ANMUT UND WÜRDE

Cooperativa Maura Morales tanzt „Anmut und Würde“ bei Move!

„Maura Morales, die in Krefeld zuletzt ihr Stück „Sisyphus war eine Frau“ zwischen männlichem Klischee und lustvoller Selbstbestimmung vorstellte, entwickelt sich zu der Feministin unter den Choreografinnen….“

Nachtkritik von Bettina Trouwborst

Es könnte eine friedliche Sommerszene sein: Drei modisch angezogene Frauen, davon eine im Hochzeitskleid mit Blumenstrauß, sitzen entspannt, einen Cocktail in der Hand, auf einer Picknick-Decke. Was mächtig irritiert, sind die Luftpolsterfolien um ihre Köpfe, die sie zu unfreien und anonymen Wesen machen. Plötzlich, wie auf ein stummes Kommando, rennen die drei mit panischem Gesichtsausdruck in alle Richtungen davon.

Anmut und Würde_Cooperativa Maura Morales_©TANZweb.org_Klaus Dilger

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In der neuen Produktion „Anmut und Würde“ von Maura Morales befinden sich die drei Tänzerinnen Giorga Conte, Valentina Militano und Laura Colombo in einem Dauerzustand aus Aggressivität, Furcht und Zorn. Wer oder was sie treibt, bleibt in der Bühnensituation schleierhaft. Nur wer in diesem Juli die Open Air-Fassung des Stücks für den Schönwasserpark in Krefeld im Rahmen der Reihe „Move! in Town“ gesehen hat, ahnt, dass der Zuschauer der Böse ist. Denn unter dem Blätterdach des Platanenhains folgte das Publikum den Tänzerinnen auf Schritt und Tritt und wurde so zu Jägern gemacht. Doch in der Fabrik Heeder mischen sie sich lediglich vor dem Einlass im Foyer unter das Publikum. Ansonsten sitzen die Zuschauer um die Bühne gruppiert da und schauen den Frauen passiv-brav dabei zu, wie sie vor einem unsichtbaren Gegner davonlaufen und sich gegenseitig aus unerfindlichen Gründen bekriegen: Drei Amazonen auf einem Selbstzerstörungstrip zu einem pulsierenden, vielschichtigen Elektrosound des Komponisten und Musikers Michio Woirgardt – phasenweise deutlich zu laut für den geschlossenen Raum.

Die Öffentlichkeit als Ort der Diskriminierung und Gefahr für Frauen, die sich nicht in die ihnen zugeschriebene soziale Rolle einfügen, ist laut Ankündigung das große Thema der kubanischen Tänzerin und Choreografin. In der Natur löste sich dieser Anspruch eindrucksvoll in teilweise intimen Szenen ein, in der Theaterversion funktioniert er schlicht nicht.

Anmut und Würde_Cooperativa Maura Morales_©TANZweb.org_Klaus Dilger

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Maura Morales, die in Krefeld zuletzt ihr Stück „Sisyphus war eine Frau“ zwischen männlichem Klischee und lustvoller Selbstbestimmung vorstellte, entwickelt sich zu der Feministin unter den Choreografinnen. In der neuen Produktion gibt sie in der Fabrik Heeder vor allem jede Menge Rätsel auf. Schon die Luftpolsterverpackung um die Köpfe der drei Frauen – ist sie Schutz vor Verletzung oder stumm und blind machende Einschränkung? Nach ihrer Flucht von der Picknick-Decke entledigt sich das Trio seiner coolen Klamotten und agiert in schwarzen Büstiers und Slips. Die Braut zieht ihr Hochzeitskleid mit erschüttertem Ausdruck in slow motion aus und legt es – ein Relikt aus gesellschaftlich angepassten Zeiten –, sorgfältig gefaltet, einer Zuschauerin in der ersten Reihe in den Schoß. Denn jetzt sind die Amazonen auf dem Kriegspfad.

Anmut und Würde_Cooperativa Maura Morales_©TANZweb.org_Klaus Dilger

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In eine graue Stoffbahn wickeln sie sich anfangs noch geradezu poetisch ein im Vergleich zu dem, was sich anschließt. Bilden schöne Dreiecksformationen oder verstecken sich in dem Tuch. Dies ist der Moment, in dem, wenn überhaupt, der erste Teil des Titels „Anmut und Würde“ seine Berechtigung findet. Denn anschließend verausgaben sich die Tänzerinnen mit zornigem Blick in choreografisch sehenswerten Sequenzen aus stop motion, Elementen des Kampfsports und zeitgenössischem Tanz. Mittlerweile tragen sie Hosen zwischen Wettkampfsport-Outfit und Freizeitbekleidung. Bedrohung liegt in der Luft, schon musikalisch, doch der Aggressor (siehe oben) ist nicht in Sicht. Auch der Umgang miteinander ist rüde. Oft tun sich zwei zusammen, um der dritten zuzusetzen. Selbst zu zweit kämpft man (frau) mehr als man tanzt. Ein erkennbarer Grund dafür erschließt sich nicht.

Anmut und Würde_Cooperativa Maura Morales_©TANZweb.org_Klaus Dilger

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Vielleicht sind die der italienischen Sprache mächtigen Zuschauer da im Vorteil. Denn eine Tänzerin empört sich in ihrer Landessprache immer lauter, während sie auf der Bühne herumläuft und auch einzelne Personen auf den Stühlen dabei sehr böse ansieht. Unter den Schimpftiraden nähern sich die beiden anderen Frauen zum ersten Mal mit einer gewissen Zuneigung. Mit geöffneten Armen stehen sie etwas ungelenk voreinander und versuchen, roboterartig einander zu umarmen. Irgendwann gelingt es ihnen und die empörte Italienerin umwickelt sie mit Zellophan. Ob sie ihre Kolleginnen damit bestrafen oder diesen einmaligen Akt an diesem Abend einfrieren will, bleibt ihr Geheimnis. Die Strafe liegt etwas näher, denn als sie sich anschließend an eine Säule lehnt, steht der Musiker auf, um auch sie zu fixieren wie eine Hexe im Mittelalter. Ihre Bemühungen, sich zu befreien, erzeugen eine gruselige Mimik unter der transparenten, gespannten Folie. Nachdem es dem Paar gelungen ist, sich selbst zu befreien, hilft es auch ihr. Das Trio ist  wieder vereint und tanzt sich in origineller Sprache mit vibrierender Energie durch den Raum.

Anmut und Würde_Cooperativa Maura Morales_©TANZweb.org_Klaus Dilger

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Schließlich sitzen die drei Frauen wieder auf ihrer Picknick-Decke. Glücklicher als vorher sehen sie nicht aus. Wohin ihr Befreiungskampf gegen die sozial zugewiesene Rolle als Frau sie also geführt hat, sagt uns Maura Morales nicht. So bleibt trotz starker Choreografie und Tänzerinnen das unangenehme Gefühl, dass die Tanzschöpferin selbst nicht so recht weiß, wohin sie mit diesem Abend eigentlich will.

Anmut und Würde_Cooperativa Maura Morales_©TANZweb.org_Klaus Dilger

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