SHIVER – Cie. Nicole Seiler | Lausanne
Festival MOVE! Krefelder Tage für Modernen Tanz – 2018
aus der Nachtkritik von Bettina Trouwborst
… Es ist eine seltsame Welt, in die Nicole Seiler uns hineinzieht. Leuchtende Krabbeltiere am Boden wechseln sich ab mit merkwürdigen menschlichen Figuren. Eine Frau in Krinoline, skurril ausgepolstert, hält ein Weinglas in der Hand und erzeugt, mit dem Finger auf dem Rand des Glases ein Geräusch. Dabei erzählt die bucklige Blondine mit geheimnisumflorter Stimme von spukigen Szenarien. Hinter ihr erscheint ein Mann, einen Hut tief ins Gesicht gezogen. Er bewegt bedrohlich einen Schlüsselbund an einer langen Kette. Dazu dreht ein weiterer Mann eine alte Kaffeemühle – oder ist es eine Spieluhr? Willkommen zur theatralen Gespensterstunde!
Durch Suggestion – Zitate einschlägiger Symbolik, unendlich langsamer Aufbau von Szenen, mysteriöse Geräusche, jammernde, heulende oder schrille Stimmen und unheimliche Klänge – erzeugt das Stück das, was im Genre des Thrillers als Suspension bekannt ist. Atemlos macht es einen nicht. Aber man verfolgt erwartungsvoll gespannt, was geschieht. Was aber vor allem an der stupenden Videotechnik liegt. Nicht sichtbare Infrarotkameras nehmen die Körper auf, und die am Computer bearbeiteten, animierten Bilder werden auf die Tänzer zurückprojiziert. Hierdurch verschwinden die Individuen hinter mystifizierten Bewegungskünstlern.
Akzente setzt die Choreografin durch ironische Brüche. In einer besonders imposanten Szene gerät Leben in zwei rot illuminierte Häuflein wie glühende Ascheberge. Sie dehnen sich aus und drohen, auf das Publikum zu zufließen. Da entstehen Wölbungen unter der Masse, werden immer größer, bis sich die beiden Körper darunter zu zwei ausgewachsenen hochästhetischen Gespenster-Skulpturen aufrichten. Wirklich schön.
Ein innovativer Festivalauftakt – und ziemlich passend kurz vor Halloween.