Das Ballet of Difference von Richard Siegal gab seinen Einstand in Köln, wo es ab jetzt einen seiner spitzenbeschuhten Spielbeine platziert: mit dem Dreierabend „My Generation“
Eine Nachtkritik von Melanie Suchy
Das Standbein bleibt vorerst in München, wo der Choreograph seit 2016 die Optionsförderung in Höhe von dreimal jährlich 90.000 Euro erhält und mit der Spielstätte Muffathalle kooperiert. In Köln dockt er nun an die Städtischen Bühnen, ans Schauspiel an, dessen Intendant Stefan Bachmann das Ballet of Difference, kurz BOD, mit ungefähr 300.000 Euro und Werkstätten- und Proberaumnutzung willkommen heißt.
Diese vorerst dreijährige Zusammenarbeit stützen auch das Land NRW mit 130.000 und die Kulturstiftung des Bundes mit 170.000 Euro. Der Etat für die internationale Tanzgastspielreihe an den Kölner Bühnen werde dafür nicht angetastet, betont deren Kuratorin Hanna Koller. Weitere Geldgeber fürs BOD werden noch gesucht. Bislang können die zehn bis zwölf Tänzerinnen und Tänzer nur projektweise zusammenkommen. Sie stammen zumeist aus Ensembles, für die Siegal schon choreographiert hatte, darunter der entschwundenen amerikanischen Cedar Lake Contemporary Dance Company, dem Hessischen und dem Bayerischen Staatsballett.
©Ray Demski
Inwiefern das BOD tatsächlich an den Bühnen präsent sein wird, muss sich noch erweisen. Ebenso ob es und seine Kunst dem Publikum der Stadt etwas zu sagen hat. Denn was genau soll der Clou gerade dieser Company hier sein? Siegal entstammt, wie bei seinen Gruppenchoreographien leicht zu erkennen ist, der kreativen Frankfurter William-Forsythe-Ballettkiste der 1990er-Jahre, wie seine Kölner Vorgängerin Amanda Miller.
Man kennt ihn als großartigen Tänzer, nicht zuletzt im Duett „Logobi 5“ von Gintersdorfer/Klaßen, als interessanten Experimentator in kleineren Performanceformaten und Regisseur von Amateurgruppeninszenierungen, doch bei größeren Profi-Ensemblestücken der letzten Jahre überwog das schnittige Show-Element, eine schicke, kühle Oberfläche über wummerndem Elektrobeat, der mittels Einwortbegriffen wie „Signal“, im Soundtrack oder auf LED-Panels, irgendeine Bedeutungshaftigkeit angepappt wurde. Die Tänzer wenig unterscheidbar als Ausführende der scharf geschnitzten Choreographiepfeile, die als Sekunden(in)formationen über die Bühne schießen, zischen. Das Dortmunder Ballett nahm Anfang 2017 so ein Werk ins Repertoire, „Unitxt“, und bei der Ruhrtriennale waren 2015 und 2016 solche Kreationen zu sehen, aber auch ein Stück, das sich mit Narrativ und Rollentanzen versuchte und auf sandiger Bühne künstlerisch ausrutschte.
©Ray Demski
Uni und Multi
In München, einer seiner Arbeitsbasen seit 2006, wurde Richard Siegal von Expertinnen als Nachfolger für die Leitung des Staatsballetts herbeigehofft. Nun macht er sein eigenes Ding, kleiner, mobiler, fragiler, angewiesen auf Koproduzenten und Gastspieleinladungen. Womit er in Konkurrenz tritt etwa zur Dresden Frankfurt Dance Company des anderen Ex-Forsythe-Tänzers Jacopo Godani und zum Stuttgarter Darling Eric Gauthier. Und man kann nicht sagen, dass in den Stadttheatern in NRW ausgerechnet eine Ballettkompanie fehle oder dass die vorhandenen nur in Tüll und dekorativer Jenseitigkeit baden, so dass dringend der „Unterschied“, „difference“ nötig wäre. In Köln selber ist solch ein Ballett different, ja, vor allem solche Tänzerinnen und Tänzer und ihre Power wären willkommene Neuzugänge. Doch den kulturinteressierten Kölnern sollte man keine verschwiemelte Choreographie über einen transidenten Menschen vorsetzen, nachdem Angie Hiesl das Thema mit ihrer denkwürdigen „ID Clash“-Performance beackert hatte.
