SCHRIT_TMACHER 2025…
VORAUS-RÜCKSCHAU
ANFANG-ENDE-WEITER…
… Die dreissigste Ausgabe des euregionalen | internationalen Tanzfestivals im Dreiländereck von Belgien | Deutschland | Niederlanden ist gerade (wieder einmal) mit grossem Erfolg zu Ende gegangen. Es war die geplant letzte Ausgabe des bisherigen Künstlerischen Leiters und dessen Erfinders, Rick Takvorian, der mit sehr, sehr langen standing ovations bei jeder der Vorstellungen der letzten Festival-Woche verabschiedet wurde.
DOCH WO IST DIE NACHFOLGE…?
… fragten sich eigentlich alle Besucherinnen und Besucher des Festivals und die Expertinnen und Experten unter ihnen sowieso, wohl wissend um die langen Vorlaufzeiten in der Gastspielprogrammierung der Top-Compagnien der Tanzwelt. Sie alle warteten auf das „neue Gesicht“ zwischen Rick Takvorian und Janine Dijkmeijer, der künstlerischen Leiterin seitens der niederländischen Partner, um dieses als Nachfolge vorzustellen . …
…Vergeblich!
DIE KUNST ALS SPIEGEL DER WELT…
Crystal Pite und Simon McBurnay setzen mit dem NDT und „FIGURES OF EXTINCTION“ Maßstäbe bei schrit_tmacher justdance!
Einmal mehr könnte die Überschrift lauten: „Glanzvolle Eröffnung des Schrit_tmacher Festivals in Heerlen“ –
Aber es wäre viel zu wenig, um diesem Ereignis, eigentlich drei Ereignissen, gerecht zu werden, denn es sind, wie die Künstler in einem Interview gesagt haben, drei Planeten, die sich zu einem eigenen Kosmos aufgereiht haben und so ihre Gravität entwickeln. Untergehende Planeten vielleicht? „Figures in Extinction“? – Auch eine einzige Rezension dazu wäre viel zu komplex, zu unvollständig, zu wenig und schon gar nicht über Nacht als annehmbare Besprechung zu leisten.
„Figures in Extinction ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Kunst als Spiegel der Welt… HIER geht es zum gesamten Beitrag
EHRUNG FÜR RICK TAKVORIAN
Anlässlich der Eröffnungsvorstellung des Schrit_tmacher Festivals in Aachen, am Freitag, den 14. März 2025, überreichte der stellvertretende Bürgermeister Jordy Clemens während der Eröffnung die Heerlen-Ehrenmedaille in Silber an Rick Takvorian.
Nach den herzlichen Begrüssungsreden der neuen Intendantin des Aachener Stadttheaters Elena Tsavara und der Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen, deren Geburtstag vom Publikum spontan mitgefeiert wurde, hatte der stellvertretende Bürgermeister und Kulturbeigeordnete der Stadt Heerlen die richtigen Worte für seine Auszeichnung parat.
Das Publikum und die Rednerinnen und Redner der Eröffnungsveranstaltung feierten verdientermaßen Rick Takvorian für dessen herausragenden Leistungen um den Aufbau dieses einzigartigen Festivals, das sich bis zu seiner nunmehr dreissigsten Ausgabe, zu einem jährlichen Tanzhighlight in der, drei Länder umfassenden Europa Region Rhein-Maas, entwickelt hat.
Welche Bedeutung diesem Festival von der Politik in den Partnerländern beigemessen wird, zeigt auch die Teilnahme des damaligen niederländischen Ministerpräsidenten Rutte beim fünfundzwanzigsten Jubiläum in Heerlen. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaften des Landes Nordrhein-Westfalen glänzte auch in dieser Feierwerten Ausgabe durch Abwesenheit – das ist ebenso bedauerlich wie unverständlich.
ZUM LETZTEN MAL FABRIK?
Die Fabrik Stahlbau Strang hat das Gesicht des Festivals für mehr als eine Dekade auf Seiten Aachens ganz wesentlich geprägt. Nach dem Willen der Stadt soll sich dies ab der kommenden Ausgabe ändern und das Festival seine grossen Veranstaltungen im Stadt Theater Aachen durchführen.
