TEIL III 30 JAHRE ZEITGENÖSSISCHER TANZ

FABRIK HEEDER KREFELD

Zu unserem Gespräch mit Jürgen Sauerland-Freer

aus dessen Veröffentlichung 2007 in HEIMAT:

IV. Konsolidierung /Anerkennung

Die Reihe „MOVE! – Krefelder Tage für modernen Tanz“ fand im Herbst 2000 bereits zum vierten Mal statt. Es gelang, mit finanzieller Unterstützung des Landschaftsverbandes Rheinland, ein Programm mit elf Tanzaufführungen zu präsentieren, neben den NRW-Produktionen auch solche aus Belgien, Großbritannien und den Niederlanden. Das Folkwang Tanzstudio war mit Henrietta Horns eindrucksvollem Stück „Itambé“ vertreten, kurz vor seiner Auflösung begeisterte das Bochumer Tanztheater aus der Zeche mit „Buio“ und den „Barlach-Tänzen“. „Cats and Dogs“, eine weitere Uraufführung von Mitsuru Sasaki irritierte das Publkum, das durch Piet Rogies anrührendes Duett „Icoon“ wieder versöhnt wurde. Mit Stücken von Mark Sieczkarek, Jan Pusch (mit einer Produktion der VSB), Earthfall aus Wales, Sayonara Pereira & Simonne Rorato, Karin Vyncke, Vera Sander und Samir Akika wurde das Programm arrondiert.

reinhild-hoffmann-buio

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Für das Jahr 2001 eröffnete sich für die Fabrik Heeder die Chance, in das bislang von der Bonner Brotfabrik, dem Kulturamt Köln und dem Düsseldorfer tanzhaus nrw getragenen Abspielprojekt „tanzstrasse“ einzusteigen.

Die Veranstaltungshäuser, deren Vertreter und Vertreterinnen zugleich die Auswahljury stellten, suchten nach einem Bewerbungsverfahren insgesamt drei in der Rheinschiene entstandene Produktionen aus, die anschließend in den beteiligten Tanzspielstätten gezeigt wurden. Für die Fabrik Heeder ergab sich mit diesem vom Kulturministerium geförderten Abspiel-Projekt eine zusätzliche Möglichkeit zur Tanzpräsentation. Beim ersten Mal habe ich in der Jury mitgearbeitet, danach regelmäßig Dorothee Monderkamp, die – nach mir seit 1993 für die Fabrik Heeder im Kulturamt/Kulturbüro zuständig – sich sukzessive in das Gebiet des zeitgenössischen Tanzes eingearbeitet hatte und zwischenzeitlich mit ihrer Kompetenz als ausgewiesene Expertin für diese Sparte agierte. Nicht nur bei der „tanzstrasse“, auch bei den weiteren Projektvorhaben hat Dorothee Monderkamp gemeinsam mit mir erforderliche künstlerisch- programmatische sowie konzeptionelle Entscheidungen getroffen und verantwortet sowie vor allem für die konkrete Planung, Organisation und Durchführung gesorgt.

Auftaucher_Henrietta Horn©TANZweb.org

Auftaucher_Henrietta Horn©TANZweb.org

Herbst 2001: Zum letzten Mal fand landesweit das „Meeting Neuer Tanz NRW“ statt und traf mit seiner neuen Konzeption, einer bundesweiten Auswahl von Choreographinnen und Choreographen und ihren eigens produzierten Stücken, nicht so recht das Interesse des Publikums, weder in Krefeld noch in den anderen Austragungsorten. Das NRW-Kultursekretariat setzte danach die Reihe konsequenterweise ab, ohne dass es allerdings bis zum heutigen Tag gelungen wäre, den zeitgenössischen Tanz in einem neuen Format im Spektrum der vom Sekretariat angebotenen Projekte wieder zu platzieren – dies nun immerhin schon seit sechs Jahren in trauriger Folge.

Für das Tanzangebot in der Fabrik Heeder fiel damit ein wichtiges Element auf Dauer weg, so dass der eingeführte Biennale-Rhythmus der Reihen „Meeting“ und „MOVE!“ – und damit ihre jeweils alternierende Präsentation – aufgegeben wurde. In den Jahren 2002, 2003 und 2004 gab es immer im späten Frühjahr die „tanzstrasse“, im Herbst dann jeweils „MOVE!“.

