Shailesh Bahorans „Aghori“ zum Festival-Finale von „Move!“
Eine Nachtkritik von Bettina Trouwborst
Der alte Mann sitzt lange im Dunkeln. Er hockt in seinem mönchskluftartigen Umhang am Boden, den Rücken zum Publikum, und blickt in den Nebel auf einen Hügel, der sich im Hintergrund abzeichnet. Es dauert ein Weilchen, bis auf der Anhöhe die schemenhaften Umrisse von fünf Gestalten zeigen. Als es endlich hell wird, entpuppt sich der Berg als Schräge – für ein Hiphop-Ensemble die deutlich interessantere Spielwiese. Die mutmaßlichen Dynamiker allerdings hocken als blass geschminkte Ur-Menschen da, den Kopf tumb nach unten gerichtet. Ihre Oberkörper sind nackt, Bärte und Haare verfilzt. Die lautmalerische Klangcollage aus Knarzen, Klirren und anklingendem Hohngelächter passt vortrefflich zu diesem etwas unheimlichen Panoptikum der halbnackten Wilden. Als einer von ihnen aufsteht und sich wie eine Comicfigur auf der Schräge bewegt, ist man ganz irritiert von den Stilbruch. Als würde der Choreograf Shailesh Bahoran mit ironischer Distanz auf sein Sujet blicken: die spirituelle Hingabe in seiner hindustanischen Kultur.
Sein Tanzstück „Aghori“ trägt eine 1000 Jahre alte, radikale Hindu-Sekte im Namen, die Erleuchtung im Brechen von Tabus sucht. Die Sektenmitglieder trinken aus Totenköpfen, essen Leichen, haben Sex mit toten Frauen. Davon hat der junge Hiphop-Tanzkünstler aber nichts auf die Bühne gebracht. Er zeigt eine archaische Gemeinschaft und ihre Rituale, die sich allerdings mit ihrer kryptischen Symbolik zu weiten Teilen nicht erschließen. Deshalb ist „Aghori“ in seiner Originalität befremdlich und interessant zugleich. Zum Festival-Finale von „Move! – 16. Krefelder Tage für modernen Tanz“ war die Vorstellung ausverkauft – einige Zuschauer saßen sogar auf der Galerie. Und es wurde lebhaft applaudiert.