©Filip van Roe
INTERNATIONALE TANZGASTSPIELE BONN
Verhakt
Das Königliche Ballett Flandern gastierte im Bonner Opernhaus
Nachtkritik von Melanie Suchy
Das Königliche Ballett Flandern gastierte im Bonner Opernhaus mit Choreographien des Altmeisters Hans van Manen und Kreationen seinen neuen Chefs Sidi Larbi Cherkaoui. Kein Vernügen.
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Man vermutet ja längst, dass es Sidi Larbi Cherkaoui in mindestens drei Klonversionen gibt. An zu vielen Stellen ist sein Name in den letzten Jahren zu lesen: Nicht nur leitet er weiterhin seine eigene Company Eastman in Antwerpen, mit der er seit 2010 Stücke choreographierte wie „Foi“,”Apokrifu”, “Origine”, “Tezuka”, “Babel”, unvergessen auch sein Duett „Zero Degrees“, die so gern in alle Welt (auch nach Köln oder Düsseldorf) eingeladen und gezeigt werden als genuin zeitgenössischer Tanz; nicht nur choreographiert er hier und dort noch für andere Tanzkompanien und für Opern, sondern leitet auch seit 2015 das Königliche Ballett Flandern in Antwerpen und Gent und schafft natürlich auch mit diesen Tänzern und für sie neue Stücke. Aber welche? Können Balletttänzer plötzlich diesen superbiegsamen, kraftvollen, zugleich weich faltenden Cherkaoui-Stil tanzen?
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Oder andersherum: Wird er zum Arrangeur, der Vorgefundenes in eine spezielle Form bringt, wie es bei “Sutra” mit den chinesischen Kung-Fu-Mönchen und den Holzkisten so effektvoll gelang oder bei “M!longa” mit Tangotänzern, das leider keine anregenden Funken schlug, oder bei “Fraktus V” von 2014, das er mit sich und Männern unterschiedlicher Tanzherkünfte besetzte. Schon sein “Feuervogel” fürs Stuttgarter Ballett tendierte zum Dekorativen. Und nun Ende des Prologs: Bei dem Gastspiel seines Flandrischen Balletts im Bonner Opernhaus hätte man gern den Namen Cherkaoui für eine Verwechslung gehalten. Als hätte Sidi Larbi seinen Job heimlich einem mittelmäßig begabten Cousin abgetreten, der Forsythe für einen Frühlingsstrauch hält und sich beim Griff in den Plattenschrank über einen Arvo Pärt entzückt, ohne zu wissen, dass der seit etlichen Jahren von noch viel etlicheren Choreographen längst totbetanzt wurde. Cherkaouis “Fall”, als deutsche Erstaufführung präsentiert und ans Ende des vierteiligen Programm gesetzt, tendierte zum Unterirdischen (um den Kalauer mit den Reinfall zu vermeiden).
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Auch sein “Faun”-Duett war kein Genuss, ebensowenig konnten die irgendwie leblos getanzten “Four Schumann Pieces” von Hans van Manen überzeugen. Bei dessen Hit “Solo” für drei schnelle, präzise mit dem Kopf wackelnden und mit den Händen überall hin deutende Herren kam immerhin Tanzfreude auf. Das Stück war das kürzeste.
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Kontaktarme
Es wurde auch angemessen brillant getanzt von Brent Daniels, Claudio Cangialosi und Gary Lecoutre: als gemeisterte Herausforderung. Den Witz, der in diesem eiligen, dreifachen oder dreifach variierten “Solo” von 1997 zu Teilen aus Johann Sebastian Bachs D-moll-Partita für Violine Solo steckt, hat man allerdings bei Martin Schläpfers Ballett am Rhein Düsseldorf/ Duisburg einen Hauch überzeugender gesehen. Van Manens “Four Schumann Pieces”, hier dargebracht zu einer traurig dumpf klingenden Tonaufnahme von Schumanns Streichquartett A-Dur, stammen von 1975. Ihr entschiedener, doch stets zartfühliger Kontakt zur Musik ist vorbildlich; der gesamte Tanz aber, dem Klassischen Erbe noch ganz nah, bleibt in der Interpretation des Flandrischen Balletts flach. Ein einzelner Herr scheint sich mit stolzen Schreitschritten und geckenhaftem Haarestreichen seiner selbst zu vergewissern. Wim Vanlessen bleibt dieser ambivalenten Rolle, zwischen Eitel- und Einsamkeit und Naivität aber die Nuancen schuldig.
