Soeben zu Ende gegangen: Premiere des FREIraumENSEMBLEs
EXIL
im Freistaat für Kunst und Kultur – ODONIEN
Nachtkritik von Klaus Dilger
(auf der Basis der Generalprobe zur Premiere)
Weltweit sind derzeit über 50 Millionen Menschen auf der Flucht vor Gewalt, Menschenrechtsverletzungen oder Verfolgung. Wie viele dabei ums Leben gekommen sind, auf dem Weg in ein vermeintlich sicheres, dauerhaftes oder auch nur vorübergehendes Exil, lässt sich nur erahnen.
Für Wenige nur wird die Fremde eine Heimat bieten, irgendwann, und für die Meisten erfolgt die Rückkehr bald, zurück an den Ort der Flucht und Vertreibung, erzwungen durch Gewalt einer fremdbleibenden staatlichen Macht, sofern sie nicht schon an den Schutzwällen abgeprallt sind, die nicht nur in Amerika und Europa täglich neu zur Abwehr gegen „das Fremde“ entstehen.
Das Leid, die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit dieser Menschen dürfte den meisten Nichtbetroffenen unbegreiflich bleiben. Unbegreiflich aber auch, wie wenig sich Kunst und Künstler öffentlich zu einem Drama äussern und geäussert haben, das sich spätestens seit den frühen neunziger Jahren abgezeichnet hatte und dessen Höhepunkt noch lange nicht erreicht ist.
IN KÖLN NUN GREIFT DAS FREIraumENSEMBLE MIT SEINER NEUEN PRODUKTION DAS THEMA „EXIL“ AUF, WIE DER TITEL VERMUTEN LÄSST
Doch bereits die schriftlichen Vorankündigungen in diversen Veranstaltungshinweisen verweisen auf deren ganz eigene begriffliche Interpretationen von EXIL:
„Was bedeutet “EXIL”? Ausgrenzung, Verbannung, Angst, Isolation oder ist es auch eine Sehnsucht nach Freiraum, Freiheit, Akzeptanz und der Wunsch nach anderen Idealen?“ wird dort gefragt, und weiter: „Wie sieht heute Freiheit, Freiraum, freies Denken und Handeln aus? – Das Ensemble fragt, ob die heutige Lebensweise mit ihren durchstrukturierten, geplanten Abläufen und wirtschaftlichen Zielen noch vertretbar ist: Welche Auswirkungen hat unser Reichtum und Handeln für andere Nationen und was ist ethisch korrekt und akzeptabel?”
Und weiter: “Der Freiraum als solcher ist auch für die Akteure persönlich von Bedeutung, die sich entschieden haben, als frei-schaffende Künstlerinnen und Künstler zu leben, und sich fragen: „Begibt man sich damit in eine Art unfreiwilliges Exil? Ist es schon ein Statement dafür, dass wir mit dem Alltäglichen, mit normalen Formen und Systemen nicht ganz konform sind und nach anderen Möglichkeiten suchen? – Das FREIraum Ensemble führt das Publikum durch die außergewöhnliche Spielstätte ODONIEN – Freistaat für Kunst und Kultur in Köln.“
AHA! – DAS ODONIEN ALS EXIL FÜR KUNST UND KULTUR IN KÖLN – UND NATÜRLICH AUCH FÜR DIE KÜNSTLER
Auf diese einfache Formel wird das Thema „EXIL“ in der neuen Produktion des FREIraumENSEMBLEs sichtbar reduziert, die am Mittwoch Abend im „Freistaat“ Premiere feierte! – Und dies ist angesichts der gesehenen Darbietungen vermutlich gut so! Auch dass die, in den Ankündigungen aufgeführten, Fragen weder detailliert aufgegriffen, noch beantwortet werden!
Wer die Arbeitsbedingungen im Tanz in Köln kennt, will den jungen Tänzerinnen und Tänzern sogar darin folgen, dass diese Kunst dringend des EXILs bedarf.
Machen wir uns also frei von allen Erwartungen, die der Titel der Performance und die leidvolle Wirklichkeit hervorrufen und lassen uns ein auf ein EXIL namens ODONIEN, das uns in neuer Qualität von den acht Performern vorgestellt wird.
AUS ERFAHRUNG KLUG GEWORDEN
Bei EuphORIA, der zweiten Produktion des Ensembles im letzten Jahr am gleichen Ort, war es noch ein grosses Problem, dass dieses weitläufige KunstNatur Gelände immer nur einer begrenzten Zuschauerzahl freien Einblick auf die Performanceflächen bietet und sich das grosse Zuschauerinteresse so als Handicap der Aufführungen erwiess. Heuer verwandelte das Kollektiv unter Leitung von Arthur Schopa und Ruben Reniers dieses Manko in ein faszinierendes Kaleidoskop aus fünf Szenen, die die Zuschauer, aufgeteilt in fünf Gruppen erleben durften.
Grossartig wie die gelegentlich sich ergebenden „Durchblicke“ zu angrenzenden Spielflächen, durch Sprossenfenster und Altmetall, nach und nach, von Station zu Station, die die Gruppen in gleichem zeitlichen Rhythmus durchlaufen mussten, ein Gesamtbild, ein Gefühl der Gleichzeitigkeit der Ereignisse in Nebenwelten ergaben. Diese Sensibilisierung und die scheinbare Aufhebung von Chronologien durch das Wiedererkennen bereits zuvor gesehener Ereignisse aus wechselnden „Durchblicken“, ist der grosse und eigentliche Verdienst dieser neuen Produktion.
All dies zu mutmaßlich immer sich wiederholenden Musiksequenzen, die einem niemals als wiederkehrend erschienen und die allen Szenen in zeitlicher Parallelität den Klangraum verleihen.
All dies lässt über zu einfache Strickmuster und Stereotypen hinwegsehen, die manchmal auch dieser Produktion in einzelnen Sequenzen noch anhaften.
Zurück bleiben teilweise sehr schöne Bilder und ein nicht beschreib- und erklärbares Gefühl von Fluss, Harmonie und Zusammengehörigkeit – vielleicht wie in einer glücklichen Nachbarschaft.
Zu dieser gehört ein Maß an Empathiefähigkeit, Offenheit und Willkommenskultur, die aus EXIL Heimat werden lässt, – womit wir doch noch beim Thema wären.
Geschaffen und interpretiert wurde die sehenswerte Aufführung von:
Projektleitung: Arthur Schopa ● Choreographie: Ruben Reniers und Arthur Schopa mit dem Ensemble ● Tanz: Marja-Leena Hirvonen, Lisa Kirsch, Ronja Nadler, Hannah Platzer, Ruben Reniers, Arthur Schopa und Nicola Wähner ● Performance: Pepi | Gonzalo Rodriguez ● Musik: Raimund Kroboth mit dem Ensemble
Weitere Aufführungen: 22., 23., 26. und 27.8. im ODONIEN – Freistaat für Kunst und Kultur, sowie am 22.9. in der Samtweberei in Krefeld im Rahmen der Nachwuchsreihe „First Steps“