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Future work
Diese Choreographie war eine von dreien, die beim ersten, nur eintägigen Auftritt von Siegals Ballet of Difference im ausverkauften Depot 1 zu sehen waren, nachdem er sein BOD mit dem Triple Bill im Mai in München zur Welt gebracht hatte: „Excerpts of future work on the subjects of Chelsea Manning“. Zu einem mit Kopfstimme gejammerten Gesang begegnen sich ein Mann und eine Frau, langsam, fast kraftlos fassen sie nach einander. Sie knien, stehen, strecken die Hände aus. Die hellen Gewänder erinnern halbwegs an Tuniken und damit an Isadora Duncan und ihre Anbetung griechischer Götterstatuen. Auch deshalb unterstellt man den Tänzern edles Posieren und glaubt ihnen die Gefühle nicht. Ebensowenig dem Schwarzgekleideten, der den Bösen mimt mit geballten Fäusten und die beiden mal trennt, mal aneinander drückt. Andere schwarze Gestalten huschen umher, das Unheil, die Depressionen. Furchtbar.
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Bei den zwei anderen Stücken, in denen es ums Gutaussehen geht, kommen immerhin die Tänzer gut zur Geltung, weil man ihnen ins Gesicht schauen kann. Die Hautfarben, Körperlängen, Frisuren sind unterschiedlich. Das ist normal in einer Tanzkompanie. An die in Köln schon lange von Gerda König und DINA13 repräsentierte Differenz und Diversität im Sinne von mixed-ability kommt das BOD nicht heran. Das Stück namens „BOD“ zum einfallsreichen Soundgemenge von DJ Haram, das klöppelt, tickt, klingelt, rattert und rumst, besteht daraus, dass zehn Tänzer in lustigen Outfits durch das Stück eilen, das die Eile im Vergehen von bemerkenswerten Momentchen möglicherweise zum Thema hat. Hier verfugen sich plötzlich zwei im Unisono, dort zwei andre, überall mal kreiseln lockere Pirouetten; Armhaltungen, wie die Mistgabel aus oben gewinkelten Armen und Kopf, wandern durch das Stück. Die an diverse Körperteile geschnallten aufblasbaren Flügel, Schulter- und Schenkelpolster, Westchen, designt von Becca McCharen, sind Zusätze, aber nie Hindernis. Deshalb wirken sie wie hübsche Effekte, zu leicht, zu egal im Vergleich mit Oskar Schlemmers sperrigem „Triadischem Ballett“ oder Merce Cunninghams „Scenario“-Beulen.
Gute Laune
Diese vielleicht für die heutige Zeit typische Aufgeblasenheit oder Unbeschwertheit, die im Grunde zwanghaft präsentiert wird als superfit, allzeitflexibel und bindungsunwillig, spielt Richard Siegal im elfköpfigen „POP HD“ noch expliziter durch. Die kreischbunten Kostümmuster von Bernhard Willhelm zitieren Markenlogos; die Tänzer tragen sie dennoch oder umsomehr mit Eigensinn. Aufgeknickte Hände an gestreckten Armen, vorgeschobene Hüften, auf über 180 Grad aufgebogene Beine der Frauen, schüttelnde Hände, wackelnde Pos, vertrackte, ansehnliche Zweierfiguren mit Ziehen und Heben, Griffe durch Beine von hinten sind im Ballett keine Neulinge, aber Siegal mengt auch noch Püppchenposen, Schlingern mit eiernden Knien, Breakdanceschlängelarme, afrikanisches Brustkorbrütteln und entspanntes einfachstes Tänzelfußtappen, rechts-links, hinzu. Am Ende ein Pärchen im Lichtspot, das sich ganz nahe ist, endlich allein, ohne Getümmel, aber der wirklichen Nähe scheinen beide auszuweichen. Großer Applaus für diesen Knüller, der vielleicht die Signatur fürs BOD wird.
Der nächste Auftritt des BOD in Köln ist im Februar 2018; in den Herbstferien 2017 gibt es einen Workshop für tanzfreudige Amateure. Auch in die Kooperation mit dem ZZT der Hochschule für Musik und Tanz klinkt sich die Company ein.