tanz.tausch digital und „jetzt erst recht“ neigt sich dem Ende entgegen

Erfolgreicher Versuch…

… auch wenn die Qualität nicht immer zu begeistern wusste

Nachbetrachtung von Klaus Dilger

Über das Auftakt-Wochenende des Festivals, mit CocoonDance’s „HYBRIDITY“ und Overhead Project’s Ersatz-Streaming „MY BODY IS YOUR BODY“ haben wir bereits berichtet.

Am 12.Februar gibt es nun den Corona bedingten Nachschlag des Overhead Project: „Circular Vertigo“, das als „work-in-progress Präsentation“ angekündigt wurde und am Freitag live aus dem Kölner ZAK bei dringeblieben.de gestreamt werden soll.

Noch ist das diesjährige tanz.tausch Festival also nicht zu Ende, das in dieser Ausgabe erstmals überwiegend digital im Netz stattfinden musste, oder hinter Schaufensterscheiben der Ebert-Passagen in Köln.

MIRA10_IKONE überzeugend…

Auch die Produktion IKONE von MIRA wird bei dieser Gelegenheit nochmals zu sehen sein, eine der ganz wenigen Produktionen, die bei diesem Festival Format wirklich überzeugen konnten:

Diese kurze, nur wenige Minuten dauernde Impression, „MIRA10_Ikone“ überzeugt vermutlich deshalb, weil es, nach Angaben des Veranstalters, ein eigens für das diesjährige tanz.tausch festival entwickeltes digitales Format darstellt, das man als perfekte Symbiose der Solo-Performance von Odile Foehl mit der Kamera von Julia Franken bezeichnen muss. Die beiden Künstlerinnen zelebrieren ein wunderbares Spiel von Schärfe und Unschärfe, bei dem sich die Tänzerin, bei vollkommen geöffneter Kamerablende, auf das Objektiv zu und wieder weg bewegt und sich in einen sich in Unschärfe verlierenden Raum begibt. So entstehen Aufnahmen, die wir ansonsten nur aus der Makrofotografie kennen und die uns einen Blick auf den Tanz eröffnen, wie er im tradierten Bühnengeschehen den Zuschauern verwehrt bleibt.

So, nämlich durch einen dergestalt entstandenen Mehrwert, bekommt ein digitales Live-Stream Format einen Sinn.

„Das Solo ist der erste Teil der für September 2021 geplanten abendfüllenden Choreographie MIRA 10_Ikonen und gleichzeitig ein digitales Testformat des dann geplanten Livestreamings“, erfahren wir aus dem Programmzettel und merken uns diesen Termin schon mal im Kalender an.

Choreografie: Julia Riera – Tanz: Odile Foehl – Film, Kamera: Julia Franken – Konzept/Kamera: Julia Franken.

MIRA_IKONEN_c_Julia_Franken

MIRA_IKONEN_c_Julia_Franken

Douglas Bateman berührt…

Trotz einiger Untiefen: Die zweite wirklich bemerkenswerte Aufführung des Festivals lieferte Douglas Bateman mit der Premiere von „It took my breath away – About Covid? – No it’s Shirley Not!“

„Shirley Not“ ist eine Kunstfigur, mit der Bateman bereits seit längerem arbeitet und die er so beschreibt: „No skin. Just love, compassion, joy and equality! Plus a whole lot of dancing, a tiny bit of circus and plenty of fun!“

Gunther von Hagens „Körperwelten“ standen wohl Pate beim Entwurf des asexuellen Kostüms und ebenso roh und deshalb ungeschützt wie dieses hautlose Wesen, erschien die Performance von Bateman verwundbar und zerbrechlich. Dies war eine neue Facette in Batemans bisheriger Arbeit, die bei jedem Ansatz, „funny“ zu sein, noch einen tieferen Blick in die Tragödie offenbarte, die dieses Etwas ohne Gender praktiziert, das Alles sein kann und eben auch Nichts, und das den Blick auf eine Identität, ein Sein, nur im Schmerz der Seele erahnen lässt.