Die Argumente seitens der Stadt sind: die hohen Kosten für Miete und Technik (laut Stadt ca. 100.000 Euro) könnten teilweise eingespart, bzw. für das Programm verwendet werden, das Publikum muss keine langen Anfahrtswege in Kauf nehmen (Ökologie) und hat bessere Möglichkeiten, sich über die Veranstaltungen vorher und nachher auszutauschen…
EXPERTEN UND PUBLIKUM SEHEN DAS ANDERS…
…… zumindest hinsichtlich der Anfahrtswege, denn zum Einen ist das Festivalpublikum in hohem Maße überregional bis international und die Auslastung dort, vermutlich auch wegen des einmaligen Ambientes der Fabrik, zumeist im Bereich der einhundert Prozent. Andere Ausrichter solch international angesehener Festivals richten zudem nicht selten einen öffentlichen Pendel-Nahverkehr ein, um das Publikum an einzigartige Orte zu bringen, die den Charakter einer solchen Veranstaltung prägen (Beispiel RuhrTriennale oder Ruhr-Festspiele).
Experten sehen auch eine reibungslose Bewältigung der technischen Anforderungen durch den Theater-Technik-Apparat als kritisch. Im Hinblick auf die engen Zeitabläufe und eingeschränkte Proben-Flexibilität für die Gastcompagnien, sind die im Theater geltenden Tarifbestimmungen erfahrungsgemäß mehr als problematisch.
DRINGENDER NACHHOLBEDARF…
Ganz anders als die Partner auf der Niederländischen Seite, die das Festival sehr vielschichtig in die jeweiligen Kommunen und Gesellschaften hineintragen und sichtbar machen, unternimmt die Stadt Aachen kaum eine Anstrengung, um dieses bedeutende und in seiner Art einzigartige Festival für den Tanz in der Stadt sichtbar zu machen. Jeder Aachen-Besucher weiss im März wann das CHIO-Reitturnier (im Juni) stattfindet, aber nicht, dass gerade ein fünfwöchiges internationales Tanzfestival hier zuHause ist.
…Hier besteht dringender Handlungsbedarf, vor allem zum (nachhaltigen) Wohle der Stadt
Holding Present and let go…SIDE EVENTS: Impressionen einer Versuchsanordnung
Ula Sickle & Ictus beeindrucken im Flexiforum von Kerkrade mit einer sehr präzisen Performance
Nach(t)gedanken von Klaus Dilger
Das kleine Städtchen Kerkrade, kurz nach der niederländischen Grenze zu Deutschland, überrascht immer wieder durch spannende Kulturbauten, die zum Entdecken einladen.
Über das Theater haben wir uns oft lobend ausgelassen: es gehört in seiner Symbiose aus Bibliothek, Gastronomie, Volkshochschule und Theatersaal zu den spannendsten zeitgenössischen Aufführungsorten, die hierzulande schmerzlich vermisst werden. Dass sich dies auf der hiesigen Seite der Nachbarländer noch mehr herumsprechen muss, ist ein kleiner Wehmuts-Tropfen, der gelegentlich aufkommt, wenn die oft hervorragenden Gastspiele des schrit_tmacher justdance! Festivals an diesem Ort nicht alle vollständig ausverkauft sind.
Nun eine weitere kleine Entdeckung: das Flexiforum. Ursprünglich als Schule geplant, dient das Gebäude nunmehr als spannende Experimentier-Plattform unter anderem für die performativen Künste… HIER weiterlesen
Nebenbei und mittendrin
Unser Blick auf das, was sonst noch schrit_tmacher justdance! ausmacht:…
Specials und Kontextprogramm beim schrit_tmacher Festival Just Dance! 2025: „Judson Church is Ringing in Harlem (Made-to-Measure) / Twenty Looks or Paris Burning at The Chudson Church (M2M)“ von Trajal Harrell im Ludwig Forum Aachen, „Dance as Ritual. Klasse Apart Projects / Raenys Martis“ in der Savelbergkapel in Heerlen, „2Unbreakable“ von Maike Conway im Eden Palast und „LOEV“ vom Danstheater AYA im Theater Kerkrade
Von Natalie Broschat
Im Space, dem Vorstellungssaal im Keller des Ludwig Forum Aachen, rief Rick Takvorian 1993 das schrit_tmacher ins Leben und erneut ist der US-amerikanische Tänzer-Choreograf Trajal Harrell zu Gast im Museum für zeitgenössische Kunst. Mit seiner achtteiligen Serie „Twenty Looks or Paris Burning“ ist er weltberühmt geworden und setzt darin zwei Tanzstile miteinander in Verbindung, die sich beide unabhängig voneinander in New York bildeten: Voguing, das in den 1970er Jahren in der Subkultur von Harlem, Uptown entstand, und der Postmoderne Tanz des Judson Dance Theater, das sich im Juli 1962 von den Avantgardist*innen um Ruth Hamerson, Yvonne Rainer und Steve Paxton in der Judson Memorial Church in Greenwich Village, Downtown entwickelte…. HIER weiterlesen
