„NEBENSÄCHLICHES…?“
Glossenhaftes zur soeben zu Ende gegangenen “Tanzplattform in Deutschland” von Klaus Dilger
Es gab sie, die vielen guten Begegnungen, auch im künstlerischen Sinn, und gute Gespräche am Rande, es gab sogar interessante Produktionen, auch wenn diese deutlich in der Minderheit waren. Ganz ohne Lokalpatriotismus darf und muss man hier auch auf die Bonner CocoonDance Company weisen, die mit ihrer Produktion „MOMENTUM“ zum Branchentreff geladen waren, und die als eine der wenigen Eingeladenen nicht von irgendeinem der grossen Zentren mit produziert wurden, die sich mit ihren Einladungen gegenseitig immer irgendwie auch selbst auf die Schultern klopfen.
Und dennoch…
Manchmal bricht sich dann doch so etwas wie eine übergeordnete Choreografie ihre Bahn beim Branchentreff, zu dem Stefan Hilterhaus nach Essen eingeladen hatte. Dort, wo man diese Tage und länger viel zu oft vergeblich auf etwas „Bewegendes“ gehofft und gewartet hatte, beginnt es ausgerechnet am letzten Veranstaltungstag in einem selbst zu tanzen. Bilder und Handlungen, die sich nur scheinbar zufällig aneinanderreihen, machen dann Geschichten sichtbar, die zeitlich oft weit auseinander liegen und sich untereinander verweben, so als wolle eine unsichtbare Hand noch an diesem Tag den Schleier um so viele Fragen lüften, die in den Jahren entstanden sind, in denen Tanz oft nur noch behauptet wurde und noch immer wird.
In diesen Geschichten, die zu Einer verschmelzen, wird ein Mann (ist es die Assoziation der Bilder oder reine Phantasie?) plötzlich eins mit einer bekannten historischen Grösse im Tanz: „ … und so nahm also der Sonnenkönig am letzten Veranstaltungstag Platz in der Mitte der ersten Reihe seines Hauses, mit bestem Blick auf seine grosse Bühne, umwabert von künstlichem Nebel und wummernden Klängen, die der Behauptung von etwas Kommendem dienten.
Der Lichtwechsel vom Sonnenkönig, nebst umsitzender und logischer Weise vor allem dahinter sitzender Tanzcommunity, hin zum Bühnenschwarz, das die Konturen der drei Personen auf der für sie viel zu grossen Bühne kaum freigibt, vollzieht sich beinahe nahtlos. Ins Technowabern der Soundkulisse mischen sich Reminiszenzen höfischer Musik aus der Zeit Louis XIV. Frühe Ballettposen werden immer wieder erkennbar und, selbstverständlich, immer wieder gebrochen… (es gibt sie noch, die Realsatire!)
Stunden später, die in Wirklichkeit nur fünfunddreissig Minuten dauerten, wird es zwischenzeitlich auch bei den Zuschauenden etwas heller (Man wollte ihnen wohl den Spiegel vorhalten oder sie einfach nur einbeziehen?) Hell genug, um zu sehen, dass es auch dem Sonnenkönig mal in der Nase juckt, und dass sich Viele reichlich nach dem Ende sehnen; manchmal treffen sich die Blicke mit bekannten Machern und Produzenten der Szene, man runzelt die Stirn oder zieht komplizenhaft die Augenbrauen hoch, dann wird der Spiegel wieder entfernt, indem das Licht erlischt.
Die drei Bühnenprotagonisten finden sich toll, das bekommt man irgendwie mit, egal ob sie sich Catcher-Einlagen liefern, unter mannigfachen roten Laserstrahlen, die aus Genrefilmen bekannt sind, über die Bühne rollen oder sich ihnen für Sekunden aussetzen, Dreierkopulationen andeuten oder klamaukig versuchen, der BühnenBlackBox zu entkommen. All das hat natürlich eine tiefere, impulssetzende Bedeutung, ist ja klar, sonst wäre das Stück ja nicht zur Plattform eingeladen worden, oder?
Dann ist es vorbei – der Sonnenkönig klatscht – alles andere ist doch Nebensächliches!“
Ach! – Jetzt fällt der Groschen: Das Stück auf der Bühne hiess ja „Minor Matter“ („Nebensächliches“)!
MINOR MATTER von Ligia Lewis
So platt so gut, oder wie ein bekannter Tanzproduzent mal sagte: „Wenn das Publikum das nicht versteht, dann muss man es ihm eben erklären!“ – Nur blöd, dass dieses Publikum jetzt weg ist… (und immer weiter schwindet in der Freien Szene)
Wie so oft in der Auswahl zur „Tanzplattform in Deutschland 2018“ scheint ein einziger Gedanke, und sei er noch so platt und vordergründig, zu genügen, wenn er nur konsequent und ausdauernd genug vorgetragen wird.
Ob das jedoch den vielen Tanzschaffenden zu erklären ist, die sich hinter vorgehaltener Hand über die Qualität des Dargebotenen, nicht nur in diesem Fall, sehr kritisch geäussert hatten? (Prominentestes Diskussionsobjekt Sasha Waltz&Guests mit „Kreatur“!) Das Tragische: die meisten Künstler, die so denken und kreieren, haben keine Häuser (mehr) und müssen bei den Produzenten und Theatern anklopfen, um ihre Kunst zeigen zu dürfen.
Auch dies eine Erkenntnis, oder besser die Erneuerung einer Erkenntnis: vorgehaltene Hände sind immer ein Indiz für weitreichende Machtstrukturen und diese sollten in der Kunst, auch in der Tanzkunst, nichts zu suchen haben, sonst werden alle „Assemblies” und „Artist Summits” zu Alibiveranstaltungen, oder werden, wie unsere Kritikerin Nicole Strecker beim Tagesbericht zur Eröffnung dieser Plattform schrieb: (Zur)… Tragik des Angebers, der nicht wahrhaben will, dass er ein Verlierer ist. Auch ein Input für eine tanzplattform-typische Spartendiskussion.“
In zwei Jahren gibt es die Chance dazu in München, das dann die “Tanzplattform IN | AUS | MIT | OHNE | FÜR Deutschland 2020” austragen wird.