TÜR VERZWEIFELT GESUCHT

Der „liebe Gott“ hat keine Zuhörer mehr, zumindest nicht, wenn es nach Julio César Iglesias Ungo geht, dessen „The Hidden Door“ gestern in der Fabrik Heeder beim Krefelder MOVE!-Festival zu sehen war …

Ziellos laufen die Performer über die Bühne, einzeln, immer wieder. Werden Teil des einströmenden Publikums, das zielstrebig die Plätze sucht, um sie, die Umherirrenden zu beobachten, wie sie … in der Obskurität verschwinden. Cut! Wir sind in einer Radioschau dessen beiden Moderatoren aufgetakelt sind, als müssten sie gleich mit Elvis Presley auf die Bühne. Aber der kommt genauso wenig wir die Anrufe zu nächtlicher Stunde…

So absurd und auch ein wenig surreal lässt Julio César Iglesias Ungo seine neue Produktion beginnen, die nun, nachdem sie im Pumpenhaus Münster Premiere gefeiert hatte, im Rahmen des Krefelder Festivals für zeitgenössischen Tanz „MOVE!“ zu sehen ist.

Eine knappe Stunde später werden die ausgepumpten Tänzerinnen und Tänzer, samt Livemusiker vom Krefelder Publikum gefeiert. Was ist passiert?

THE HIDDEN DOOR©PRESSEBILDER-Klaus-Dilger_TANZWEB-THE-HIDDEN-DOOR

THE HIDDEN DOOR©PRESSEBILDER-Klaus-Dilger_TANZWEB-THE-HIDDEN-DOOR

Vor allem verdanken sie diesen Beifall dem Umstand, dass Julio César Iglesias Ungo sie das tun lässt, was sie am besten können, nämlich tanzen, und dass sie allesamt Performer sind, die in ihrer tänzerischen Qualität den Durchschnitt der hiesigen Freien Tanzszene deutlich überragen. Dies ist wenig verwunderlich in diesem aussergewöhnlichen Ensemble aus Kuba, Island und Deutschland. Namen wie Mats Ek, Ana Laguna, Wim Vandekeybus, Sasha Waltz, Susanne Linke tauchen immer wieder in den Biografien auf, um nur die in Deutschland bekanntesten zu nennen. Sie markieren neben RENEGADE, der in 2003 gegründeten ersten urbanen Tanzkompagnie  in Deutschland, die von 2010 bis 2017 unter dem Label „Renegade in Residence“ die Sparte Tanz zurück ans Schauspielhaus Bochum gebracht hatte und mit Samir Akika, dem späteren Leiter des Bremer Tanztheaters, die Ankerpunkte und Verbindungs-Fäden dieses tänzerischen Netzwerkes. 

Die Bilder, die Iglesias Ungo in THE HIDDEN DOOR entwirft, sind klar und dreidimensional herausgearbeitet. Die Fokussierung der oft hochdynamischen Aktionen durch die Begrenzungen auf einzelne Lichtinseln, ist als gestalterisches Element auch von den Arbeiten von ULTIMA VEZ und Wim Vandekeybus bestens bekannt. Dass solche Gedanken in den knapp sechzig Minuten der temporeichen Aufführung sich überhaupt einschleichen können, ist dem Umstand geschuldet, dass Iglesias Ungo seine exzellenten Performer gelegentlich einfach zu oft die gleichen choreografierten Phrasen wiederholen lässt. Hätte der Choreograph seine Ideen kostbarer behandelt, wäre vielleicht ein enorm spannender dreissigminütiger Tanzabend entstanden.

Wie bereits bei „INVISIBLE WIRES“, das vor zwei Jahren an gleicher Stelle zu sehen war, setzt Iglesias zu Recht auf die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Niko Hafkenschied, der auch hier Teil der Inszenierung wird und live in das Bühnengeschehen eingreift und es mitträgt.

Es ist eines der grossen Verdienste des Krefelder MOVE! Festivals und seiner langjährigen Unterstützer, wie die Kunststiftung NRW, dass  sie den talentierten Tanzkünstlern des Landes die Treue halten und sie in ihrer Entwicklung begleiten und präsentieren.

Der Einwand, das Stück hätte vielleicht in seiner Konzentration auf die Hälfte der Aufführungszeit einen Glanzpunkt des Festivals setzen können, sollten die Künstler und der Choreograph leicht verschmerzen können, zeigt THE HIDDEN DOOR doch insgesamt eine künstlerische Entwicklung, die steil nach oben weisst.

Julio César Iglesias Ungo studierte Zeitgenössischen Tanz an der National Dance Academy in Havanna und wurde später Mitglied der National Dance Company von Kuba. Als Tänzer arbeitete er mit zahlreichen Ensembles in Europa und Lateinamerika, als Choreograph u.a. für Renegade, das Theater Bochum und das Nederlands Dance Theatre. Er realisierte eine Vielzahl an Auftragsproduktionen für internationale Ensembles.

Konzept, Choreographie: Julio César Iglesias Ungo ● Tanz: Alexis Fernandez, Tanja Marin Friojónsdóttir, Joel Suarez Gomez, Janis Heldmann und Claudia Iglesias ● Live-Musik: Niko Hafkenscheid

Eine Koproduktion mit: tanzhaus nrw, Düsseldorf, Theater im Pumpenhaus, Münster, gefördert durch die Kunststiftung NRW, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW und das NRW KULTURsekretariat.

The Hidden Door_Iglesias Ungo_MOVE Krefeld_ ©TANZweb.org

The Hidden Door_Iglesias Ungo_MOVE Krefeld_ ©TANZweb.org