SEE! Kollektiv – Premiere im Klärwerk
DRIFT – a rough poem to be discovered…
… ein rohes und schwerzugängliches Poem, das es zu entdecken und zu entschlüsseln gilt?
HIER geht es zu unseren Video-Impressionen
gesehen von Klaus Dilger
Sollte DRIFT tatsächlich ein Poem sein, wie es die Vorankündigung behauptet, eines, das „die Linearität des Fortschreitens auf(löst) und driftet…“, eines, in dem „die fünf Tänzer:innen unterschiedlicher Nationalitäten … ein polymorphes Körpergebilde (bilden), das sich dynamisch immer wieder neu transformiert“ und dabei „ein sich dauerhaft bewegendes, begehbares Gefüge…(entsteht)“, …es wäre ein sehr rohes Poem, das entdeckt werden will.
Weshalb ein „rohes Poem“?
Natürlich ist diese Art der Vorab-Beschreibung zunächst für Menschen gedacht, die Zuschüsse geben oder Stücke produzieren und programmieren sollen. Und es beschreibt zunächst ein Konzept, das für das Historische Klärwerk in Krefeld entwickelt wurde, um als diesjähriges MOVE! in Town des Krefelder Mittelzentrums für Tanz gezeigt zu werden.
Ob sich die zahlreichen Zuschauer (es war trotz Fussball-Viertelfinale bei freiem Eintritt bis zur Höchstgrenze ausgebucht) in den, ebenfalls im Programm angekündigten, Fragen wiedergefunden haben, lässt sich allenfalls aus den Gesichtern der umstehenden Mitbesucherinnen und -besucher deuten aber nicht beantworten:
„Wann ist ein Körper ein Gletscher? Wann ist ein Körper eine Wüste? Der Gruppenkörper zerfällt, die Einzelkörper finden sich neu und setzen sich zu neuen Gruppenkörpern zusammen. Die Körper driften.
… und weiter:
„Drift“ ist eine Choreographie des Schmelzens, Abbröckelns – des ständigen Sich-Reorganisierens. Der Körper wird eine Projektionsfläche für alles, was sich wandeln, verschieben oder langsam verschwinden kann – wie zum Beispiel: Kontinente, Planeten, Meere, Eisberge und Gebäude.“
Wohl wahr. Das sind Stichworte, auch zu ungelösten aber drängenden Problemen unserer Zeit, denen sich niemand entziehen sollte oder wollte. Nur: solche Assoziationen wollen in einer Aufführung auch genährt sein. Das SEE! Kollektiv hat in DRIFT ganz bewusst auf Bildprojektionen verzichtet und sich stattdessen auf die Sound-Collage | Klangkomposition von Carl-Noë Struck beschränkt, sowie auf die Wirkung der Bewegungskollektive und Einzeldarstellungen der Performer im Ambiente dieses Klärwerks.
Doch dies ist, wenn überhaupt, nur bedingt aufgegangen.
Weshalb? Liegt es zum Teil daran, dass das charaktervolle Historische Klärwerk Bühne und Zuschauerraum zugleich ist? Ja, sogar Mitspielender, durch seine Resonanzräume, seine Architektur, seinen Geruch und die dort fliessende oder besser lagernde Energie? Faktoren, die jede und jeder Einzelne der Teilhabenden ganz unterschiedlich aufzunehmen bereit und konditioniert ist?
Und Mitspielerin ist das Publikum selbst. Auch dies ist so gewollt von den Macherinnen und könnte durchaus ein spannendes Element eines Aufführungserlebnisses sein, wenn dieses denn, wie gewünscht, „mitdriftet“.
Doch was, wenn dieses Publikum gar nicht mitspielt, sondern häufig – auch mangels Erfahrung mit solch einem Format – nicht weiss, wie es sich verhalten soll, wenn die Performer gelegentlich nur wenige Zentimeter von ihnen entfernt agieren? Sollen sie ausweichen, Platz schaffen oder Standhalten wie die Mit-Zuschauenden, die auf ihren Plätzen verharren, die Sicht verdecken oder sonst wie träge den gewünschten „DRIFT“ verweigern?
In unseren Videoimpressionen wird deutlich, wie wichtig der Perspektivenwechsel für das Raumerlebnis (gewesen) wäre. Man | frau hätte förmlich bereit sein müssen, sich auf den Steinboden zu setzen oder zu knien, oder zu legen, der teilweise noch durchfurcht ist von schmalen Lore-Schienen, die dem Abtransport des Klär-Schlamms, mittels eiserner Loren, den vorgezeichneten Weg gewiesen hatten, oder dem, was sonst aus dem Rhein herausgefischt worden war.
Aber wäre es nicht auch und zuvorderst Aufgabe der Inszenierung gewesen, mit diesen Dimensionen, Höhen und Tiefen, zu arbeiten? Fühlbar und erlebbar zu machen, was in, unter und über dieser Architektur, Geschichte, Zweck, Rest und Lasten liegt, anstatt immer nur in der gleichen Dimension zu rennen, stehen, kreisen, atmen, sprechen zu lassen?
War das Erleben vielleicht auch akustisch zu diffus in diesem Raum, der jeden Schritt widerhallt?
SEE! Kollektiv versucht mit dieser Akustik zu experimentieren, vor allem durch die Stimmen der Akteure, doch auch hier verwischt das präzise Timeing mangels absoluter Stille und wohl auch, weil von den Performern (in dieser Konstellation, mit den sie umgebenden Zuschauern) kein Zugriff auf die Energie dieses Gesamtgefüges erfolgt – erfolgen kann.
MOVE! in Town sucht immer wieder die neuen Erfahrungen, die aus den Orten jenseits des tradierten Bühnenraums entstehen – für Künstler ebenso wie für ein Publikum, das vielleicht nur so und nur dort erreicht werden kann, wo es sich frei bewegen kann und mittels Kameras und Smartphones ihre eigene Erlebniswelt generiert, als Ausschnitt dieser Erfahrung(en).
Noch einmal am 12.Juli um 20 Uhr im Historischen Klärwerk – Rundgang 20 in Krefeld.
Konzept/Choreographie: SE Struck/Alexandra Knieps – Choreographie/Tanz: Ella Bender, Mira Rosa Plikat, Constanza Javiera Ruiz, Petr Hastik, Jolinus Pape – Komposition/Musik: Carl-Noë Struck – Kostüm: Isabelle Marie Lange – Assistenz: Lisa James
Eine Produktion im Auftrag des Kulturbüros der Stadt Krefeld.
Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei. Die Aufführung am 12.Juli ist bereits restlos ausgebucht.