Benjamin Millepieds DER NUSSKNACKER in Dortmund vom Publikum gefeiert

Nachtkritik von

Luke Aaron Forbes

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Das Ballett Dortmund fährt fort,  sein künstlerisches Profil auszubauen, indem es weiterhin auf  den Rockschößen von internationalen Tanzpersönlichkeiten reitet. Sei es als Gastgeber internationaler Ballett-Galas oder indem es Choreographen wie Benjamin Millepied engagiert – dessen Marktwert erst richtig in die Höhe schnellte, als er mit Natalie Portman liiert war – Die Dortmunder Compagnie scheint bemüht, jedweden Hinweis auf ihre provinziellen Wurzeln abzuschütteln. 

Und wie ein  Besucher in der Pause mit Blick auf den französischen Choreographen bemerkte: „Was ist schon ein Name? Ich würde auch nicht unbedingt besser aussehen, wenn ich mich in einen Dior-Anzug werfen würde!“, ist ein bekannter Name kein Qualitätsgarant, aber er ermöglicht eine großangelegte Marketing-Kampagne. Dies ist eine kluge Strategie, auch wenn sie in diesem Fall nicht zu einer Vorstellung geführt hat, die in den Kulturmetropolen für Aufmerksamkeit sorgen könnte.

Fairerweise muss eingestanden werden, dass man sich einer Neuinszenierung des „Nussknackers“ nicht mit allzu hohem künstlerischen Anspruch nähern sollte. Tatsächlich, so unterstreicht Ballettdramaturg Dr. Christian Baier in den Anmerkungen des Programmheftes, hat das Werk nur selten (wenn überhaupt) Erfolg bei den Kritiken erfahren dürfen. Dies tut dem Strom des jüngeren und junggebliebenen Publikums zu diesem und ähnlichen Produktionen auf der ganzen Welt und ihrer Erwartung eines getanzten Feuerwerks und etwas „Schall und Rauch“ keinen Abbruch. Dagegen ist Millepieds „Nussknacker“ lediglich eine Collage verschiedener Tanzsprachen und -stile, die von Tschaikowskys beliebter Partitur und einem einfachen Bühnenbild, das an ein Pop-Up-Bilderbuch erinnert,  zusammengehalten wird. Einzelne Szenen und Tänzer ragen aus dem Kunterbunt heraus, aber insgesamt ist der Abend weniger zauberhaft als gemeinhin von dem getanzten Weihnachtsklassiker erwartet wird. 

Wie bei einer Ballettpremiere kaum anders zu erwarten, zeigten einige Tänzer Zeichen von Lampenfieber. Auch beeinflussten technische Störungen das Video-Element des Bühnenbildes, bestehend aus rudimentären Zeichnungen und Titelseiten, von Drosselmeier, an einem Pult vor dem Bühnenportal stehend, eingespeist, die als Wegweiser durch den Abend führten. Doch im Laufe der siebzehn Aufführungen hat das Ensemble noch mehr als genug Chancen,  ihre Interpretationen zu verfeinern, und diejenigen hinter der Bühne werden einen Weg finden, um technische Probleme zu lösen. Die Kritik richtet sich hier zur Gänze an den Erfinder des Werks, der versucht zu haben scheint, den Massen zu gefallen, indem er aus einer breiten Palette von Möglichkeiten schöpft und dafür die choreografische und dramaturgische Kohärenz geopfert hat.

Choreografisch  beginnt der Abend mit breit angelegten pantomimischen Gruppenszenen. Vor der Ankunft des Mäusekönig entsteht durch das mitreißende Zwischenspiel eines neoklassischen Pas de Deux, mit Claras Mutter und Vater, von Stephanie Ricciardi und Andrei Morariu jeweils beachtlich ausgeführt, Zuversicht.  Diese Szene hebt den Raum und die Fähigkeiten der Solisten hervor, was an das Werk des Dortmunder Ballettdirektors und Hauschoreografen Xin Peng Wang  erinnert, auch wenn sie nicht zum Fortschreiten der Erzählung beiträgt. Die „Schneeflocken“ werden dann von Mats Eks ikonischem „Schwanensee“ für den Abschluss des ersten Aktes übernommen  Der zweite Akt beginnt mit einem klassischen Pas de Deux samt Variationen der Zuckerfee (Jelena-Ana Stupar) und einem Prinzen (Alysson da Rocha Alves), gefolgt von einer obligatorischen Ballettreise zu einem Tanzfestzug um die Welt. Es mag sich nach Aufzählungen anhören, jedoch führt die eklektische Mischung aus Tanzstilen zu einer verwirrenden Reihe von Darstellungsweisen, ein Hin und Her aus symbolischen Handgesten in der geschlossenen Welt der Weihnachtsfeier, gefolgt von expressiven und/oder abstrakten neoklassischen Introspektionen,  kontrastiert von der frontalen, präsentierenden Qualität der Ballettvariationen, sowie der Komödie des zweiten Aktes.

Als solche stößt dann die relative Kohäsion des zweiten Aktes auf  positive Resonanz des Publikums und befreit die Choreographie und die Künstler aus der klaustrophobischen Bühnenumgebung der ersten Hälfte. Seine schnellen Tempi und größere Vielfalt zeigt außerdem das Ensemble von seiner besten Seite und ermöglicht  den jüngeren Darstellern, ihre technischen Fähigkeiten auszuspielen und augenzwinkernd ihre Interpretationen von cartoonartigen kulturellen Stereotypen zu zeigen. Haruka Sassa beeindruckt durch ihren sicheren und geschliffenen Beitrag zum „Griechischen Tanz“ und Denise Chiarioni bringt in einem Trio als stolze russische Dame mit ihrem hysterischen Kreischen das Publikum zum Lachen. Hiroaki Ishidas und Giacomo Altovinos energischer „Chinesischer Tanz“, durchgängig mit gut ausgeführten Tours en l’air und Split-Sprüngen,  um nur zwei Beispiele für die Beherrschung der Männerballetttechnik zu nennen- versorgt das Publikum mit einer Dosis an Virtuosität, auf die es zuvor warten musste.  Schließlich lässt Dan Wilkinsons genderverwirrte „Lebkuchenmutter“ erahnen, um wieviel komischer und subversiver der erste Teil hätte sein können. In der Tat ist es  bedauerlich, dass die Tänzer und eine schauspielerische Darstellungsform während des gesamten Stückes nicht prominenter in Erscheinung treten.

Unabhängig von den Schwächen in der Inszenierung zeigte die lokale Fangemeinde des Ballett Dortmund, als der Schlussvorhang gefallen war,  ihre großzügige und bedingungslose Unterstützung für ihren aufstrebenden „Underdog“ des Weltballetts.