Bis zur Schmerzgrenze – und darüber hinaus…
SURROUND – Über das Verhältnis des Menschen zur Herde – ein Performance-Parcours zwischen Führen und führen lassen – so nennen und untertiteln die beiden Macher ihre Kreation, die im Rahmen des FAVORITEN Festivals 2018 in Dortmund nun zu sehen war.
In Köln zu sehen am 3. und 4.Oktober im Zirkuszentrum ZAK – Videoimpressionen folgen
Nachtkritik von Klaus Dilger
HIER GEHT ES ZU DEN VIDEO-IMPRESSIONEN
Was wäre, wenn es in der Mitte stünde, anstatt wie ein Pendel im Zentrum eines Kreises an eine Lastenkette gehängt zu werden? – Ein Pauschenpferd als „goldenes Kalb“, das von den Protagonisten zu Beginn der knapp einstündigen Performance aus dem Foyer der „Alten Schmiede“ in Dortmund, wo es wie ein Götze ausgestellt, hochkant und etwas verdreht da steht und nun prozessionsartig in den Theatersaal getragen wird. Von unsichtbarer Hand wird es im Zentrum nach oben gefahren, nachdem es mit der herabhängenden Kette verbunden und von einem der Tänzer kreisförmig ins Schwingen gebracht wurde.
Die Zuschauer folgen dem „Objekt“ mit den Augen, streng reglementiert beim Einlass und angewiesen, es auf einer bestimmten Abstandsbahn im Uhrzeigersinn zu umkreisen und sie werden so konditioniert auf die Ereignisse eingestimmt, die dem Szenario folgen werden.
Manche durchschauen den Plott schnell und einige Wenige kreisen lieber nach links, anstatt nach rechts und hier gegen den Strom. Zumindest so lange, bis klar wird, dass sie so vermutlich leer ausgehen werden, wenn es um die Verteilung der aufgestellten Sitzhocker gehen wird.
„NO ENTRY“ steht in Großbuchstaben in beiden Leserichtungen auf den Boden geklebt, unter der Mitte, die sich schnell als Zentrum der Macht entschlüsseln lässt, wie so Vieles an diesem Abend.
Überhaupt gibt es wenig Überraschendes oder gar Spektakuläres zu sehen, wenngleich gelegentlich schöne Bilder entstehen.
Die physische und psychische Erfahrung des Zuschauenden, der sich auf die Versuchsanordnungen einzulassen vermag, scheinen im zentralen Interesse der Aufführung zu stehen. Die Künstler bestimmen hier über die Anordnungen und Verhältnisse zwischen Konsum und Partizipation, wobei die Teilhabe hier niemals frei ist, sondern stets fremdbestimmt. Wer einmal kurz durch das Zentrum gehen darf, wird bestimmt durch die Tänzerinnen und Tänzer, in Bahn, Geschwindigkeit und Dauer unter dem Deckmantel des “beschützen wollens”. Sie machen sich zu Führern und Verführern – und bei manchen Zuschauern bis knapp an die Schmerzgrenze, wie sich deutlich beobachten lässt. Die Dramaturgie des Un- und Unterbewussten, mit gesteuert durch die musikalische Komposition, tut ihr Übriges.
Dennoch oder deshalb „funktionieren“ sie alle – Keiner packt die Füße des Pauschenpferds und stoppt die Bedrohung durch die kreisende Masse – das wäre so leicht, aber nicht konform mit dem System (hier der Performance). Obwohl die Künstler gewollt und bewusst die Grenzen der (Zuschauer)Konvention überschreiten und aufzulösen versuchen, verhalten sich Diese „systemtreu“.
Täglich wohl schreit die Mehrheit der Menschen in Europa und der Welt auf, wenn sich wieder neue unfassbare Nachrichten des und über den derzeitigen amerikanischen Präsidenten verbreiten. Unfassbar deshalb, weil wir lernen mussten, dass selbst die wahnsinnigsten Nachrichten wahr sein könnten und die Zukunft im Heute und für nachfolgende Generationen auf der ganzen Welt bedrohen könnten, ohne dass irgendjemand diesen Wahnsinn stoppen würde.
Auch daran haben Tim Behrens, Florian Patschovsky, Mijin Kim und Susanne Schneider mit ihrer Performance schmerzhaft erinnert.