Thomas Noone Dance, Brutal Love Poems

Das Verlangen ausstellen

Von Thomas Linden

Eine Erkältungswelle und ein Streikaufruf der Lokführer suchen Deutschland in diesen Tagen heim. So vermochten Hans-Joachim Wagner von der Kunststiftung und Bettina Milz vom Familienministerium dem Krefelder Tanzfestival Move! zur Eröffnung nicht den Segen des Landes Nordrhein-Westfalen spenden. Krefelds Kulturdezernent Gregor Micus verstand sich auf seine Aufgabe am Rednerpult aber auch ohne den Beistand aus Düsseldorf ziemlich gut. Dass den freundlichen Worten zur 13. Auflage der Tanztage in der Fabrik Heeder beeindruckende Tatsachen folgten, schuldet das Festival dann jedoch Thomas Noone und seinem Dance Ensemble aus Barcelona.

   

Gleich im ersten Bild schaut die Tänzerin Alba Barral über die Schulter ins Publikum. Ein Blick wie von einem wilden Tier, so verstörend intensiv, dass alle Festtagsworte gleich verweht wurden. Mit Karolina Szymura tanzt sie ein Duett unter dem Titel „Watch me“, das an Tempo kaum zu überbieten ist. Hart und präzise wird jede Geste plaziert, Gewalt scheint in der Luft zu liegen. Dass Aggressivität zur Weiblichkeit gehört, hier werden wir frontal daran erinnert. Zwei Frauen, die unmissverständlich demonstrieren, dass ihren Körpern Aufmerksamkeit zukommt. Wie sie die Arme und Beine unablässig ins Spiel bringen, das demonstriert ein eigenständiges Bewegungs- und Gestenrepertoir. Nicht alle Tage sieht man Tanz so originell und frisch, und dabei so auftrumpfend feminin.

Der Brite Thomas Noone entwickelte die Choreographie für dieses Duett. Sich selbst schrieb er das Solo „As if I“ auf den Leib. Elegant im cremefarbenen Anzug tritt er vor sein Publikum, die unbarmherzige Sommerhitze Barcelonas scheint sofort der Raum zu füllen. Noone mimt einen verzagten Künstler, der sich mitunter aufführt wie ein verzweifelter Clown.

Hier durchleidet jemand die Qualen des kreativen Prozess, allerdings  nicht ohne einen gehörigen Schuss Melodramatik. Genau jenes selbstverliebte Pathos, das die Frauen im ersten Teil der Abends mit ihrer wilden Unmittelbarkeit atomisierten, schleicht sich nun ein.

So entwickelt sich der dritte Teil, der dem gesamten Projekt seinen Namen gibt, zum fulminanten Höhepunkt. „Brutal Love Poems“ zeigt Javier G. Arozena, Alba Barral, Jerónimo Forteza und Karolina Szymura im emotionalen Chaos zweier Paare verklammert. Das Begehren strömt in alle Formen von Nähe, Zorn, Hingabe und Besitzgier ein. Die Duette werden schnell und fordernd getanzt, das ist sexy, weil nicht die Lust ausgestellt wird, sondern das Verlangen. Die Körper erzählen mit ihren Gesten von den seelischen Bewegungen. Eine Intensität, die noch im schweren Atmen und Keuchen der vier zu spüren ist, wenn sie zum Schluss in der Dunkelheit stehen und auf den Applaus warten, der ihnen dann einen Moment später entgegen brandet.

Noone setzt eigenwillige Akzente. In der Entschlossenheit und dem Indeenreichtum des Repertoires an Bewegungen, Bildern und Gesten sind seine Choreographien kaum vergleichbar mit hiesigen Produktionen. Während in NRW oft die Konzepte über das Gelingen einer Produktion entscheiden, vergessen Thomas Noone und sein katalanisches Ensemble nicht die Technik und den Körpereinsatz, um von den Schlachten zwischen Männern und Frauen zu erzählen. Mit diesem Start wird man neugierig auf die anderen zwölf Produktionen, die Move! bis zum 22. November noch zu bieten hat.