Compagnie Irene K.©TANZweb.org

Compagnie Irene K.©TANZweb.org

Das Folkwang Tanzstudio eröffnete am 9. November 2002 mit „Solo“ und „Auftaucher“ die „5. Krefelder Tage für modernen Tanz“. Von VeraSanderArtConnects und abermals Mitsuru Sasaki gab es zwei Uraufführungen. Ausländisches Tanzschaffen zeigten die Tanz Company Gervasi aus Wien, Bruno Listopad und die Compagnie Raz aus den Niederlanden sowie die Compagnie Irene K. aus Belgien. Schon seit längerem wurden die „MOVE!“-Programme regelmäßig durch ein Rahmenprogramm ergänzt, mindestens um eine zeitgleiche Ausstellung mit Tanzfotografie in der Fotogalerie der Fabrik Heeder. Das Rahmenprogramm 2001 umfaßte eine Ausstellung mit Skizzen und Bildern vom Tanz mit dem Titel „Tanz-Skription“ der Essenerin Ilse Straeter, die Ausstellung „Wege beseelen – Photographische Ahnungen vom Tanz“ von Georg Schreiber aus Essen, den VHS-Vortrag „Von Isadora Duncan bis Pina Bausch. Zur Entwicklung des modernen Tanzes in Deutschland“ von Bettina Großberg, den Tanzfilm „Männerrituale“ sowie eine Busfahrt zum Deutschen Tanzarchiv in Köln mit Besuch der Dauerausstellung „Vom Hofball bis zum Barfusstanz“. Außerdem präsentiert wurde der Tanzfilm „Körper“ in der Choreographie und Regie von Sascha Waltz. Nur durch eine Sonderförderung der Kulturstiftung der Sparkasse Krefeld war dieses opulente Programm darstellbar geworden.

Compagnie Irene K.©TANZweb.org

Compagnie Irene K.©TANZweb.org

Ohne Drittmittel-Unterstützung fiel das „MOVE!“-Programm in 2003 rein quantitativ leider etwas reduzierter aus, hatte jedoch bei insgesamt sechs Aufführungen mit Rodolpho Leonis „Kess Keton“ und „Please hold my hand“ vom Folkwang Tanzstudio gleich zwei Highlights zu bieten. Den allergrößten Publikumserfolg allerdings – sozusagen außer Konkurrenz – heimste das Stück „Das macht mich noch ganz irre“ ein, eine Produktion für Jugendliche, die von uns in Auftrag gegeben wurde und von der Choreographin Sabine Seume und dem Regisseur Franz Mestre mit Akteuren des KREScH-Stadtjugendtheaters entwickelt und umgesetzt wurde.

Den absehbaren finanziellen Engpass für das siebte „MOVE!“ beseitigte die Kunststiftung NRW mit einer deutlichen Förderung, so dass wir uns – dem guten Zuspruch des Publikums entsprechend – zur Eröffnung gleich zwei Mal das Folkwang Tanzstudio mit „Artischocke im Silbersee“ „leisten“ konnten. Waren 2003 Jugendliche die Adressaten für ein Tanzprojekt, so richtete sich in 2004 das Augenmerk auf die ältere Generation mit dem Projekt „Damen ab 55“. Hanna Agurski von „Ubuntu – der Schule für Musik und Bewegung“ in Krefeld führte einen Workshop durch, um Tanz persönlich erfahrbar zu machen. Das Ergebnis wurde nach der Präsentation des am Wuppertaler Tanztheater gedrehten Tanzfilms „Damen und Herren ab 65“ in einer Werkschau vor berührtem Publikum gezeigt.

CocoonDance, Re-Play „The Swan“, Probenfoto

CocoonDance-Replay-the-swan©Klaus-Dilger

CocoonDance-Replay-the-swan©Klaus-Dilger

Fast schon routinemäßig fand wiederum im Mai 2005 die „tanzstrasse“ statt, da allerdings zum allerletzten Mal, da sich dieses Format nach einhelliger Meinung der Beteiligten überholt hatte und eine Überarbeitung erfahren sollte.

Über viele Jahre hinweg hatte die Fabrik Heeder ein hohes Maß an ästhetischen Facetten und Entwicklungen des zeitgenössischen Tanzes der freien professionellen Szene präsentiert. Zu einzelnen Compagnien resp. Choreographinnen und Choreographen ergaben sich im Lauf der Zeit enge Arbeitskontakte (ganz besonders seien das Folkwang Tanzstudio, Vera Sander, CocconDance, RAZ, Sabine Seume, Rodolpho Leoni, Mark Sieczkarek, Suna Güncü und Mitsuru Sasaki erwähnt) und unser Haus rückte damit näher in den engeren Kreis der NRW-Tanzzentren vor. Zeitgenössischer Tanz ist ein Kunstangebot großstädtischer Provenienz. Auf diese Weise hatten wir damit sicherlich auch dem Selbstwertgefühl Krefelds gut entsprochen. Die Konsolidierung der Arbeit, die in diesen Jahren zu verzeichnen war und damit verbundene vertiefte Anerkennung in der NRWTanzszene vermochten uns dennoch nicht wirklich zu befriedigen. Ein neues Landesfestival war konzeptionell nicht in Sicht. Und die deshalb (oder besser zwangsläufig) dichte Folge von „MOVE!“ in jedem Herbst war aus unserer Sicht langfristig weder originell noch publikumsfreundlich. Die Zeit war reif für ein neues, eigenes Konzept.

Jürgen Sauerland-Freer | 2007 in HEIMAT

Teil IV folgt am kommenden Wochenende

Foto-Georg-Schreiber-Red-Hot-Mark-Sieczkarek-Company-Teresa-Matos-

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