„The Vase“ von Cie. Ofen beim Festival Move! in Krefeld

Von Nicole Strecker

Die Frau ist nicht zu halten, nicht zu retten. Medea, die brutalste, unbezwingbarste Heroine der griechischen Mythenwelt, Mutter und Monster, beklagenswertes Opfer und unfassbar rachsüchtige Täterin. 2014 gab die Tänzerin Gala Moody die Medea in Wim Vandekeybus‘ Produktion „Booty Looting“, und man kann gut verstehen, dass diese so urgewaltig-heutige Frau, ihr grenzensprengend-radikaler Liebesbegriff sie nicht losgelassen hat. Ein Jahr später entwickelten Moody und ihr Partner Michael Carter „The Vase“: Ein Stück über ein Paar im ewigen Machtkampf-Modus wie einst Medea und ihr Gatte Jason. Wer manipuliert hier wen? Moody und Carter gelingt es großartig, das emotionale Kräftemessen zwischen Mann und Frau klischeefrei, weil mit heißkaltem Kalkül zu inszenieren. Es bleibt ein Spiel – und ist doch schmerzhafte Schikane.

Auftritt Gala Moody – schon der Name eine Verheißung! – Auftritt also im langen beigen Kleid. Eine blasse Heroine. Das blonde Haar strähnig-ungekämmt, ihre Arme, Beine, auch die Finger und Füße, alle Gliedmaßen so feenhaft lang und dünn. Sie scheint aus einer anderen Zeit zu kommen, doch dann geht sie ganz irdisch an ein Mischpult, das mitten auf der Bühne steht, dämmt das Licht, tippt eine Tondatei auf dem Computer an. Vorbereitungen für ihre Szene, ein selbstgemachtes Setting und ein Statement: Was hier geschieht ist nur eine Theater-Illusion, eine Versuchsanordnung, um den Albtraum „Liebe“ zu verstehen. Hier wird Euripides‘ Medea-Tragödie zitiert und dessen Adaption durch den unbekannteren chilenischen Autor Ariel Dorfman, der durch seine Biografie im Chile von Diktator Augusto Pinochets stets besessen war von den Themen Rache und Vergebung. Man ist in Sartres Hölle, die die anderen für uns sind. Und man ist in Heiner Müllers berühmtem Liebeskampf-Stück „Quartett“, in dem Mann und Frau sich nur um des Spiels wegen zerfleischen und dabei die Geschlechterrollen wechseln. Das geschieht nun auch bei Gala Moody und Michael Carter.

Nachdem Moody zunächst allein immer wieder die ersten Worte des Euripides-Dramas rezitiert hat, tritt Carter auf. Man taxiert sich. Die Körper sind angespannt als erfasse sie beim bloßen Anblick des anderen ein Schmerz-Krampf, als habe Jason Medea schon wegen einer anderen verraten, als habe sie schon die Kinder gemordet. Doch dann springt Moody plötzlich mit einem Lachen zurück an einen viel früheren Punkt ihrer Beziehung. Carter behauptet: „I am her. Ich bin sie.“ Er ist Medea, die Fremde, die Starke. Und während er ihre Vorlieben ausplaudert, zuppelt und grapscht sie an ihm herum, hält ihm den Mund zu, rempelt ihn an, hüpft auf einem Bein, als er ihr versehentlich auf den Fuß tritt. Eine raue Zärtlichkeit, zwei Körper ohne Misstrauen und Scham. Aber war der Schubser jetzt nicht doch ein bisschen grob? Die Arme um den Hals nicht ein bisschen zu fest? Es sind nicht gerade Küsse, die hier Penthesilea-gleich zu tödlichen Bissen werden, doch unmerklich verhärtet sich zwischen Moody und Carter ein Streicheln zu einem Krallen, wird aus einem behutsamen Tändeln der Hände ein kräftemessendes Pressen.

Fantastisch wie genau die beiden an diesem Abend an der Ambivalenz jeder Geste gearbeitet haben. Zwei Star-Tänzer: Sie arbeitete mit den wilden Kerlen der Tanzszene wie Romeo Castellucci, Ivo Dimchev und eben Wim Vandekeybus. Er ist seit 2014 beim Tanztheater Wuppertal und eher mit dem Charisma des sensiblen Melancholikers ausgestattet. Eigentlich ein wunderbares Pendant zur rigorosen Tatfrau Moody, was ihre noch junge Formation „Cie. Ofen“ absolut attraktiv macht. Diesmal aber fegt Medea-Moody ihren sanften Jason in die Ecke, und wenn seine eigentlich sarkastisch gemeinten Übergriffe eher wie behutsame Zähmungsversuche wirken, dann ist das „Unentschieden“ im erotischen Machtkampf doch ziemlich unglaubwürdig.

Trotzdem: Wie die beiden sich so betörend ernsthaft in die körperlichen Befindlichkeiten ihrer Figuren hineingewühlt haben. Wie klug sie die Stereotypen des  Sujets reflektieren und auf jeden billigen Effekt verzichten – das ist bestechend. Die Liebe als Krieg, in dem es keinen Sieger geben kann – Gala Moody und Michael Carter erzählen von dieser uralten Desillusionierung aller Romantiker mit der leidenschaftlichen Resignation zweier Psychologen – die doch keine noch so smarte Analyse vor dem Sog der Emotionen schützen kann.