Und das Lächeln aus Stein

Reut Shemesh zeigt im tanzhaus nrw mit „Cobra Blonde“ die Frauen hinter einer Funkengarde

Nachtkritik von Rico Stehfest

Titelfoto: „Cobra Blonde“ von Reut Shemesh Foto © Andrç Symann

Elf Freundinnen sollt ihr sein, uniformiert, kostümiert. Die blonde Langhaarperücke lässt sie alle gleich daherkommen. Die Mitglieder der Tanzgarde der Karnevalsfreunde der katholischen Jugend Düsseldorf marschieren in den Saal des tanzhaus nrw, ganz ohne Publikum, ganz ohne Musik. Und ganz so, als gelte es schon zu anfangs durchzuhalten, was nicht ertragen werden kann, ist das Lächeln verkrampft, aufgesetzt. Das macht vom ersten Moment an keinen Spaß. Der lustige Reigen ist aus seinem Kontext gerissen, die Lebensfreude ohne Authentizität. Was eigentlich Spaß machen soll, wird hier unter künstlerischen Gesichtspunkten dekonstruiert. Als Zuschauer soll man fremdeln. Das fällt tatsächlich nicht schwer. So funktioniert Bewusstmachung.

Die Bühne zeigt einige farbige Flächen am Boden, ein paar kleine Podeste, bescheiden. Keinem ist nach Jubel, wenn Tradition, zumal noch eine zutiefst deutsche, unters Seziermesser gerät. Die Performerinnen defilieren brav und gleichförmig an der Kamera vorbei, teilweise scheinbar nicht ganz überzeugt vom eigenen Tun, deshalb entsprechend nicht zur Gänze überzeugend. Hier ist das selbstredend Absicht. Mit entsprechendem Ernst sollte man dem also schon begegnen. Das zeigt der erste Moment der Verfremdung, wenn eine der Performerinnen mit Computerstimme spricht. „Let me be your best friend for tonight!“. Und ja, der Rock ist zu kurz. Das Publikum soll sich sogleich schämen, angesichts dieser offensichtlichen, weil kein bisschen unterschwellig gestalteten Sexualisierung der Frau an sich.

Die aus Israel stammende und in Köln lebende Tänzerin und Choreografin Reut Shemesh befragt immer wieder Geschlechterrollen. Insofern überrascht sie mit dieser Arbeit nicht. Sie zeigt das ausgestellt Sein dieser auf ihre Weiblichkeit reduzierten Frauen, ausgesetzt dem so gehassten wie gleichzeitig gesuchten männlichen Blick. Genau dieser Blick ist es, der dem Publikum durch die besondere Form der Inszeniertheit ganz bewusst gemacht wird. Dafür nutzt sie die bekannten Mittel der Verfremdung wie langsame, stark reduzierte Bewegungen, die plötzlich doch von den erwarteten Spagaten und Beinwürfen und Hebefiguren abgelöst werden. Das könnte und sollte ein wenigstens symbolischer Ausbruch der Emotionen sein, bleibt aber bewusst blutleer. Auch die spät einsetzenden Sounds sind verzerrt, fragmentarisch. Irgendwann werden die stimmungsvollen Gassenhauer nacheinander nur noch kurz angespielt. Man weiß ja, worum es geht. Und dieses etwas ist eben dysfunktional geworden. Da trägt eine der Performerinnen vier statt der üblichen zwei langen blonden Zöpfe. Damit wird die Kobra aus dem Titel zur Medusa. Oder zur Hydra.

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Diese Dekonstruktion führt Reut Shemesh konsequent weiter, indem sie ihre Performerinnen Teile der „Uniform“ ablegen lässt. Vor allem das Absetzen der Perücken bewirkt einen Wandel vom typisierten Funktionsträger zu dem, was sie sind: Frauen, Individuen, Menschen. So, wie sie ihre Rolle ablegen, haben sie diese allerdings zuvor mit genau dem gleichen Bewusstsein angelegt.

Gegen Ende hin stellen sich die Performerinnen in einer eingespielten Tonspur kurz vor, werden dadurch aber trotzdem nicht als Nachbarin, Kollegin oder Freundin greifbar. Der schwülstige Unterton der Äußerungen ist aus Werbespots bekannt, die im analogen Fernsehen nicht vor 22 Uhr ausgestrahlt werden. Das Funkenmariechen ein Sexobjekt? Natürlich. Das ist hinreichend bekannt. Diese karnevalesken Figuren, so darf man sie wohl durchaus bezeichnen, sind in ihrer Definition Puppen. Das kritisieren zu wollen ist ebenso wenig eine Kunst, wie mit (deutschem) Traditionsgut zu fremdeln. Dafür braucht es nicht einmal persönliche Wurzeln in einem anderen Kulturbereich. Traditionen und Zeitgeist vertragen sich bekanntlich so ganz und gar nicht miteinander. Das zu befragen, ist immer richtig. Allerdings bleibt unklar, welche konkreten Fragen Reut Shemesh hier tatsächlich stellt. Hätte sich am Ende unter einer der Perücken ein Mann befunden, wäre zumindest eine weitere Dimension hinzugewonnen worden, die heutige Komplexität verdeutlichen würde.

©Reut Shemesh_Cobra Blonde

©Reut Shemesh_Cobra Blonde