Flies & tales mit „Expecting Light“

eröffnet das Festival First and Further Steps in der Fabrik Heeder in Krefeld

Von Bettina Trouwborst

Die eine Tänzerin liegt scheinbar schlafend unter einem großen, rötlichen Ballon. Die andere geht in einem Nasa-Astronautenanzug etwas unschlüssig herum. Es  dampft aus ihrem Helm. Sie nimmt ihn ab und lässt sich genüsslich den Luftzug, den ein Ventilator liefert, ins Gesicht wehen – als wär’s ein inszeniertes Selfie vom Mond für die Community da unten auf der Erde. Über alles was folgt, kann man trefflichst spekulieren. Die Astronautin, Josefine Patzelt, hebt Lenah Flaig, die Frau unterm Ballon-Mond, immer wieder auf ihre Schulter, um sie in ihre Astronauten-Ecke zu tragen. Wo sie, den Blick von etwas Nichtsichtbarem aufgesogen, die Tänzerin fallen lässt. Kaum hat sich Lenah wieder unter ihren Ballon gebettet, holt Josefine sie zurück. So beginnt die Produktion „Expecting Light“ des Kollektivs Flies & Tales aus Köln. Die beiden jungen Künstlerinnen eröffnen mit ihrer neuen Arbeit das Format First and Further Steps des Krefelder Kulturbüros in der Fabrik Heeder.

Das Thema ist durchaus spannend: eine Gesellschaft, in der es vor lauter Informationen und Bildern keine Geheimnisse mehr gibt. Inspiriert hat die beiden Frauen der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme, der unter anderem kritisiert: „In den Metropolen mit ihrem Reizflimmern, ihrer gesteigerten Geschwindigkeit von Szenenwechseln in den architekturalen Ensembles wie auf den Bildschirmen herrscht zwar einen Reichtum an Sensationen, doch eine Armut an Erfahrung. Es herrsche Lichtzwang. Deshalb wünschen sich Patzelt und Flaig in den Schatten. Der Astronaut also als Inkarnation des vereinzelten Social-Media-Konsumenten? Die Frau im Mond als Relikt aus einer glücklichen Zeit?

Das Stück macht es dem Zuschauer nicht leicht. Wenn die Astronautin die Konturen ihrer Partnerin, die sie zum dritten Mal auf den Boden hat fallen lassen, mit einem grünen Tape nachzeichnet wie im „Tatort“, glaubt man, etwas verstanden zu haben: Aha, der fixierte Blick auf einen imaginierten Bildschirm war schuld, dass die eine Frau die andere Frau wiederholt hat fallen lassen. Als wäre die Vereinnahmung durch die virtuelle Welt ein Verbrechen.

Expecting Light ©TANZweb.org_Klaus Dilger

Expecting Light ©TANZweb.org_Klaus Dilger

Josefine Patzelt und Lenah Flaig aus Köln kennt man noch vom letzten First and Further Steps Festival, 2017. Da stellten sie bei dem Nachwuchsformat ihren Erstling „One must still know how to disappear“ vor. Ein philosophisch motivierter Tanz-Krimi mit sanfter Ironie. Sehr vielversprechend. Beide sind herausragende Tänzerinnen. Nicht der ephemere Ballerinentyp, sondern – vor allem Patzelt – ganz erdverbunden und kraftvoll in der  zeitgenössischen Kunst verwurzelt. Inzwischen tanzt sie als Gast an der Oper Dortmund und arbeitet mit bodytalk in Münster, während Flaig nach einem Engagement bei Ben J. Riepe in VA Wölfls Ensemble „Neuer Tanz“ / Düsseldorf zurückgewechselt ist.

Nun haben die beiden sich ein Label gegeben: Flies & Tales. Flies, weil Flaig im Altdeutschen „Fliege“ bedeutet. „Tales“, weil Josefine Patzelt sich gerne in Geschichten verliert.

Nach dem starken Talentbeweis von 2017 ist „Expecting Light“ enttäuschend. Die getanzten Sequenzen sind auch diesmal beeindruckend, aber die Arbeit insgesamt, die aus szenischen Splittern besteht, ist trotz einiger schöner Einfälle wenig überzeugend.