Das Pottporus-Festival präsentierte zwei Tanzpremieren an einem Abend: „Henry & Edward“ von Rubberlegz und James Gregg und „In Wahrheit bin ich ein Pferd“ von Nathalie Larquet

Eine Nachtkritik von Melanie Suchy

Gods can dance

Die Festivalnachbarin Nathalie Larquet setzt sich ihren Musiker immerhin mit auf die Bühne in der ausverkauften Zeche1 in Bochum, was zu dem hohen Anspruch passt, den das Stück der erfahrenen Tänzerin und Choreographin aus Wuppertal transportiert. Der großartige Damian Pielka bringt das „Pferd“ auf Tour mit reibenden Sounds, Herzschlagbumpern, Rattern, Scheppern, Ticken, Klackern, Klingeln, einem Röhren wie unter Wasser, Schlagzeug- und E-Bass-Einsätzen und einer Rammstein-Spur, die ruft „ich will kein Engel sein“. Dazu kommt der Schauspieler und neue Wuppertaler Intendant Thomas Braus, der mit freiem langem Oberkörper und im optisch streckenden Rock – erst weiß, später schwarz – den Ansager macht. Er spricht und brüllt Teile aus Ovids „Metamorphosen“ über die Schöpfung der Welt, „den Streit schlichtete ein Gott“,  und über den Zentauren, die Stutewerdung dessen Tocher, Weltenunheil. Ob er selbst den Gott darstellt, wird nicht klar; einmal mimt er einen Blinden, der nach seinem Gegenüber fühlt, später trägt er eine wolfsgraue Pelzjacke mit sich herum wie eine Krankheit. Ist irgendwie Zeuge des Geschehens, wendet sich aber ab, leidend.

Matteo Sedda, Thomas Braus und Maureen Mouttou

Keine Engel

Die zweite irgendwie überirdische Figur stellt Kenji Tagaki dar, der eigentlich ein super Tänzer ist, ehemaliges Mitglied des Wuppertaler Tanztheaters, aber hier unterfordert wird mit majestätischem Ledermantelauftritt, Leutescheuchen und am Ende friedlichem Säuseln im Kleid. Das Tanzen also, vielleicht das Menschlich-Irdische, übernehmen Maureen Mouttou und Matteo Sedda. Offenbar folgen sie keinen vorgefertigen Schritten, sondern bestimmten Atmosphären. Sie hibbeln und zittern, werfen sich hierhin und dorthin, stehen angespannt und fitzeln mit den Armen. Es presst und würgt sich etwas aus ihnen heraus, mal freier, wilder, mal gebremster. Dabei verlieren sie häufig den Kontakt untereinander und zum Publikum und werden belanglos. Man ahnt, dass sich in diesem Bewegen eine Art tierischer Instinkt Bahn brechen will oder soll. So etwas hat Wim Vandekeybus 1999 mal choreographiert in „In spite of wishing and wanting“: schnaubende, galoppierende Männer.

Doch Nathalie Larquet übertüncht das zu lose Bühnengeschehen auch noch mit schönen Videoeinspielungen auf der hinteren Kachelwand, was die Filme clever gerastert aussehen lässt: Durch ein Bullauge oder einen Astronautenhelm gesehene Planeten, Steine, grüne Nordlichter, zwischendurch Schneelandschaft, die Tänzer in Punkshirts, die Tänzerin Eri Fukahori mit Pistole und gelangweiltem Girlygesicht. Am Ende eine Art Baumarktastronaut im Spinatbeet. Vielleicht endet so der Traum vom Fliegen, von der Flucht aus der Menschenwelt und der vom Menschen verwüsteten Welt? Vom Anderssein? Könnte sein. Kleinmut statt Gigantenkunst des Dichters.

Matteo Sedda und Maureen Mouttou (im Video)

Maureen Mouttou und Kenji Tagaki