MOVE! – eine kleine Nachbesprechung
von Klaus Dilger
Das Jahr ist beinahe schon Vergangenheit und Manches wird die Zeit überdauern, wenn auch mit unterschiedlicher Verfallsgeschwindigkeit. – Auch das Tanzjahr 2017 geht langsam zu Ende und in Krefeld wird dieses traditionell, schon seit 1994, mit dem Festival „MOVE! – Krefelder Tage für modernen Tanz“ beendet:
Selten vielseitig ist es Heuer gewesen, was die Ensembles aus Nordrhein-Westfalen auf der grossen Bühne der Fabrik Heeder präsentiert haben, auch in der Qualität der Aufführungen, vor allem, was das diesjährige Gastland, die Niederlande, betrifft, denen auf noch zu klärende Weise die einstige Führungsrolle, neben Belgien, im zeitgenössischen und modernen Tanz der sogenannten „Freien Szene“ Europas abhanden gekommen zu sein scheint. Vieles spricht dafür, dass die massiven Einschnitte der Regierung(en) in die Kunstförderung der letzten Jahre nicht spurlos an der Tanzszene des Landes vorübergegangen ist.
WUPPERTAL
Besonders zu loben sind die rührigen Macher des Festivals, Dorothee Monderkamp und Jürgen Sauerland-Freer, für ihre Entscheidung, einen Teil der ansonsten äusserst selten gemeinsam zu sehenden Wuppertaler Tanzszene (und auch hier unter unterschiedlichen „Stadtlabels“ auftretend) im Rahmen von MOVE! zu präsentieren, auch weil alle der drei gezeigten Produktionen zu den Highlights des Festivals gehörten: Raimund Hoghe, vor allem in Frankreich ein gefeierter Fixstern, zeigte sein MUSIQUES ET MOTS POUR EMMANUEL, von dem unsere Kritikerin Bettina Trouwborst schwärmte: „…„Musiques et Mots pour Emmanuel“ ist ein Abend von großer Ernsthaftigkeit. Er zelebriert die Kunst des Geehrten und dessen Bravour der Petitessen. Aber Hoghe stellt auch die optische Makellosigkeit dieses gut aussehenden Tänzers und seinen (fast) unbekleideten Körpers in der Rückenansicht aus. Und kontrastiert diesen, wie er es immer gern getan hat, mit seiner eigenen Körperlichkeit, die er als „Landschaft“ bezeichnet. Von Würde, ja Höflichkeit ist diese Hommage geprägt. Eine schöne Geste, wie Raimund Hoghe im Hintergrund die abgelegte Kleidung Eggermonts aufhebt und sorgfältig zusammengelegt– wie ein Vater, der sich in das Zimmer seines schlafenden Kindes stiehlt….“
Begeistert und hingerissen war auch Nicole Strecker in ihrer Nachtkritik zu „The Vase“ der Compagnie OFEN: „…Die Frau ist nicht zu halten, nicht zu retten. Medea, die brutalste, unbezwingbarste Heroine der griechischen Mythenwelt, Mutter und Monster, beklagenswertes Opfer und unfassbar rachsüchtige Täterin. 2014 gab die Tänzerin Gala Moody die Medea in Wim Vandekeybus‘ Produktion „Booty Looting“, und man kann gut verstehen, dass diese so urgewaltig-heutige Frau, ihr grenzensprengend-radikaler Liebesbegriff sie nicht losgelassen hat. Ein Jahr später entwickelten Moody und ihr Partner Michael Carter „The Vase“: Ein Stück über ein Paar im ewigen Machtkampf-Modus wie einst Medea und ihr Gatte Jason. Wer manipuliert hier wen? Moody und Carter gelingt es großartig, das emotionale Kräftemessen zwischen Mann und Frau klischeefrei, weil mit heißkaltem Kalkül zu inszenieren. Es bleibt ein Spiel – und ist doch schmerzhafte Schikane….“
Nicht zu einhundert Prozent überzeugend aber spannend und beeindruckend fand unsere Kritikerin Bettina Trouwborst dann Fabian Prioville’s „HOW DO YOU FEAR“: „…Für die mächtigen Mechanismen der Angst und ihre Auswirkungen auf Körper und Seele findet Fabien Prioville facettenreiche Bilder auf visueller, akustischer und sensorischer Ebene. Allein die elektronische, suggestive Soundcollage erzeugt ein Gefühl von permanenter Bedrohung, was sich in der zweiten Hälfte des Stückes steigert durch wiederholte, den Zuschauerraum leicht erschütternde Explosionsgeräusche – oder sind es Maschinengewehrsalven? Da denkt man schon an einen Psychothriller, wenn Gesa Piper da ein Schlaflied ins Mikrofon singt und sich die Unterarme bandagiert. Zwischendurch nimmt der Choreograf die Spannung, ganz wohltuend, zurück, lässt die Solistin philosophieren über die körperlichen Symptome von Angst….“
HIP HOP
Ein weiterer, nicht explizit genannter Schwerpunkt, waren in diesem Jahr die Tanzstücke, die ganz wesentlich vom Hip Hop beeinflusst waren. Dieser urbane Tanzstil hat längst schon Einzug gehalten in die wesentlichen Tanzfestivals der Welt. Wir gut dies gelingen kann zeigen immer wieder die französischen Ensembles, insbesondere dann, wenn Strasse und Bühne sich mit dem Ziel vereinen, Kunst hervorzubringen, also etwas weiter zu geben, das den Effekt des Augenblicks nicht zum Inhalt kürt. Ein wenig davon war dann in Krefeld mit Shailesh Bahorans „Aghori“ zum Festival-Finale von „Move!“ zu ahnen:
„…Bahorans Tanzsprache kann mehr als Hiphop – sie erweitert ihn in eine theatrale Richtung. Es ist faszinierend, wie er einerseits diese rohe, offensichtlich debile Gemeinschaft, die sich gegenseitig stößt, schlägt und schubst, als unzivilisierte Horde charakterisiert: Sie krabbeln behände herum, gehen aufeinander los, hocken mit leerem Blick da, schlagen sich wie Affen auf die Brust. Lediglich der Guru nimmt eine stolze Haltung ein. Er kontrolliert seine Anhänger mit ziselierten Handgesten. Andererseits es gibt auch elaborierte, geometrische Formationen, meditative Artistik und entschleunigten Breakdance. Die Gruppe rollt vertikal die Schräge entlang oder bildet eine bewegte Linie auf der Schräge. Am schönsten ist ein Duett, bei dem immer ein Tänzer mit Körper und Gliedmaßen einen Durchgang bildet und der andere sich elegant hindurch bewegt – um seinerseits wieder eine Öffnung zu bilden. Da sind auch starke Hiphop-Tanzszenen, die einem schlanken jungen Farbigen vorbehalten sind. Er zittert, wirkt ängstlich und verstört. Nie wird der Tanz bei Shailesh Bahoran zum Selbstzweck. Nur hätte man sich gerne deutlich mehr davon gewünscht…“ (Bettina Trouwborst.
