Soeben zu Ende gegangen:
ReVoLT in der TanzFaktur
Die belgische Compagnie THOR zu Gast in der Winterausgabe des „BORDERLAND-Festivals
Nach(t)gedanken von Klaus Dilger
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Unendlich langsam, kaum sichtbar im halbdunkel der nackten Bühnenfläche, richtet sich das vornübergebeugte Wesen auf. Zuerst sind nur Schultern und Nacken erkennbar, gefolgt von einem endlos scheinenden Vorhang blonder, dichter Haare. Dann Schwarz.
An einem entgegengesetzt liegenden Ort auf der Bühne taucht das Wesen im spärlichen Scheinwerferlicht wieder auf, umschlingt den Hals mit den Armen, als hielte es sich selbst im Würgegriff. Das Gesicht blickt uns an, es ist eine Frau. Sie lässt die Arme fallen. Wieder Schwarz.
Wieder ein neuer Ort, erneut das Bild, der sich selbst im Würgegriff haltenden Frau. Der Körper wehrt sich zuckend. Die Arme werden zu Fesseln, halten sie scheinbar von Hinten mit grosser Kraft fest, verknoten sich dann zwischen ihren Beinen, fesseln eine Hand, die wie zärtlich und gleichzeitig übergriffig auf der Wange liegt. Körper und Kopf zucken, sich wehrend, und dazu stets präsent ein Doppel-Takt, geschlagen wie in einem langen leeren Korridor, dessen Eiseskälte man zu spüren glaubt und der wirkt wie ein Echolot, das Feindliches aufspüren will, um es zu zerstören. Die Arme, die Fesseln sind, fallen entkräftet herab. Schwarz.
Erneut ein anderer Ort, wieder die Fesseln der eigenen Arme und der zuckende, sich wehrende, athletische Leib, der bekleidet ist mit einem langen T-Shirt mit militärischem Camouflage Druck und einem orangeroten Saum. Das Gesicht der Frau, das immer nur für kurze Augenblicke hinter dem wilden Vorhang ihrer Löwenmähne auftaucht, ist das einer stolzen und doch zerbrechlich wirkenden gefangenen Soldatin und Kämpferin. Neue Verknotungen der Fesseln und immer wieder kurze Momente der Befreiung. Wieder Schwarz.
Nach und nach greift dieser Kampf um Freiheit und Unbeugsamkeit auf den ganzen Körper über. Orte werden zu Erwartungen und Rollen und damit zu Plätzen des Ungehorsams und Widerstands, die mit der Zunahme ihrer Zahl den ganzen Raum ergreifen.
Nicola Leahey nimmt diesen ständig wiederkehrenden Kampf, auf dessen Ermattungspausen stets eine neuaufgeladene Fortsetzung folgt, ohne Dramatik aber mit grosser Überzeugungskraft auf. Mit ihrer blonden Löwenmähne erinnert sie an Samson, der solange unbesiegbar war, wie sein Haupthaar ungeschoren blieb. Aus diesem Bewusstsein heraus scheint sie zu handeln.
Diese Stationen folgen keiner ersichtlichen Dramaturgie, vielmehr erscheinen sie wie Rückblenden eines Films, dessen Geschichte und Finale wir nicht kennen. Am Ende des Abends werden sie sich 36 Mal ereignet haben.
Die im tiefstem Inneren verstörende und gleichzeitig zupackende Komposition von Maxime Bodson gleicht folgerichtig eher dem Soundtrack eines Kinofilms, der eine Vielzahl an emotionalen Schichten im Betrachter entstehen lässt. Jede der Sequenzen greift das radikal reduzierte Bewegungsvokabular Thierry Smits und Nicola Leahey‘s wieder auf, in deren Wiederholungen es stets neue Nuancen zu entdecken gibt und gilt.
Nur zweimal scheint Leahey sich der übermächtig erscheinenden Umwelt ergeben zu wollen, um in einem letzten kurzen, friedvollen Augenblick, auf dem Boden zusammengerollt, wie zum Schlaf sich vorbereitend, zu enden.
Doch dann geht die Auflehnung, die Revolte gegen die Fesseln der Fremdbestimmung weiter, ohne hier, in diesem Stück, ein (glückliches) Ende zu finden. Schwarz.
Der nächste Ort wird erscheinen, aber nicht an diesem Abend.
Thierry Smits hat sich in diesem Solo für eine athletische Frau mit unbändiger und nur von der Frau selbst beherrschbaren, wilden Löwenmähne (wie es scheint) mit Nicola Leahey eine grossartige Tänzerin und kongeniale Partnerin ausgesucht.
ReVoLT ist keine leichte Kost – für niemanden!
Erneut heute Abend um 18 Uhr in der TanzFaktur zum Abschluss des kurzen BORDERLANDS-Festivals! Im Anschluss Abschlussparty!