Seelenspuk im Hotelzimmer

„Anima“ von Emanuele Soavi und Meritxell Aumedes Molinero im Kölner Midtown Hotel

Nachtkritik von Nicole Strecker

HIER GEHT ES ZU DEN VIDEOIMPRESSIONEN

Seltsamer Spuk: Vorhänge flattern als husche eine Schar Geister hindurch. In einem kleinen stickigen Hotelzimmer zeigt der Fernsehbildschirm nicht etwa ein gemütliches Fake-Feuerchen oder einen Willkommensgruß, sondern einen Mann, der sich offenbar in einer mit grau-schlickigem Wasser gefüllten Badewanne ertränken möchte. Und in einem anderen Zimmer liegt eine Frau wie tot auf einem Bett, halbnackt, die Brüste mit Verbandsmull umwickelt. Im frisch renovierten, aber noch nicht offiziell eröffneten Midtown Hotel mitten auf den Kölner Ringen hausen derzeit uralte Seelen und durchleben mehrmals am Abend den ewigen Schmerz des gebrochenen Herzens.

©TANZweb.org_Klaus Dilger

„Anima“, so der Titel der neuen Produktion von Choreograf Emanuele Soavi, führt die Zuschauer durch mehrere Zimmer, Flure und Etagen des Hotels. Dort begegnen sie surrealen Filmbildern, Installationen und den beiden Performern Soavi und Meritxell Aumedes Molinero, die in Tanzszenen die Tragik einer geheimnisvollen Beziehung offenbaren. Ein Horrortrip über die ewig menschliche Ahnung, dass es eben doch mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als die Schulweisheit sich träumt. Bedrückend intim und beunruhigend als wäre man in einem Albtraumfilm von David Lynch.

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Die experimentelle Performance ist Teil von Soavis Serie „The Habit Cycles“, in denen er die gleichberechtigte Kollaboration mit einem Künstlerkollegen sucht. So entstanden bereits Stücke mit der Tanztheater-Legende Susanne Linke, dem Kölner Theaterregisseur Daniel Schüßler und zuletzt mit dem renommierten Tanzfotografen Joris-Jan Bos. Dessen fantastische Dokumentationen von Emanuele Soavis Arbeiten sind derzeit in einer Ausstellung in der Kölner Galerie Freiraum zu sehen (noch bis zum 11. Juli) – auch das eine Initiative von Soavi, der mit ungebrochener Energie Stadttheater oder freie Theater bespielt, Kinderstücke und Soli für sich selbst entwickelt, eine Mythen-Trilogie choreografierte und nun: „Anima“, ein Site-specific-Projekt in einem halbfertigen Hotel, gemeinsam mit der spanischen Video- und Performance-Künstlerin Meritxell Aumedes Molinero.

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Zwei junge Frauen nehmen die Zuschauer in der Lobby in Empfang. Sie sind zwei ausnehmend charmante „Charon-Grazien“ schließlich gibt es schon im Mythos keinen Gang in Unter- und Zwischenwelten ohne einen Führer. Erste Station: Ein dunkles leeres Zimmer. Kabel ragen stachelig aus der Wand, Licht kommt nur von einem brummenden Projektor. Hier stehen sich Molinero und Soavi gegenüber und hauchen in ihre Handys als wollten sie die „Android“-Geräte beseelen. Überhaupt sind Smartphones das Medium der Wahl an diesem Abend. An allen Stationen liegen sie bereit und knistern, rauschen, rascheln vor sich hin als seien sie mit paranormalen Welten verbunden.

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Zunächst aber ist es der Atem der Performer, der dank Handy-Verstärkung mächtig durch das winzige Zimmer braust. Ein Video zeigt zwei Körper, Mann und Frau, die sich ein Outfit teilen. Ein Liebespaar? Eine Psychofantasie? Hände verknoten sich, rutschen erotisch auf Hüfthöhe. Sie ziehen sich den gemeinsam getragenen Rollkragenpullover über das Gesicht, winden sich im Stretchstoff als amorphe Gestalt wie einst Martha Graham in ihrem weltberühmten Trauersolo „Lamentation“, die schon damals durch das enge Schlauchgewand eine namenlose Qual illustrierte, die sich im Körper ausdehnt, ihn obsessiv besetzt, nicht aus der Haut kann. Und bald offenbart sich auch die rätselhafte Tragik dieses Paares.

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„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, dichtete Goethe, und meinte er noch die Zerrissenheit zwischen hellen und dunklen Mächten, so erzählen Molinero-Soavi nun von zwei Seelen, einer männlichen, einer weiblichen, die eins waren, doch getrennt wurden. Ab jetzt werden die Zuschauer in zwei Gruppen durch das Hotel geführt, begegnen mal Soavi, mal Molinero in gesonderten Zimmern und in grauenvoll verlorenen Zuständen.

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Im Zimmer des männlichen Tänzers sind die Vorhänge fest zugezogen, die Luft ist drückend-heiß, weiße Lilien in einer Vase verströmen süßlichen Duft. Soavi schlägt sich schmerzhaft hart auf die Brust bis ein leuchtend roter Fleck entsteht. Er zieht sich einen Chirurgenschürze über, entnimmt einer Kühlbox einen glänzenden Fleischklumpen, der wie ein Herz aussieht und näht mit gruselig dicken Nadeln einen Riss im Fleisch zusammen. Im engen Zimmer mischt sich der Geruch von Fleisch, Schweiß und Blumen, viel zu nah kommt man als Publikum dem Schmerzens-Wahnsinn dieses Mannes. Doch kaum hat man im Flur einmal durchgeatmet, führt  die verführerische ‚Fährfrau‘ die Zuschauer in die nächste Hölle, zu Meritxell Aumedes Molinero.

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In ihrem Raum stehen überall in den Regalen Glasglocken mit Schmetterlingen auf Zweigen – eine morbides Setting, schließlich galt das Insekt schon in der Antike als Seele der Toten. Molinero zappelt auf dem Bett, ihr Körper bäumt sich auf als wolle ihre Schmetterlingsseele davonflattern. Am Ende ihrer kurzen intensiven Szene steht sie tatsächlich am geöffneten Fenster, auf ihrem nackten Rücken kleben zarte Schmetterlinge mit zitternden Flügeln als wollten sie ihren Leib in die Lüfte heben.

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So skurril die Idee zunächst scheint, ein Hotel zum Schauplatz einer Seelen-Performance zu machen, so großartig lösen Molinero/Soavi sie ein: In der Beengtheit  der Zimmer, den verwirrend ähnlich gestalteten Fluren mit ihren geräusche-schluckenden Teppichen, der halbdunkel-verwinkelten Architektur stellt sich tatsächlich bald das Gefühl ein, man habe sich in einem Gemälde von Edward Hopper verirrt. Und mit einem sensibel gesponnenen Gewebe aus alten Seelensymbolen, schwarzer Romantik und heutigem Mystery-Flair entsendet das Performer-Duo seine untoten „Anima“ wie auch seine Zuschauer in eine beunruhigende Transitzone – verloren zwischen Diesseits und Jenseits.