photos: klaus dilger
Wie man die Langeweile beschleunigt
Im Rahmen von tanz.tausch zeigen die fabien prioville dance company aus NRW und Jess Curtis und Jörg Müller aus Berlin grundverschiedene Ansätze zum Experiment mit Tanz und Performance
Von Thomas Linden
Wenn Fabien Prioville und Pascal Merighi tanzen, dann kann man nur staunen. Das Publikum in der Kölner Wachsfabrik hielt denn auch immer dann den Atem an, wenn die beiden Duette zeigten, in denen sie ein eigenes, nie gesehenes Vokabular des tänzerischen Dialogs entwerfen.
Mit ihrem „Experiment of Chatting Bodies“ waren sie zu tanz.tausch gekommen, dem Festival, das an vier Tagen Tanzprogramme aus Berlin und Leipzig mit Arbeiten der nordrhein-westfälischen Choreographen-Szene konfrontiert. Prioville und Merighi aus Düsseldorf und Wuppertal tanzten bei Pina Bausch und deren Suchen nach neuen Gesten und Bildern hat auch die beiden nie verlassen. Wenn sie Hände und Arme miteinander austauschen, dann beginnen sich die einzelnen Körper für Momente aufzulösen, um zu einem Wesen mit zwei Rücken zu verschmelzen. Paarbilder die zwischen Kraft und Zartheit abrupt wechseln.
Würden sie doch „nur“ beim Tanz bleiben. Aber sie experimentieren auch mit dem Angebot elektronischer Medien. Krachende, knackende, quietschende Geräusche verbreiten die Geräte, es wird geskypt mit Menschen irgendwo da draußen in der Welt. Deren Stimmen bleiben zumeist verzerrt. Es gibt humoristische Spiele mit den auf einer Leinwand vergrößerten Bildern aus dem Netz. Banal sind die Bilder, und sollen es wohl auch sein. Bedeutungslos bleiben die Aufnahmen von einer Frau, die mit ihrem Hund spielt. Sie erzählen alleine von der Freude, solche Bilder machen zu können, eben dem immer noch vorhandenen fröhlichen Optimismus, der uns die immer noch ungewohnten Möglichkeiten der digitalen Technik bewundern lässt. Ein Spektakel bleibt das zusammenhanglose Hier und Jetzt der Körper mit der Projektionen des Da Draußen der wackelnden Videoaufnahmen.
Zwischen die Bruchstücke legen Prioville und Merighi ein Netz rätselhafter Anspielungen aus. Wie Teenager zelebrieren sie ihre Geheimnistuerei, verschwinden auch schon einmal aus der Halle von Barnes Crossing in der Wachsfabrik, und verbrämen so die Splitter aus Tanz, klugen Zitaten von Komik bis Märchen und dem optischen Lärm der Videobilder mit obskuren Verrätselungen.
Experimente dürfen schief gehen, immerhin sind sie darauf angelegt, künstlerisch in neue Bereiche vorzustoßen. Manchmal offenbaren Experimente aber auch eine genialische Konstruktion, mit der sich immer aufs neue Spontaneität produzieren lässt. Dann stimmt jedenfalls die Versuchsanordnung.
So ist es bei Jess Curtis und Jörg Müller, die in Berlin produzieren, und denen mit ihrem „Performance Research Experiment #1: Virtuosity & Engagement“ ein Selbstläufer gelungen ist. Seit 2004 bieten sie diese unerhört intelligente Produktion auf Festivals an. Zu Beginn fordern sie ihr Publikum auf, zu beurteilen, wann sich bei den Betrachtern Langeweile breitmacht, während sie beide elf tänzerische Mikrogramme zeigen.
Wer sich gelangweilt fühlt sagt „eins“, der nächste, dem das Gähnen kommt, sagt „zwei“, immer so weiter bis jemand „fünf“ sagt. Dann ist das jeweilige Stück beendet. Die Zuschauer, denen die Darbietung gefällt, können zurückzählen und rufen „back to one“ oder „back to three“. Das Ergebnis ist ein fröhlicher Streit im Publikum. Die einen wollen dramaturgisch forcieren, die anderen weiter bei den jeweiligen Darbietungen bleiben. Jede Aufführung entwickelt sich anders und das Wort von der vielbeschworenen Interaktivität – die in Wahrheit eine Interpassivität ist, weil in der Versuchanordnung im Theater meistens schon alles vorgedacht ist – wird hier im Experiment von Curtis und Müller tatsächlich einmal eingelöst.
Vom ersten Moment an regiert das Lachen, das liegt nicht nur am Modus, sondern auch an den schwulen Albernheiten, die sich die beiden leisten. Man balanciert einen Besenstiel auf der Stirn oder auf dem Anus. Und wenn der Darsteller bittet, schneller zu zählen, weil er den Stil nicht mehr auf dem Hintern halten kann, rechnet das Publikum mit sardonischer Freude zurück, so dass die Nummer ein wenig länger dauert. Ja, bei der Zählerei entwickeln sich die Darbietungen der beiden erfahrenen Performer zu einem entfesselten Gaudi, das Männer und Frauen im Publikum ebenso in Fraktionen spaltet wie Laien und Tanzkenner. Über den Spaß hinaus legen Curtis und Müller allerdings auch den Kern des Performance-Betriebs frei, der sich mit seinem Wechselspiel zwischen authentischem Ereignis und theatraler Zubereitung gerne der Kritik zu entziehen versucht. Ob eine Veranstaltung jedoch interessant oder langweilig ist, bleibt ein Kriterium für die Betrachter, auch wenn die Kunsttheorie solche Qualifizierungen als profane Stimmungsäußerung missbilligt. Curtis und Müller heben jedoch mutig das Röckchen, um zu zeigen, wie der Betrieb funktioniert.