FRAGILE FINALE…

… MIT TRIPPLE BILL

FINALE von FRAGIL…

… mit drei sehr unterschiedlichen tänzerischen Inszenierungen, sowohl qualitativ, als auch inhaltlich und didaktisch, zum Abschluss der zweiwöchigen Veranstaltungsreihe im Alten Wuppertaler Schauspielhaus und geplanten Pina-Bausch-Zentrum.

Jede Performance behandelt seine Themen auf sehr unterschiedliche Art und Weise und doch wollen sie alle ihre persönliche Betroffenheit weder abstrahieren, um sie in ein eigenständiges künstlerisches Werk zu überführen, noch sparen sie an Realismus auf der Bühne. Am ehesten gelang dies Kenji Shinohe mit seinem TREE TREE, das den Abend eröffnete.

Wir haben die Beiträge auch mit der Kamera begleitet und interpretiert. Unsere Kommentare zu den einzelnen Stücken wollen nicht beurteilen, sie stellen lediglich ein Feedback dar aus Sicht des Rezensenten. Beim dritten Stück des Abends, KEUR, haben wir hierauf verzichtet und stattdessen sprechen allein die Videoimpressionen und die Intentionen und das Anliegen der Gruppe haben wir aus dem Programmheft übernommen.

KENJI SHINOHE…

…hat im Jahr 2019 im Rahmen der Folkwang Universität der Künste und deren “Junge Choreograf*innen” Abends, seine Solotanzperformance TREE TREE geschaffen und uraufgeführt. Damals als Hommage an den Kiefern-Baum gedacht, der dem Tsunami widerstanden hatte, in dessen Folge es auch zur Reaktorkatastrophe von Fukushima in 2011 gekommen ist.

Shinohe gehört zu den talentierten Alumni der Essener Tanzausbildung. Nicht nur als Nachwuchschoreograf weiss er oft zu überzeugen, er ist auch als Tänzer ein sehr guter, geschmeidiger Mover, dessen Bewegungsrepertoire nicht selten begleitet wird von feinem Humor.

Dieser Humor war auch in 2019 spürbar bei TREE TREE und er war sogar stimmig, betrachtet man die Gesamtsituation seiner Inszenierung: die überlebende Kiefer steckt längst im Weihnachtsbaumständer mitten auf der Bühne und ist nurmehr ein kahler Ast, den Shinohe in einer Art blauer Schutzkleidung umtanzt. Später wird er diesen Mantel dem Baum umlegen, wie einem Garderobenständer aus Holz und seiner Wege tanzen. Doch gegen Ende seines Solos wird es ihn zum kahlen Baum zurückziehen. Shinohe findet dann wunderbare Metaphern für die tiefe Verbindung zwischen Mensch und Baum, der ihm, dessen Tod er doch zu verantworten hätte, sogar noch Trost zu spenden weiss…

FÜNF JAHRE SPÄTER…

…, für die Teilnahme an dem FRAGILE FESTIVAL 2024, hat Shinohe dieses ursprünglich feine Solo erweitert und eine Art Müllberg aus Kleidern und Stoffresten implantiert, in denen er sich nach und nach verheddert… Bilder werden evoziert, wie sie in den sozialen Medien kursieren, wenn Menschen heroisch Meeresbewohner und Landtiere von diesen weggeworfenen Stoffen und Plastikteilen befreien, wenn Shinohe verzweifelt versucht, mit einer Schere im Mund, seine Fesseln zu durchtrennen…

Hier kippt dann auch “das Klima” seines (ehemaligen) Solos: gelang es ihm 2019 noch Materie in Geist zu verwandeln, also so etwas wie Kunst zu erzeugen, erstarrt das Stück zur “Lehrveranstaltung”. Das ist überaus bedauerlich und Kenji Shinohe wäre gut beraten, zu seiner ursprünglichen Arbeit zurück zu kehren.

