©TANZweb – klaus dilger

Alles fließt.  Aber wohin?
kurze Nachtkritik von Melanie Suchy

Solch einen heftigen und langen Applaus hat man selten in der Wachsfabrik / Barnes Crossing bei Aufführungen gehört. Kurz bevor das FLOW-Dance-Festival seinen diesjährigen Veranstaltungsfluss stoppt, konnte es noch eine Premiere präsentieren, ein Stück, das sich sogar der Flüssigkeit widmet. Einer bestimmten Flüssigkeit: Wachs.

Wandelbar ist es als Material. Der Titel der Choreografie, „Exuvie“, spricht von Hülle oder Haut. Doch immer scheint hier auch das mitgemeint, was von einer Hülle bedeckt, umfasst, umschlossen wird. Innen und Außen, samt den Vorgängen des Hinein und Hinaus und Drumherum. Das flüssige Paraffin wird aus geheizten Bottichen in ein niedriges, quadratisches, mit schwarzer Folie ausgekleidetes Bassin auf der Bühne geschüttet. Wie Wasser. Bald bildet sich an der Oberfläche eine zarte weiße Schicht. Die Erstarrung geschieht sehr langsam. Nach einer Weile sieht es wie Eis aus, vermischt mit Schnee; es könnte, mit etwas Fantasie, ein See sein oder ein Stück arktisches Meer. Dieser Landschaft setzen sich die beiden französischen Tänzer und Choreographen Christophe Béranger und Jonathan Pranlas-Descours (alias „sine qua non art“) nun aus. Erst prüfen sie sie mit streichelnden Händen, dann betreten sie sie mit langsamen, steifen und schleifenden Schritten in Lederstiefeln. „Freeze“ ist ein altbekannter Begriff aus dem Theater, der das „Einfrieren“, Stoppen einer Bewegung meint. Wenn der anfängliche langsame Tanzfluss der beiden Männer manchmal innehält, dann wirkt das nicht wie Schnitt und Ende, sondern es entsteht der Eindruck von Weite, die Vorstellung eines Fließens in die Unendlichkeit. Paradox.

Daran merkt man, dass hier hervorragende Tänzer am Werk sind. Später werden sie sich der zähflüssigen Materie buchstäblich unterwerfen und unter sie wie unter eine dicke Haut kriechen. So ist ihr „Exuvie“ ist eine durchdachte und auch sehr sinnliche Performance. Das Wachs entzieht sich der totalen Kontrolle, es ist glitschig, es erstarrt schneller oder langsamer je nach Umgebungstemperatur, es dehnt sich oder zerreißt, wenn man an ihm zieht. Das verleiht ihm eine seltsam halbe Lebendigkeit, die den Menschen zu einer Art Kommunikation mit ihm verleitet oder zwingt. Eine solche Abstimmung praktizieren die beiden Tänzer auch untereinander und mit dem Raum.

Dazu an dieser Stelle später mehr.