Festival seit zehn Jahren auch in Eupen:
Es hallt nach…
„Triptychon“ mit Solotanzstücken von Fanny Brouyaux, Loraine Dambermont und Leïla Ka im Alten Schlachthof Eupen
Von Natalie Broschat
Seit 2017 ist der Alte Schlachthof Eupen, der hauptsächlich Zirkus und Theater präsentiert, Teil von schrit_tmacher just dance! und kooperiert im Zuge des hauseigenen Festivals „Scenario“, das dieses Jahr auch schon die 24. Ausgabe feiert, mit dem bereits 30 Jahre alten Nachbarfestival aus Aachen. Und 2025 wird dort eine ganz besondere Tanzform gezeigt: das Solo. Drei junge Choregrafinnen steuern unter dem Titel „Triptychon“ drei wundervolle Soli bei: „“L’oiseau fou veut se reposer…requiem danse pour Paganini“ (To be schieve or a romantic attempt) der Belgierin Fanny Brouyaux, „Toujours de 3/4 Face“ der ebenfalls aus Belgien stammenden Loraine Dambermont und das preisgekrönte „Pode Ser“ der erfolgreichen und überall gefragten Französin Leïla Ka…. HIER geht es zum gesamten Bericht
KLEIN UND FEIN…
WICHTIGE BEITRÄGE IN BELGIEN
Eupen in Belgien setzt seit nunmehr zehn Jahren immer wichtiger werdende Akzente im schrit_tmacher justdance! Festival, die eine ganz eigene Handschrift und Note tragen.
GENERATION2
Insgesamt bot das Festival erneut ein ausgezeichnetes Programm für die sogenannte „GENERATION2“ – von den Allerkleinsten bis hin zu den Jugendlichen. Allerdings hauptsächlich auf der Niederländischen Veranstalter-Seite, sieht man einmal von dem gemeinsamen Format „CO-LAB“ ab, das seit zehn Jahren grenzüberschreitend die tanzbegeisterten Jugendlichen | Nachwuchstänzerinnen und -Tänzer zusammen auf die Bühne(n) bringen möchte. Anlässlich des Jubiläums war der Blick hierbei auf die gesammelten Erfahrungen dieser Jahre gerichtet.
Wunder sind möglich:
… meint Harff-Peter Schönherr
Hymne an die Humanität: Das Community-Art-Projekt „Simurgh“ des niederländischen DIK Danstheater rührt zu Tränen
In der Welt der Mystik ist alles möglich. Auch die Suche nach einem weisen König übernatürlicher Kräfte, an deren Ende die Suchenden erkennen, dass sie selbst dieser König sind.
Wir befinden uns in der persischen Dichtung des 12. Jahrhunderts, bei Farid ud-Din Attar und seiner „Konferenz der Vögel“. Tausende von ihnen brechen auf zu dieser Suche, zur Suche nach Simurgh, dem weisesten aller Vögel, dem Vogel des Glücks, zu einer Reise durch Unwirtlichkeit und schroffe Täler, und 30 halten durch. Aber diese 30 finden kein Fabelwesen, ehrfurchtgebietend und fremdartig, sie finden Erkenntnis, Wahrheit und Vollkommenheit. Und sie finden alldas in sich selbst. Simurgh, zeigt sich ihnen, ist die Gemeinschaft aller…. HIER geht es zum ganzen Artikel
Hoffnung? Keine!…
Tanz auf dem Vulkan: Alice Ripolls Choreografie „Zona Franca“ konfrontiert uns mit dem Lebensgefühl der Favelas Brasiliens. Auf den ersten Blick ist das irritierend farbenfroh, auf den zweiten abgrundtief schwarz. Doppelbödigkeit, die Augen öffnet.
Von: Harff-Peter Schönherr
Schön ist es hier, auf den ersten Blick. Es wird getrommelt, es wird getanzt, es wird gesungen. Sonnenwarmes Licht umschmeichelt junge, lachende Menschen. Silbrige Luftballons schweben über ihnen, verheißungsvollen Welten gleich. Andere, tiefrot, locken wie Früchte des Paradieses. Man trägt Afro, man trägt Dreads, man trägt viel Haut, man trägt sinnliche Kleidung. Ein Fest scheint sich anzubahnen – oder fortzusetzen, vielleicht für immer. So sieht Glück aus. Denkt man.
Aber so ist es nicht. Alldas ist nur Fassade, nur die Flucht in eine Scheinwelt, um dem Elend der wirklichen zu entfliehen. Hinter alldem steht die Hoffnungslosigkeit der Favelas, die Armut der informellen, oft improvisierten Stadtviertel der Ausgegrenzten, in die Touristen, die Brasiliens Großstädte erkunden, meist nur einen kurzen Blick werfen, obwohl pittoreskes Elend auf Reisefotos heute so en vogue ist wie selten….