Überzeugend auch deshalb, weil es Bateman und dem Kamerateam gelang, eine Performanceeinheit zu finden, die den Netzzuschauer ganz unmittelbar in den Fokus nahm.

(Konzept/Choreografie/Performance/Produktion: Douglas Bateman – Musik: „Breath“ von Ain Bailey)

douglas bateman_tanz.tausch©oliver look

douglas bateman_tanz.tausch©oliver look

Shibui Kollektiv / Emi Miyoshi: „Depth of Field“

Eine Einheit, die dem zweiten Teil dieses Performance-Abends, trotz ansprechender darstellerischer und tänzerischer Leistung, nicht gelingen wollte.

So blieb es bei der Performance des aus Freiburg angereisten Shibui Kollektiv / Emi Miyoshi: „Depth of Field“  bei einer eher dokumentarischen Kamerasicht, die wenig berührt, mitnimmt und deshalb schnell in Gefahr gerät, das Publikum am Bildschirm zu verlieren.

Vermutlich war zu wenig Zeit, um vor Ort tatsächlich das »Depth of Field« das in der Fotografie die Tiefenschärfe bezeichnet, den Bereich, innerhalb dessen ein Objekt scharf abgebildet wird, herauszuarbeiten. Schade. Dennoch gehörte diese Performance zu den eher Positiven, die auf einem gewissen Grundkönnen basieren.

Shibui-Foto-OliverLook

Shibui-Foto-OliverLook

„Können und Könner“ gesucht…

Ein Können, das muss leider konstatiert werden, das bei nicht wenigen Beiträgen dieser Festival-Ausgabe gänzlich zu vermissen oder nur schwer auffindbar war.

Dies betrifft leider nicht nur den Bereich der hohen Ansprüche, wie wir sie bereits in der Besprechung des ersten Wochenendes formuliert hatten, bezüglich der Arbeit am Format, sondern auch die Bereiche der Choreografie und des Tanzes.

Auch dies mag eine Erscheinung der Pandemie sein, in der es den Tänzer_innen zunehmend schwerer fällt, ihre Instrumente, ihre Körper, so zu trainieren, dass sie zur Interpretation und Lebendigmachung eines choreografischen Werks fähig sind, während es den Choreograf_innen immer schwerer fällt, ihre Werke adäquat zu vermitteln.

Auch wenn sich kaum eine andere Kunstform so sehr eignet, in Film, Video und bewegten Bildern die Menschen zu erreichen, so sehr werden doch hier die Grenzen des Möglichen aufgezeigt, die am Abhandensein der Schwerkraft und Schwere, ebenso wie dem Austausch mit einem real anwesenden Publikum leidet, die sie zum Erreichen der Leichtigkeit benötigen.

Das grosse Verdienst des Festivals ist es, „jetzt erst recht“, den Tanz für drei Wochenenden auf die Agenda unseres täglichen Lebens zurück gebracht zu haben.

Yibu-Foto-OliverLook

Yibu-Foto-OliverLook

Was bleibt…

Mit Spannung hatten wir den Beitrag von Yibu Dance (Chun Zhang und Kai Strathmann): Prelude 0 |1 (Solo ‘0‘ & Solo ‚1’) erwartetet, nachdem wir bereits Videos und Fotografien der Proben gesehen hatten und ihn verpasst. Weil wir uns leider darauf verlassen hatten, dass deren Aufführung noch im Netz zugänglich gehalten würde, was bis dahin der Fall war für alle vorausgegangenen Beiträge.

Was bleibt sind die hervorragenden Fotografien von Oliver Look, der alle Stücke begleitet hatte und der den bisherigen „Hausfotografen“ des Festivals, Werner Meyer, der für seine Arbeit vor einem Jahr mit dem Ehren-Theaterpreis der SK-Stiftung Kultur ausgezeichnet wurde, exzellent vertreten konnte.

Was bleibt ist auch die klare Erkenntnis, dass der Tanz lebendig ist und dass zur Tanzkunst unabdingbar auch das Können gehört, um solche zu erschaffen.

SanMartinToth-Foto-OliverLook

SanMartinToth-Foto-OliverLook