Zehn Jahre EMANUELE SOAVI incompany

GEZEITEN

Uraufführung zum Jubiläum in der Kölner TanzFaktur

beobachtet von Klaus Dilger

HIER geht es zu unseren Videoimpressionen des ersten Teils: FLUT

Emanuele Soavi gehört in NRW zu den herausragenden Choreografen. Zu dieser Einschätzung muss gelangen, wer sich durch die zahlreichen Rezensionen namhafter Tanz- und Kulturjournalistinnen und -Journalisten der vergangenen zehn Jahre liest, nicht nur auf TANZwebNRW und nicht nur auf seine Arbeiten in dieser Region bezugnehmend, sondern seine zahlreichen Arbeiten für nationale und internationale Theater und Opernhäuser einschliessend.

Nun feiert der in Köln ansässige Choreograf das zehnjährige Bestehen seiner „incompany“ mit einer Werkreihe in der Kölner TanzFaktur, die am vergangenen Donnerstag mit der Uraufführung von „GEZEITEN“ ihren Auftakt genommen hatte. Klaus Dilger war mit seiner Kamera dabei und fasst seine Eindrücke in Videoimpressionen zu beiden Teilen des Abends zusammen, aber auch mit kritischen Worten:

GEZEITEN nennt Emanuele Soavi seinen neuen Tanzabend, den er mit und für seine(r) „incompany“ geschaffen hat, die nun zehnjähriges Bestehen feiern darf. Nachvollziehbar der Titel, denn die „FLUT“, so Teil Eins, wird maßgeblich bestimmt durch den Einfluss des Mondes und davon hat „URANUS“ bekanntermaßen gleich sechs.

Eigentlich könnte der zweite Teil „URANUS BALL“, so der genaue Titel, auch ein kleines „s“ nach dem (englischen) „BALL“ tragen, denn Selbige werden ihm in der Mythologie von seinem Sohn Kronos mit einer gigantischen Sichel abgeschnitten, weil er seine ihm verhassten Kinder, die er mit Gaia, der Erde, gezeugt hatte, in die Unterwelt verbannt hatte. Mit dieser Entmannung endet der Sage nach die Urzeugung zwischen Himmel und Erde. – Beginnt also nun die Epoche der Selbstbestimmung und Freiheit, eine Epoche des Lichts?

GEZEITEN_Emanuele-Soavi-incompany©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Der Boden der TanzFaktur in Köln ist mit schwarzem Tanzteppich ausgelegt, die Wände der Guckkastenbühne sind meterhoch in schwarz abgehangen. Am vorderen linken Bühnenrand, schwach beleuchtet, die Cellistin Anja Schröder, diagonal entgegengesetzt in der hinteren rechten Ecke Stefan Bohne für den live eingespielten elektronischen Sound zuständig, den er und Wolfgang Voigt als Elektronische Komposition basierend auf Werken von Ludwig van Beethoven komponiert hatten und der die Zuschauer beim Einlass direkt in die spätere Unterwelt des zweiten Teils begleitete.

Ein düsteres Szenario, das Soavi und Achim Conrad hier konzipiert haben, passend dazu das LIchtdesign von Roman Sroka, das der Architektur der Bühne und des Geschehens nur selten Tiefe verleihen konnte oder wollte.

GEZEITEN_Emanuele-Soavi-incompany©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Soavi und Conrad haben den ersten Teil ihres dreiteiligen „FLUT“-Abends herausgelöst und weiter entwickelt, den sie mit der Oper Köln und den Duisburger Philharmonikern im Rahmen von BTHVN 2020 herausgebracht hatten und der, nun erst einmal allein stehend, die Zuschauer mit einer ungewissen Leere in die (Umbau)Pause entlässt. Was hier im weisstransparenten Kostüm (Darko Petrovic) wie flügelschlagend kreisend in einem hellen Scheinwerferspot begann, endet mit einer komplett verhüllten grauen Gestalt mit langer Schleppe, die gewollt? bedeutungsschwer in Zeitlupe das tanzende Geschehen, das (mit der Flut?) am Bühnenrand gestrandet ist, orakelnd auflöst? … Hier endet der Satz des nichtwissenden Rezensenten.

GEZEITEN_Emanuele-Soavi-incompany©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Davor war, wie stets bei Emanuele Soavi, gut bis hervorragend getanzt worden. Auch dies ein Markenzeichen des italienischen Choreografen und seiner „incompany“, worauf Gisela Deckart, die Referatsleiterin für Theater und Tanz des Kulturbüro Köln, in ihrer Begrüssungsrede zurecht als herausragendes Unterscheidungsmerkmal zu vielen anderen Tanzkünstlerinnen und -Künstlern in NRW hingewiesen hatte.

Tanz: Federico Casadei, Taeyeon Kim, Lisa Kirsch, Giacomo Luci, Mihyun Ko, Lorenzo Molinaro, Nimrod Poles

Ihre Meinung sollte sich auch im zweiten Teil bestätigen: tänzerisch (für den Rezensenten) noch weitaus gehaltvoller und besser, obwohl nur als „tänzerische Installation“ angekündigt, choreografierte Soavi den Dialog mit Julia Frankens’ Videoinstallation, die einer Art „Deus Ex Machina“ Bild und Stimme verleiht, trotz des gleichbleibend düsteren Grundtons, über weite Strecken spannungsvoll.

GEZEITEN_Emanuele-Soavi-incompany©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Die Ankündigung des Programmheftes: „…URANUS BALL widmet sich der Energie der Erneuerung, zeigt, was möglich ist, wenn wir uns der alten Gewohnheiten und Ängste entledigen und kompromisslos die Gegenwart gestalten. Die mythologische Vorlage, der Kampf um die Vorherrschaft zwischen männlichem und weiblichem Prinzip, zeigt angesichts der gegenwärtigen Weltlage eine Aktualität, die dazu herausfordert, überkommene Rollenmodelle und Machtstrukturen in Frage zu stellen und einer radikalen Emotionalität eine radikale Körpersprache zur Seite zu stellen.“, löste sich nach Meinung des Rezensenten, der das Bühnengeschehen allerdings durch das Auge der Kamera betrachtet hatte, nicht ein.

Was dieses „gesehen“ hatte, zeigen wir, wie immer begleitend und zur Bildung der eigenen Zuschauermeinung, in unseren Videoimpressionen.

Gut möglich, dass genau diese angesprochene „aktuelle Weltlage“ so grausam, bedrückend, dunkel, gefährdend und irreal nah und doch so real nicht fassbar erscheint, dass, bei zweifellos allem vorhandenen handwerklichen Können in Choreografie und Tanz, sich der Rezensent Fragen und Antworten in und durch die Kunst gewünscht hätte, die über das Hier und Jetzt hinausweisen…

Noch einmal am Sonntag um 18 Uhr in der TanzFaktur Köln

GEZEITEN_Emanuele-Soavi-incompany©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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