Es ist eben keine Bravournummer, sondern bis fast zum Ende so langsam, dass man in die Formen, die Attitüden, Préparationen, Pirouetten hinein schauen will. Hinter dem extra beleuchteten Protagonisten erscheinen immerzu Paare, Mann-Frau, einzeln oder als Gruppe tauchen sie auf, verschwinden, kommen wieder. Er sieht sie nicht, später mischt er sich ins Ensemble, aber nur für Sekunden; dann fasst auch er mal so eine Damenhand, dann eine andere, ein Weilchen geht das Tänzchen gut, auf konventionelle Weise. Bis die Balance nicht mehr stimmt, er die Dame nicht länger stützt, sondern schleudert; sie endet am Boden, pardauz, im Grunde ein grausames Bild. Im eher kumpelhaften Duett mit einem der Herren, Arm auf Arm gelegt, fühlt sich der scheiternde Held ein wenig wohl, aber schon stehen zwei dieser ewig austauschbaren, ewig an der Taille zu zwirbelnden Damen bereit, um die Konstellation zu korrigieren. Wie gut, dass diese Zeiten vorbei sind.
Kaffee und Kuchen
Um sexuelle Gelüste, die van Manen damals ja nicht mal andeutete, geht es schon titelgemäß im “Faun”. Vaslav Nijinsky schuf und tanzte in, den „Après-midi d’un faune“ zur eigens komponierten Musik von Claude Debussy schon im Jahr 1912. In den letzen Jahrzehnten schossen unzählige Neuversionen wie Pilze aus dem Waldboden, meist mit Bewegungszitaten gespickt und um das berühmte “Animalische” der Mythologiefigur bemüht. Cherkaoui lässt die Nijinsky-Hände, flach und seitlich abgeknickt, weg, aber betont beflissen, vor Fototapete mit Tannenwaldboden, die Erdnähe seines Fauns in Unterhose. Das Sinnliche sollen wohl das Hocken und Knicken, die großen Wellen und Verrückungen des wohltrainierten Oberkörpers ausdrücken. Es fließt aber nicht, britzelt nicht. Dann schmachtet der Faun die herbeigelaufende Nymphe nicht mal an, sondern techtelt gleich handgreiflich mit ihr herum, und diese Verknäulungen wirken so lustlos, so hantiert, dass es ein Graus ist. Oder sollten sie nach Vergeblichkeit aussehen? Das Publikum war ganz aus dem Häuschen.
Was dem Faun an Brise fehlte, lässt Cherkaoui bei „Fall“ ununterbrochen von drei Seiten wehen: Riesige Stoffbahne flattern künstlich ventiliert und wechseln per Scheinwerferschein die Farben, bis zum Erröten (ohne Grund). Den Tänzern und Tänzerinnen, den vielen, die Cherkaoui auf- und abtreten und -kriechen lässt, nehmen sie den Raum. Zunächst sind sie paarweise zugange, die schmalen Damen mit ihren Spitzenschuhen werden auf vielfache Weise gehoben, gebogen, gedreht, über Schultern gelegt und gebeugt und wieder herabgelassen; am Schluss wogen alle mehr oder weniger für sich zwischen den plusternden Wänden, behaupten, hübsch dabei auszusehen, haben nichts weiter zu sagen, und irgendwann ist es endlich vorbei.