BELOVED – oui ou non

Kezia Jonah Zafinoa…

… beginnt ihre intime Soloperformance rauchend, im lackglänzenden Outfit und mit Lockenperücke auf einem Stuhl sitzend, während aus dem Off der Lautsprecher, als französisches Zwiegespräch, Klischees über Frauen aus “männlicher Sicht” tönen. Nur ein zuckender Fuß ihrer übereinander geschlagenen Beine verrät das Unwohlsein der Frau hinter der grossen Sonnenbrille. Als sie diese abnimmt verstummt das Gespräch und es folgen schnelle Trommelrhythmen und ein eruptiver Tanz mit dem Rücken zum Publikum. Wut? Protest? Widerstand? Ein kurzes Seufzen, während sie sich stumm entkleidet. Die Situation wechselt von einer bedrohlich, kalten Stimmung in rotes Licht, das eine Art Liege beleuchtet, auf die sich die Tänzerin legt. Aus zunächst langsamen Bewegungen, auf dem Rücken liegend, dann auf den Bauch geworfen, wird Gewalt und Widerstand und Vergewaltigung. Das gespielte Szenario ist direkt und schwer erträglich. Als es zu Ende scheint, wird aus dem weissen Tuch, das die Liege bedeckt hat, ein Mantel. Stumm und mit geschlossenen Augen setzt sie sich, das Gesicht zum Publikum, auf die Liege und blickt in sich hinein und in das Loch und die Leere, die sie beim Publikum hinterlassen hat.

KEUR

African Loop – Green Economy & Art Production ist eine 2024 in Senegal gegründete Organisation. Ihre Mission ist es, Schulungen zum Klimawandel anzubieten, afrikanische Klimaunternehmer zu unterstützen und Kunst zu schaffen, die nachhaltige Lösungen hervorhebt und fördert. Die Organisation zielt darauf ab, kollektive Wahrnehmungen zu verändern und diese Lösungen attraktiv und machbar zu machen. Ihre erste Produktion, in Zusammenarbeit mit der École des Sables, wird auf dem FRAGILE 2024 präsentiert. Ziel ist es, Diskussionen mit dem Publikum aus dem Senegal und darüber hinaus anzuregen und Hindernisse anzusprechen, die die Nutzung bestehender Klimaschutzlösungen verhindern.

Die Gründerin von African Loop und Initiatorin von KEUR, Taman Mhoumadi, auch bekannt als Tamaa (was „Hoffnung“ auf Komorisch bedeutet), ist eine Klimaspezialistin und aufstrebende Künstlerin aus Frankreich und den Komoren, die derzeit in Dakar lebt. Sie arbeitet seit fünf Jahren zwischen Europa und Afrika an Klimaschutzprojekten, die sich mit Politik, Unternehmensumwandlung und bürgerschaftlichem Engagement befassen. Sie hat ein Klimaschulungsprogramm entwickelt, das mehr als 1500 Menschen im Senegal erreicht hat, und ist nun Rednerin und Trainerin für grüne Wirtschaft für Organisationen sowie Sängerin und Komödiantin. Beim Future Forum des Diaspora-Pitch-Wettbewerbs in Brüssel belegte sie mit ihrer Vision, Klimaschutz und Kunstproduktion zu verbinden, den zweiten Platz. In der Show KEUR ist sie auch als Co-Produzentin, Autorin und Sängerin tätig.

Taman Mhoumadi über KEUR…

KEUR bedeutet “Heimat” auf Wolof. Es symbolisiert nicht nur ein physisches Zuhause, sondern auch das geschätzte Material, das damit verbunden ist. KEUR erforscht ein Erbe und Traditionen, die über Generationen weitergegeben wurden, aber zunehmend von der Moderne verdrängt werden. KEUR legt eine Spur, über die wir in die Komplexität unserer Gesellschaften eintauchen und versuchen, die Weisheit unserer Ältesten inmitten der Klimakrise zu bewahren. Diese getanzte Geschichte ist eine gemeinsame Schöpfung junger Künstler aus Senegal, Madagaskar, Gabun, den Komoren und Frankreich, die alle die harten Realitäten des Klimawandels aus erster Hand erlebt haben. Getrieben von ihrem gemeinsamen Gefühl der Dringlichkeit und ihren persönlichen Erfahrungen, haben sie sich zusammengetan, um eine Erzählung zu schaffen, die sowohl lehrreich als auch fesselnd ist.

Choreografie: Kezia Jonah

Autorin: Taman Mhoumadi

Performance: Marceline Diatta, Babacar Bayo, Thérèse Penda Sarr, Saliou Faye, Taman Mhoumadi

Szenografie: Ulrich Andry Dougandaga, Thiamass

Produktion: African Loop, École des Sables

Support: Centre Culturel Blaise Senghor

credits:

Text: Klaus Dilger

Kamera: Klaus Dilger

Editing und Gestaltung: DANSEmedia | berlin

Bildnachweise:

Alle: Klaus Dilger

Alle Videoeinspielungen:

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