…HIER geht es zum gesamten Bericht
ROCK-DANCE-CONCERT:
420People zeigt: The Watcher in der Fabrik Stahl Bau Strang Aachen
Werden wir überwacht? Selbstverständlich befinden wir uns in einem Geflecht aus Beobachtung, Kontrolle und Überwachung. Jede kleinste digitale Reaktion hinterlässt Spuren und es gibt immer mehr davon. Ein Leben außerhalb der digitalen Erfassung scheint gar nicht mehr möglich. Das klingt beklemmend, aber wir akzeptieren diese Situation, im Gegenteil, der Widerstand gegen Beschränkungen digitaler Kommunikation erfolgt stets prompt und heftig. Dass wir mit dem Eintritt in die Welt der Digitalität unsere Seele verkauft haben, darüber lässt sich vielleicht noch diskutieren aber unbestreitbar haben wir darüber unsere Körperlichkeit an der Garderobe abgegeben. Das ist der Punkt, an dem die tschechische Tanzkompagnie 420People ansetzt, die jetzt mit ihrer Produktion „The Watcher“ in der Fabrik Stahlbau Strang in Aachen das Publikum von den Sitzen riss…. HIER nochmals zum ganzen Artikel von Thomas Linden
GARDEN IN THE SKY
begeisterte unsere Kritikerin Melanie Suchy: „…Dieser „Garden in the Sky“ wird denen, die im großen Theater in Heerlen dabei waren in Erinnerung bleiben in seiner beredten Kargheit. Feinste Musik eines einzigen Instrumentes, ohne Elektronik; dazu, damit, daneben, davor eine Tänzerin und ein Tänzer. Ihr Tanz. Mehr nicht. Das war stimmig. Das Gegenteil von Sensation, Spaß und Aufregung… HIER geht es nochmals zu ihrer Nachtkritik zum erneuten lesen.
EINES DER HIGHLIGHTS…
…SAH THOMAS LINDEN:
Eine „lebensverändernde Reise“ in die Heimat seiner Vorfahren
ENOWATE – WAHRHEIT STEHT
Dickson Mbi zeigt: Enowate im Theater Kerkrade
Leben kann sich nur im Licht entfalten. Die Natur entwickelt sich mit den Impulsen des Lichts und auch wir brauchen es, um als Persönlichkeiten gesehen zu werden. Der britische Tänzer Dickson Mbi zeigt in seinem Solo „Enowate“ – das jetzt im Theater Kerkrade sein Publikum begeisterte – welche Mühen der Kampf um das Licht der Menschwerdung kostet. Öffentliche Aufmerksamkeit hat er dafür 2023 mit dem Gewinn des Olivier Awards erhalten, der ihm für eine herausragende Leistung im Tanz verliehen wurde. Aufgewachsen ist Dickson Mbi in London, aber die Wurzeln seiner Herkunft führen nach Kamerun. Ein kulturelles Spannungsverhältnis, das ihm als junger Mann zusetzte, wie seine Choreografie demonstriert, in der er souverän Narration mit Abstraktion verbindet. Immer wieder findet Dickson Mbi das starke, aussagekräftige Bild. Wenn er etwa aus dem Off die Stimmen der englischen Kinder und Teenager auf dem Schulhof oder dem Fußballplatz im Saal hören lässt, sein Körper aber dem Flow der Gruppe nicht folgen kann, weil sich seine Hand wie festgeklebt nicht vom Boden lösen kann…. HIER nochmals zum nachlesen des ganzen Artikels
VIEL TOLLER TANZ…
… und ein enormer Publikumszuspruch.
Auch wenn nicht alle Produktionen unsere Kritiker_innen gleichermaßen begeistern konnten: schrit_tmacher justdance! ist eines der wichtigsten Tanzfestivals mit dem absoluten Alleinstellungsmerkmal, dass es im Wortsinn die Grenzen der drei beteiligten Länder überschreitet und die Menschen aus Belgien, Deutschland und den Niederlanden in der Tanzkunst zu verbinden vermag.
Dieser ungeheure Wert muss erhalten bleiben, auch in der Ära, die nun auf Rick Takvorian folgen wird, der eine mächtige Lücke hinterlässt. Daran müssen alle Beteiligten gemeinsam arbeiten und insbesondere die Stadt Aachen!
credits
Editing und Gestaltung: DANSEmedia | berlin
Bildnachweise:
Seite 1 und 4: NDT_Figures in Extinction©Rahi Rezvani
Seite 12: Wayne McGregor_UniVerse©Andrej-Uspenski
alle anderen ©Klaus Dilger
Videomitschnitte Klaus Dilger