NRW
Tanzwerke Vaněk Preuß aus Bonn zeigten ihre letzte Produktion AURORA’S REDLINES, zu der unser Kritiker Klaus Keil bemerkte: „…Wenn sich jetzt die Bonner „Tanzwerke Vanek Preuß“ an die Inszenierung roter Linien machen und dieses Tanzstück der „Alarmgesellschaft“ widmen, zeigen schon diese beiden Einlassungen, dass ihre Gesellschaftssicht von Abgrenzungen á la Roter Linien gar nichts hält und wir vom Daueralarm Gestressten wieder zurück kehren sollten zur positiven Urkraft des Lebens. Deren rätselhafte Widerständigkeit, so Guido Preuß, lässt uns allem Alarm zum Trotz immer wieder neu beginnen.
Diesen Gedanken der permanenten Beständigkeit dieses Gesellschaftsmodells setzen Vanek Preuß auf eine geradezu grandiose Weise in ihrem Tanzstück „Auroras Redlines“ um…“
Tchekpo Dan Agbetou aus Bielefeld fragt in seiner Soloperformance „CARESS DU VENT“:
„Was macht die eigene Realität aus? Wodurch wird sie geprägt? Speist sie sich durch das eigene Erleben, Erinnerungen und physische Erfahrungen? Ist sie eine Konstruktion unserer Projektionen, Gedanken und Illusionen, die wir für unsere Realität halten? Entspricht sie dem Bild eines Menschen, der durch das Erfüllen seiner Lebensaufgabe zu innerer Ruhe, Sicherheit und Würde findet? Inwieweit verändern oder beeinflussen Abhängigkeiten und Gewohnheiten unsere Wirklichkeit?“
Und das FREIraum Ensemble aus Köln stellte sich mit der Produktion „HERE I AM“, die bereits im Sommer als Krefelder Outdoor-Co-Produktion im Innenhof der Fabrik Heeder zu sehen war, nun auf der Bühne ganz andere Fragen: „…Mit der Produktion „Here I Am“ nimmt das Ensemble das Leben freischaffender Tänzerinnen und Tänzer in ihrem Alltag des Konzipierens, Trainierens und Probens in den Blick. Bei einer normalen Aufführung sieht das Publikum die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne. Dort stehen sie strahlend im Mittelpunkt. Was aber passiert hinter den Kulissen? Es geht um das Leben „dazwischen“, das Leben hinter und neben den Auftritten und letztlich um die Frage, was sie antreibt? Beobachten Sie das leidenschaftliche Ringen zweier Tänzer, zweier Tänzerinnen und eines musikalischen Quartetts….“
KINDER
Wie in den vorausgegangenen Jahren bieten die Veranstalter stets auch für die Kinder von Heute und die Erwachsenen und das Publikum von Morgen, anspruchsvolles Tanztheater im Rahmen des Festivals: In diesem Jahr war es an Sabine Seume, die mit ihrer Produktion „STILLE“ nicht nur die Kleinsten ab fünf Jahren fragte: „…Wie still können Schneeflocken sein? Wie still kann ein Eisberg sein? Wie still kann die Welt sein? Wie still kann das Chaos sein? Stille für Kinder scheint ein Paradoxon zu sein. Doch die Stille kann ein Lebensmittel sein. Sie ist der Ursprung aller Klänge, aller Bewegungen, aller Äußerungen. Spielerisch, fantasievoll, provozierend, schneestöbernd, undogmatisch tobt die Stille durch den Raum….“
PUBLIKUMSERFOLG UND KONTINUITÄT
Nicht immer selbstverständlich aber umso erfreulicher ist der rege Publikumszuspruch der dem Festival in diesem Jahr erneut zu Teil geworden ist. Viele ausverkaufte Vorstellungen und das Interesse auch an Einführungsformaten und anschliessenden, auch inoffiziellen Publikumsgesprächen mögen die Festivalmacher gefreut und auf ihrem Weg bestätigt haben.
Hierzu gehört sicherlich auch die Ankündigung der Kunststiftung NRW bereits zum Auftakt der Tage des modernen Tanzes, durch Professor Dr. Wagner, diese auch im kommenden Jahr „mit erheblichen Mitteln weiter zu unterstützen“.
So darf es also kommen, das „Neue Jahr 2018“, zu dem auch unsere Redaktion alles erdenklich Gute wünscht!