KAISERKLEIDER

SINNLICH-INTELLIGENT-KUNST

desKAISERsneueKLEIDER von Henrietta Horn

Nachtkritik von Klaus Dilger

„Kaiserkleider“ ist eine fein getaktete und präzise vermessene Choreographie für bewegte, oder besser, tanzende Teilchen, seien sie nun menschliche Materie, Licht- oder Tonfrequenzen, die einander umhüllen, anstossen, übereinander hinwegfegen oder gemeinsam der Bewegung der Schatten lauschen, die von vier riesigen Monolithen ausgehen, in die sich die Projektionsflächen des Bühnenhorizonts zur Mitte der Performance hin verwandelt haben.

Uraufführung war am 28. Oktober im Essener PACT Zollverein, der dieses Stück auch als Koproduzent mitgetragen hat.

Gemeinsamer Ausgangspunkt der Künstler, die zu Beginn die Bühne zusammen und bekleidet betreten, um sie ganz am Ende wieder vereint und nackt zu verlassen,  ist das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen, bei dem es bekannter Maßen um arglistige Täuschung, Betrug, Lüge und Wahrheit geht, um Ego, Sein und Schein, Dumme die Kluge sein wollen, Bücklinge und Macht und einen nackten Kaiser, dessen nichtexistente Kleider erst durch jemanden so benannt werden, der nichts mehr in deren Gesellschaft zu verlieren hat. (Andersen hatte die Vorlage, bei der ein schwarzer Stallknecht die Nacktheit des Kaisers benannte, so bearbeitet, dass in seinem Märchen ein Kind die entlarvenden Worte sprach)

Horn, Schulte und Hubert greifen sich den Text ohne Narration und schaffen das Kunststück, aus dem Wortsinn Sinnlichkeit entstehen zu lassen, bei der es nichts zu greifen, zu tasten, zu schmecken oder zu riechen gibt, wohl aber zu sehen und zu hören, denn diese „neuen Kleider“ bestehen nur aus Worten und Buchstaben, die die Künstler ganz nach Belieben durch den Teilchenbeschleuniger jagen oder dem Stillstand nahe bringen. Hierbei entstehen grossartige Bilder, Ornamente und Muster, beinahe so, als wären die Kaiserkleider der Vorlage doch real. Wie sehr sich der Zuschauer hierbei an die Bedeutung von Worten und Buchstaben klammern möchte, aus Buchstabenreihen Textstellen extrahiert, bestimmt er selbst. Sie werden so zu Beobachtern und im Sinne der Quantenphysik zu Stimulanten des Bühnengeschehens zugleich.

Nichts ist hier von Dauer, alles flüchtig und hinterfragbar. Wie präzise auch immer die Strassen aus Worten die Richtung vorgeben mögen, die Reinhard Hubert in die Bühne des PACT Zollvereins projiziert, so unmittelbar desavouiert Frank Schulte diese mit seinen Chören, die die Zuschauern mit ihrem Wortgeflüster zu umringen scheinen. Alles wird zum Tanz aus Licht, Körper und Ton und Henrietta Horn zur geometrischen Eigenschaft der Raumzeit, wie Einstein sie in seiner allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben hat. Sie wird zum Kraftfeld, das im Zusammenspiel mit Projektion und Komposition Raum und Zeit zu krümmen scheint. Hubert selbst greift dieses Bild im Verlauf der Präsentation immer wieder auf.

Was anderes ist denn Tanz, als Gravitation die aus einer Krümmung von Raum und Zeit entsteht? In einer Choreographie, die Projektion, Komposition und Bewegungskunst aufs grossartigste zu einem Ganzen verdichtet, wird dies wie selten offenbar.

Die Künstler spielen in „Kaiserkleider“ auf berauschende und virtuose Weise mit den Modellen der Quantenphysik, wie sie in dieser Klarheit und Qualität sonst nur schmerzlich vermisst werden.

Das Ergebnis ist in rarer Weise ein Gesamtwerk – es ist SINNLICH – INTELLIGENT – KUNST und das alles zugleich!

Wieder am 4.November im Rahmen des MOVE!-Festivals in der Krefelder Fabrik Heeder

Konzept, Choreographie, Tanz: Henrietta Horn
Sound: Frank Schulte
Licht- und Video: Reinhard Hubert