VIDEO UND NACHTKRITIK: FALLEN UND GEFALLEN

„Carnival of the Body“ von Tim Behren und Florian Patschovsky alias Overhead Project in der Fabrik Heeder in Krefeld

NACHTKRITIK von Melanie Suchy (geschrieben anlässlich der Premiere)

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Das Ende kommt plötzlich, und es ist gar kein richtiges Ende, denn der Applaus und die erhobenen Siegerarme und Jubelgesichter der beiden Darsteller gehören ja zum Stück. Ein irritierender Moment, man fühlt sich manipuliert oder, auf neuperformerisch: zur Partizipation animiert. Doch es dauert nur einen kurzen Moment. In diesen paar Sekunden kommt das passgenau zusammen, was  vorher eine Stunde lang in Einzelteile und -szenen zerlegt wurde. Der Showkampf, das Wrestling.

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„Carnival of the Body“ ist das erste abendfüllende Stück, das die beiden Kölner Akrobaten und Tänzer Behren und Patschovsky selbst choreografiert haben. Der Titel ist daneben, denn einen Karneval ohne Körper gibt es nicht; und „Leb’ wohl, Fleisch“ trifft höchstens insofern zu, als die Wrestler oder Catcher ihren Körper komplett in den Dienst ihrer Auftritte stellen und ihn in einen Kampf werfen, der bekanntlich fingiert, fake, ist, aber mitnichten ungefährlich. Vielleicht aber soll der Titel aufs Kostümieren anspielen, denn Wrestler treten in ausgewählten Outfits an, bis hin zu Frisuren, Bärten, Gesichtmasken. Sie legen sich brachiale Künstlernamen und Rollen zu, und vor allem schleppen sie Muskelberge mit sich herum, eine Art Fleischkostüm. Dicke Hose ist da der gesamte Mann. So geht das Spiel.Carnival_of_the_body_Nachtkritik_Krefeld_02

Protz ist Programm.

Behren und Patschovsky entprotzen es. Der Artistik, dem Zirkus, sind Wrestling-Kämpfe ja ein wenig verwandt. In Show kennt man sich aus. Das hat die beiden wohl auch an der Auseinandersetzung gereizt. Bei dem Kult, der nicht nur in den Theaterkünsten heutzutage um das „Authentische“ gemacht wird, freut man sich über ihr Spiel mit dem authentisch Unauthentischen. Es bringt überraschende Momente, gruselige und humorvolle. Es hat keinen erkennbaren höheren Zweck oder eine message; das kann man vermissen. Doch beim Zuschauen stört das nicht.

Die Ausstattung ihres Stückes beschränkt das Duo klugerweise auf Andeutungen. Hatte noch  Yolanda Gutierrez in Hamburg 2010 ihre Wrestling-Choreografie mit viel Kostüm in einen echten Ring platziert, und erkämpfte sich das Kölner Pogo-Ensemble 2012 in „Gender Jennies Fighting Arena“ etwas erfolglos den Platz im echten Ring eines echten Boxclubs, so reicht den Overheads eine lapidare Sportgarderobenbank am Rand einer sehr leeren Bühne. Hier wechseln sie ein paarmal in aller Ruhe die Klamotten, einmal setzen sie sich und mampfen eine Banane. Der eine kriegt vom anderen die Hälfte ab. Nie reden sie miteinander. Ihr Wasserflaschen heben sie synchron –

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wie eine Einheit.

So beginnen sie auch ihren „Carnival“-Auftritt. In leichte grausilberne Mäntel gehüllt, Kreationen von Sabine Schneider, und mit grauen Stoffmasken anonymisiert, bauen sie sich auf: Der eine steigt dem anderen auf den gebeugten Rücken, steht auf seinen Schultern, sogar auf den hochgestreckten Händen. Zu zweit sind sie riesig. Die Arme ausgebreitet wie im Triumph. Als seien sie am Ende von etwas. Als seien sie eins. Grelles Scheinwerferlicht von hinten macht ein Heldenbild draus. Die Entrücktheit wird noch gesteigert, indem es nicht laut wird, sondern Simon Bauers feine Soundbegleitung nur ein fernes Klingeling, einen verirrten Ringrichtergong und einen langen Kontrabass-Strich über die Bühne schickt.

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Nach der Pause mit dem phallischen Obst tragen die Performer rot und blau und ihre eigenen bärtigen Gesichter. In einer etwas geisterhaften Szene stellen sie nun in einem ringgroßen Lichtfeld Erwartungs-haltungen durch. Stehen gebeugt auf leichten Füßen, irgendwohin gerichtet. Fahren die Fäuste aus. Schwinger ins Leere. Plötzlich zieht einer am anderen oder springt ihn an oder hechtet auf dessen aus dem Liegen hochgestreckte Füße. Oder drückt ihn und wirft ihn hoch und herum oder hält ihn kopfüber und quer oder schleudert ihn an den Füßen im Kreis. Dann fällt der Gehobene. Rumms, auf den Rücken, nein, erst auf die Füße. Behren und Patschovsky nehmen hier Phrasen aus dem Wrestling-Vokabular und fügen Artistik-Schlenker hinzu, sie verzerren das Timing und entziehen dem Duett so alles Posenhafte und Zweikampfmäßige. Zumal ein wichtiges Wrestling-Element fehlt: das demonstrative Leiden des Gehauenen oder Geworfenen,

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„The Sell“

Während sie hier also zeigen, wie real die Artistik der Showsportler ist, kommt der „Carnival“ danach zur Falschheit. Die zwei Männer nehmen Wasserschlucke, und wenn sie sie in einen Eimer spucken, ist es farbige Flüssigkeit. Die Zungen werden grün und die Hirne weich. Als Dummbeutel rangieren sie jetzt ewig mit zwei Mikrofonen an langen Kabeln, beide bekommen nacheinander Lachanfälle, die nicht anstecken, weil sie fake sind. Zuckungen. Das American Wrestling hatte vor Jahren seine Doping-Skandale. Zum Missbrauch von Muskelaufpumpzeug wie Anabolika und Hormonen kamen bei einigen Männern harte Drogen. Depression, Schlaganfall, Mord, Selbstmord. Dass die Persönlichkeitsstörungen auch an den lädierten Köpfen liegen, vermuten einzelne Wissenschaftler. Ein Journalist über den kaputten Scott Hall alias Razor Ramon: „Der einzige Moment, in dem er die Kontrolle verlor, war das Leben.“

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Das Schwanken und Taumeln eines Menschen, der nur noch Show ist, tänzelt Tim Behren in ein erstaunliches Solo hinein. Er mischt das coole Joggen, Kopf voran, wie nach einem Schuss aufs Tor, mit modelhaftem Staksen, er klatscht sich auf die breite nackte Brust, merkt, dass es weh tut, stampft, die Knie tief gebeugt, wie ein Sumoringer oder Kampf-Maori. Alles wild durcheinander. So ist der Mann. Will toll aussehen, aber wie denn, was passt denn? Eine Lachnummer, bitter, traurig, wahr irgendwie. Der eindrucksvolle „Carnival of the Body“ hat schließlich doch eine höhere Botschaft. Die Frage, die schwerste von allen: „wer bin ich, wie will ich gesehen werden?“. Erst am Aschermittwoch des Lebens ist sie vorbei.

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