Der Aggressiven Zähmung?

Renegade stürmen mit ihrer neuen Arbeit „Drang“ weniger stark nach vorn als erwartet

von Rico Stehfest

Mit urban styles ist es ja gern mal so eine Sache. Scheint irgendeine Richtung gerade ganz neu entdeckt, wird sie schnell zum „heißen Scheiß“ erklärt und Begeisterung für „the next big thing“ gilt als ausgemacht. Krumping  hingegen ist sogar schon weltweit in die Talente-Shows eingezogen. Was nicht bedeutet, dass das energetische Zucken, die so schnell als aggressiv abgetanen Chestpops als outdatet abgetan werden sollten. Ganz im Gegenteil. Das zeigt die neue Arbeit der Truppe Renegade, die an den street style Verein Pottporus in Herne angegliedert ist. Dort, in den Flottmannhallen, ist „Drang“ aufgezeichnet worden und hat im Rahmen von „tanz nrw 21“ ihre Uraufführung im Stream gefeiert.

Unter der Regie von Malou Airaudo ist eine Arbeit entstanden, die auf unbekümmerte und trotzdem sensible Weise die sehr starken Elemente des Krumping mit weicheren Elementen des zeitgenössischen Tanzes verbindet. Dem Raum kommt dabei eine besondere Rolle zu. Die Performance ist unter Einbezug des Tageslichts aufgezeichnet worden, das durch die hohen Fenster mit den charakteristischen blauen Rahmen fällt. Damit gerät das neutrale Weiß des Raumes zur Tabula rasa, in der die dunklen Kostüme der Tänzerinnen und Tänzer desto stärker wirken. Auf dem Boden verstreut finden sich einige Ansammlungen von Plastikfolien, halb Deko, die den Raum gliedert, halb Müll, der im Weg liegt, dazu ein paar kahle Äste. Was sich zwischen all dem entwickelt, ist von der lebhaften Spontanität des Krumping ausgehend sorgfältig komplett durchchoreografiert. Das ermöglicht den Tänzern, einen andauernden Austausch zwischen unterschiedlichen stilistischen Ausdrucksformen zu führen, sie zueinander zu führen und miteinander zu verbinden. Und das funktioniert tatsächlich, wenngleich die Gesamtaussage damit eher eine künstlerisch reflektierte ist, der die Unabdingbarkeit des Ausdrucks im Krumping abgeht. Wer sich hier mehr edgy moves gewünscht hätte, findet über lange Strecken eher Weichspüler vor.

Drang-Renegade-Screenshot

Drang-Renegade-Screenshot

Der Kamera gelingt es aufgrund der Dimensionen des Raumes nur bedingt, die Performance in ihrer Gesamtheit aufzunehmen, zu weit sind die sechs Tänzerinnen und Tänzer immer wieder voneinander entfernt. Genau das ist hier gerade kein Manko. Stattdessen konzentriert sich die Kamera auf einzelne Konstellationen, rückt den Raum durch wechselnde Positionen in den Hintergrund und setzt ihn dadurch immer wieder neu zusammen. Die damit erreichte Fragmentierung der Performance lässt im Kopf des Zuschauers ein loses Gesamtbild entstehen, das durch digital eingeblendete geometrische Figuren und zusätzliche tatsächliche Projektionen auf den Performance-Bereich dreidimensionale Landschaften und Bilder entstehen lässt, die so gar nicht vorhanden sind. Das Farbschema bleibt bei allem konsequent unbunt, irgendwo im Graubereich.

Diese Momente bruchstückhafter Vielfalt der Bildhaftigkeit und des Bewegungsvokabulars finden ihre Entsprechung in der musikalischen Umsetzung, die von zartesten Geigentönen über Tropfgeräusche unter Begleitung einzelner verhaltener Klaviertöne bis hin zu technoidem Geklacker reichen.

Einer der Performer spricht von seiner Großmutter und davon, wie sie ihm Demut gelehrt hat. Dabei zieht er laut ihren Vornamen derart in die Länge, dass allein dieses eine Wort zur akustischen Performance wird. Diese Szene ist der Anklang an das Storytelling, für das Krumping immer wieder genutzt wird, wenngleich zuvorderst nonverbal. Gleichzeitig findet sich hier die einzige konkret greifbare Aussage. Der Rest bleibt im Abstrakt-Vagen und lebt bei aller losen Aneinanderreihung der einzelnen Szenen in erster Linie von den Kontrasten in den tänzerischen Stilen. Damit verschmelzen die individuellen Ansätze zu einem tatsächlichen Miteinander.

Drang-Renegade-Screenshot

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