkelten, stolperten, stürzten, zuckten, rasten oder zappelten die Performer oft orientierungslos wirkend über die Bühne, fanden offensichtlich nur Halt, wenn sie sich zum wiederholten Male zu einer amorphen Masse fanden, einem Leiberklumpen, in dem sie sich gegenseitig stützen konnten, um gleich wieder auseinander zu streben. Dann wieder erstarren sie zu Standbildern, deren Sinn sich nicht erschließt.
Folgt man den Erläuterungen des Programms, soll dieses Bewegungschaos wohl eine sich im Umbruch befindliche Gesellschaft darstellen, wobei es eine Sache ist, dies inhaltlich auf die Bühne zu bringen. Doch das nach der Chaosforschung immanente ordnende Element in eine tänzerische Performance, sprich: Choreografie umzumünzen, ist eine ganz andere Sache. Da helfen auch die Phrasen des Programmheftes nicht weiter, in dem von „postapokalyptischen Umklammerungen“ gefaselt wird, oder von „prä-apokalyptischen“, bei denen „ein Ende … nicht in Sicht ist“ (Programm-Zitate). Von Stil und Rhythmus, die sich verflechten, ist dort die Rede – doch was findet sich denn davon auf der Bühne wieder? Welcher Stilrichtung sind denn diese prä- und postapokalyptischen Bewegungen zuzuordnen?
Auch inhaltlich erweist sich dieses Stück als reine Behauptung, wenn nicht gar als Mogelpackung: „Bronze by Gold“ ist ein Zitat aus James Joyce´s Ulysses. Es bezieht sich auf das bronzene und blonde Haar zweier Bardamen, die, ergänzt um eine Prostituierte, als Sirenen unverkennbar an Homers Irrfahrten des Odysseus erinnern und Joyce zu einem großartigen assoziativen Gedankenstrom führen. Gespannt hatte man erwartet, dass dieses vielfältige literarische Beziehungsgeflecht Stephanie Thiersch zu einem choreografisches Ideen-Feuerwerk inspirieren würde – doch das blieb aus. Mangels Erkenntnis oder mangels Fähigkeit? Mehr als ein mageres Sirenengeheul im Stück erinnert nicht an Joyce. Zurück bleibt die Enttäuschung über vertane Chancen und nicht eingelöste Versprechungen, die der Titel suggeriert.
Höchst bedauerlich, dass ausgerechnet der Kölner Beitrag von Stephanie Thiersch sowohl technisch wie inhaltlich den Tiefpunkt dieses Festivals darstellt, der im Umfeld hochkarätiger, auch experimenteller Tanzstücke eines Tao Ye, einer Marie Chouinard und gar einer Lucinda Childs schmerzlich und unübersehbar zu Tage tritt.